Nachträglich sind mehr und wichtige Einzelheiten über den blutigen Zusammenstoss bekannt geworden, der sich in der Nacht des 7. Februars zwischen DSF-Truppen, entscheidend unterstützt durch die amerikanische Luftwaffe, und pro-syrischen Einheiten im Euphrat Tal, östlich des Stromes, ereigneten.
Was damals zuerst bekannt gegeben wurde, kam von amerikanischer Seite und beschränkte sich auf die Aussagen: Eine Basis der DSF (Democratic Syrian Forces) auf der Ostseite des Euphrat, nahe beim Flecken Khursham, sei des Nachts angegriffen worden. Dort hätten sich auch amerikanische „Berater“ befunden, die mit den DSF zusammenarbeiteten. Als die Angriffskolonne so nah an diese Basis herangekommen sei, dass ihre Geschosse nur 500 Meter entfernt von der Basis einschlugen, sei die amerikanische Luftwaffe eingeschritten und habe gemeinsam mit den DSF-Truppen die Angreifer unter schweren Verlusten für diese zurückgeschlagen. Auf Seiten der DSF habe es nur einen Verwundeten gegeben.
Diese ersten Berichte erklärten auch, die Amerikaner seien während dieser Aktionen in Kontakt mit den Russen gestanden, und diese hätten gewusst, was vorgehe, noch während des Geschehens. Von russischer Seite verlautete zunächst einzig, die angreifende Kolonne pro-syrischer Truppen habe ihre Aktion nicht mit den Russen koordiniert.
Amerikanisch-russische Koordination
Um diese Erklärungen zu verstehen, muss man in Rechnung stellen, dass es Übereinkünfte zischen russischen und amerikanischen hohen Offizieren gibt, nach denen der Euphrat die Grenze sein soll zwischen den Einflussgebieten beider Seiten: westlich des Stroms die regulären Truppen und Pro-Asad-Milizen, die Unterstützung durch die russische Luftwaffe erhalten; östlich des Stroms die DSF (aus kurdischen und arabischen Kämpfern zusammengesetzt), denen die amerikanische Luftwaffe als Verbündeter dient und die auch mit amerikanischen Spezialtruppen auf dem Boden zusammenarbeiten.
Um zu vermeiden, dass Russen und Amerikaner in der Luft oder auch auf dem Boden zusammenstossen, gibt es eine Koordination zwischen den Militärs dieser beiden Mächte. Sie wird über Qatar gehandhabt, wo sich eine amerikanische Einsatzbasis für die Luftwaffen der amerikanischen Koalition befindet. Die russische Gegenstelle dürfte in Khneymin, bei Lattakiya liegen, der russischen Luftbasis in Syrien.
Russische Söldner beteiligt
Was seither zuerst gerüchteweise, aber dann immer deutlicher zutage trat, war der Umstand, dass bei der angreifenden Kolonne der pro-syrischen Truppen russische Söldner dabei waren. Wieviele dies waren, und ob diese Kolonne hauptsächlich aus ihnen bestand oder hauptsächlich aus syrischen Pro-Regierungsmilizen, die von den Söldnern verstärkt worden waren, ist auch bis heute nicht klar. Doch dass es solche Söldner gab und dass eine grössere Zahl von ihnen bei dem Zusammenstoss umkam, kann als gesichert gelten.
Im Internet erschienen Nachrufe auf russische Gefallene von Seiten ihrer Freunde und Familien. Westlichen Agenturen und Korrespondenten in Russland gelang es, mit einigen dieser Familien und Freunden Kontakt aufzunehmen, und schlussendlich räumten auch russische Sprecher ein, dass „einige Dutzend Russen“ gefallen waren oder Verletzungen erlitten.
Die herumgebotenen Zahlen gehen weit auseinander. Manche angebliche Gewährsleute wollen wissen, es seien mehr als hundert Gefallene gewesen. Andere sprechen sogar von zweihundert. Die bekannt gewordenen Namen und Photos im Internet dokumentieren nur sechs oder sieben namentlich bekannte Fälle.
Mehr Details aus den USA
Amerikanische Militärsprecher haben ihre Aussagen im Nachhinein etwas präzisiert. Am 13. Februar gab das Zentralkommando der amerikanischen Armee bekannt, im Hauptquartier bei Khursham hätten sich neben den dortigen SDF-Mannschaften und Offizieren auch amerikanische „Berater“ befunden. Als es von einer Kolonne von 300 bis 500 Kämpfern mit Panzern angegriffen wurde und das Feuer dieser Panzer bis auf 500 Meter an das Hauptquartier herangekommen war, habe der kommandierende amerikanische Offizier Hilfe von der amerikanischen Luftwaffe angefordert, und die angreifende Kolonne sei rund drei Stunden lang unter intensives Feuer aus Drohnen und B52-Bombern gekommen. Über die Zusammensetzung der Angriffskolonne wollte der Sprecher nicht spekulieren.
Auf der russischen Seite erklärte der Sprecher Putins am 13. Februar, der Kreml verfüge über keine Informationen über den Tod von russischen Söldnern. „Wir haben nur Angaben über reguläre russische Armeeangehörige“, sagte er. „Wir wissen nichts über andere Russen in Syrien.“
Moskau prangert USA an
Der russische Aussenminister, Sergey Lavrov, ging am gleichen Tag in die Offensive. Er erklärte, die Amerikaner unternähmen „gefährliche unilaterale Schritte, die immer deutlicher wie Versuche aussehen, einen Quasi-Staat in einem grossen Teil des syrischen Territoriums zu errichten, vom Ostufer des Euphrats die ganze Strecke hinab bis an die irakische Grenze.“ Schon zuvor hatten russische Sprecher mehrmals erklärt, die Amerikaner befänden sich „illegal“ auf syrischem Boden.
Trotz diesen Versuchen, die Angelegenheit zu ignorieren und von ihr abzulenken, indem man Klage gegen die Amerikaner erhebt, ist inzwischen aus den Aussagen von Freunden und Familienmitgliedern der Söldner klargeworden, dass russische Söldner aus den Reihen der sogenannten Wagner-Gruppe an dem Angriff beteiligt waren. Es stellte sich als wahrscheinlich heraus, dass das eigentliche Ziel der Angriffskolonne Öl- und Erdgasfelder waren, die etwas hinter dem Ort Khursham in der Wüste liegen. Sie befanden und befinden sich noch im Besitz der SDF-Kräfte.
Russische Söldner
Über die Wagner-Söldner, benannt nach dem Namen ihres kommandierenden Offiziers, sind ziemlich viele Details bekannt, weil sie in der Ukraine und bei der Besetzung der Krim eine Rolle spielten. Man weiss zum Beispiel, dass sie in Ausbildungslagern der russischen Streitkräfte ausgebildet werden und dass sie über russische Waffen verfügen. Bezahlt werden sie nach den Erkenntnissen des amerikanischen Finanzministeriums von einem – oder über einen – Finanzmagnaten, der Putin nahe steht: Yevgeny Prigoschin, den die Amerikaner im Zusammenhang mit der vermuteten Interferenz russischer Internet-Trolls in die amerikanischen Präsidentschaftswahlen zusammen mit 13 anderen auf eine Boykottliste gesetzt haben. Er soll bei der Errichtung und Betreibung der russischen Internet-Troll-Fabrik in St. Petersburg mitgewirkt haben.
Prigoschin gilt auch als der Besitzer einer russischen Gesellschaft, welche einen Vertrag mit Syrien für die Beschützung der syrischen Gas- und Ölfelder abgeschlossen habe gegen die Zusage von 25 Prozent der Produktion dieser Felder. Diese angebliche Entlöhnung ist so substantiell, dass man vermuten kann, mit „Schutz“ der Erdöl- und Gasfelder könnte auch ihre Rückeroberung aus den Händen der Amerikaner und Kurden zu verstehen sein. Es gibt syrische Ölfelder in der Wüste westlich des Euphrat, die sich bereits in syrischen Händen befinden, aber eben auch solche östlich des Stroms, wo zurzeit die kurdisch-arabischen SDF und die Amerikaner das Sagen haben.
Putins Koch
Der Spitzname Prigoschins ist „Putins Koch“, weil er nach dem Zusammenbruch der sowjetischen Wirtschaft, beginnend mit einem Hot-Dog-Stand, Geld im Ernährungssektor gemacht haben soll. Von dort stieg er auf in den Sektor der Luxusrestaurants. Heute soll er für Teile der Nahrungslieferung an die russische Armee zuständig sein sowie auch für Gastmahle Putins selbst.
Die Wagner-Söldner dienen Russland für Aktionen, die offiziell abgestritten werden können, wie es ja auch die anfänglichen Äusserungen aus Russland zu der „Schlacht, die nicht stattfand“ in der Nähe von Khurshan deutlich gezeigt haben.
Fünf Mächte auf syrischem Boden
Der russisch-amerikanische Zusammenstoss in Ostsyrien ist nur eine von mehreren beinahe gleichzeitigen Entwicklungen, die vor sich gehen und dadurch bestimmt sind, dass fremde Armeen oder Milizen auf syrischem Boden oder im syrischen Luftraum gegeneinander kämpfen.
Die türkische Armee steht direkt und zusammen mit einer mit ihr verbündeten syrischen Miliz, der FSA, auf syrischem Boden im Kampf gegen die Kurden von Afar und droht in einem nächsten Schritt weiter im Osten, in Membij, auch mit den Kurden sowie mit den Amerikanern, die dort mit den Kurden verbündet sind, zusammenzustossen. Damaskus hat eine Miliz nach Afar entsandt, um den dortigen Kurden zu helfen, den Türken zu widerstehen.
An der Südgrenze Syriens ist Israel kurz aber heftig aktiv geworden, nachdem die Israeli eine offenbar iranische Drohne, die nach Israel eingedrungen war, abgeschossen hatten und daraufhin einen Luftangriff tief nach Syrien hinein in die Region von Palmyra durchführten, wo sich die Basis für die iranische Drohne befunden haben soll. Als Israel bei dieser Gelegenheit ein Flugzeug verlor, das von einer syrischen Rakete getroffen wurde, schritt die israelische Luftwaffe als Antwort zu einem offenbar schwerwiegenden Gegenschlag gegen die syrischen Luftabwehrbatterien und einige iranische Positionen. Danach trat Ruhe ein.
Doch ist vorauszusehen, dass das Kräftemessen zwischen Iran und Israel im syrischen Luftraum und möglicherweise auch auf syrischem Boden weitergehen wird. Auf der einen Seite gedenken die Iraner nicht, auf die israelische Forderung einzugehen, ihren teuer erworbenen Einfluss und ihre militärische Position als Helfer von Asad aufzugeben und Syrien zu räumen. Auf der anderen wollen die Israeli nicht zulassen, dass Iran – in erster Linie nicht nah an der israelischen Grenze, jedoch auch generell nicht in Syrien und in Libanon – militärisch und im militärischen Rüstungsbereich tätig bleibt.
Aasgeier über dem Leichnam Syriens
Damit tritt der syrische Krieg in Phase zwei ein. Es geht nun nicht mehr darum, ob das Asad-Regime geht oder bleibt. Dank der russischen Unterstützung und dank dem Umstand, dass die westlichen Mächte sich in Phase eins nicht entscheidend in Syrien einmischen wollten, ist Asads Herrschaft in Damaskus gesichert.
Doch der Diktator ist dermassen geschwächt, dass er seine Herrschaft schwerlich lückenlos über ganz Syrien wird ausdehnen können. Es entstehen Hohlräume, die seine Macht nicht ausfüllen kann. Was dazu geführt hat, dass sich die beiden Supermächte, Russland und USA, sowie die drei Nachbarstaaten, Türkei, Israel und Iran, auf syrischem Boden miteinander darüber streiten, wer diese Hohlräume ausfüllen darf.
Die Rolle, welche Saudi-Arabien anfänglich in Syrien gespielt hatte, scheint nun reduziert, weil die Saudis allzu viele andere Aufgaben lösen müssen. Iran ist natürlich kein direkter Nachbar Syriens. Doch durch seinen Einfluss im Irak auf die dortigen Schiitenmilizen und in Libanon auf Hizbullah ist Iran machtstrategisch sogar ein doppelter Nachbar Syriens geworden.