Wir schlossen uns der Aufforderung von Aung San Suu Kyi zum Reiseboykott an. Nur dies würde die Generäle international blossstellen und schliesslich in die Knie zwingen.
War es Glück oder Unglück, dass diese Distanzierung ausgerechnet ein Shangri La traf, das bereits die Romantiker des Kolonialismus in eine unerreichbare Sehnsuchtsdestination gezaubert hatten? So blieb uns dank den Soldatenstiefeln The Road to Mandalay weiterhin erhalten, in diesem Schwebezustand raunender Namen und goldener Zinnen, von blauem Morgendunst und paradiesgrünen Reisfeldern. Sei’s drum, dass sich zu den pittoresken Bauern und den rotgekleideten Mönchen der dunkle Schatten harter Soldatengesichter gesellte. Wie opportun, dass politische Korrektheit auch Fernweh enthalten durfte!
Schnell nach Burma!
Doch nun haben die Militärs dem Land Demokratie verschrieben. Sie haben Burmas Jeanne d’Arc aus ihrem jahrzehntelangen Hausarrest entlassen, soeben haben sie einigermassen korrekte Wahlen durchgeführt, und auch Aung San Suu Kyis überwältigenden Sieg haben sie akzeptiert. Was gibt es da Schöneres, als in ein freies Land zu fahren, das dennoch nicht ganz aus dem Dornröschenschlaf der Armut und Abgeschiedenheit erwacht ist. Schnell nach Burma, erschallt schon seit einigen Jahren der Ruf, bevor Globalisierung und Tourismus das Traumland endgültig verschwinden lassen.
Jedermann weiss natürlich, dass dieser Nektar auch sein eigenes Gift ist, ähnlich wie die alte Kuoni-Werbung (‘Wir zeigen Ihnen die letzten Paradiese!’) das Rezept dafür war, dass sie gleich auch verschwanden. Ohnehin ist die Schildkröte des Marktes immer schneller als der Traveller, der sich flink wie ein Hase von der Masse absetzt. So stößt man denn im Flughafen von Yangon bereits auf die globale Standardausführung aus Glas und Aluminium. Und die Flughafen-Autobahn ist so verstopft ist wie jene in São Paulo oder Seoul. Ist dies noch Kiplings Strasse nach Mandalay? Wie so oft lösen sich Traumdestinationen in der CO2-Wolke rasch auf.
Ferrari-Garage
Zwischen dem Flughafen im Norden und dem Stadtzentrum am südlichen Flussufer liegt der Inya-See, einst das Trinkwasser-Reservoir der Stadt. Heute ist es ein exklusives Wohnquartier, das sich in eine Talmulde eingegraben hat, die früher den See entwässerte. Es heisst Golden Valley, vielleicht weil sich am südlichen Talausgang der Shwedagon-Stupa in die Höhe zwirbelt, dessen goldene Haut das reale und imaginäre Stadtbild Yangons - und des ganzen Landes - überstrahlt.
Aber vielleicht heisst das Tal auch deshalb so, weil man eine goldene Nase haben muss, um dort zu wohnen. Und wer sich zudem noch einen Blick auf die Goldene Pagode leisten will, muss laut einem Gewährsmann rund 1000 US-Dollars mehr Miete bezahlen für die Aussicht. Vielen Anwohnern wird dies keine Mühe machen - bei meinem ersten Morgenspaziergang kam ich an einer Ferrari-Garage vorbei.
Stacheldraht
Selbst im Golden Valley ist nicht alles Gold, was glänzt. Auf den hoch aufragenden Mauerkronen, hinter denen sich oft regelrechte Villen-Ungetüme verstecken, entrollen sich blitzsaubere Stacheldraht-Spiralen, als gehörten sie dem Quartier-Verschönerungsverein. Über den Toren fächern sie sich jeweils zu hübschen Kugeln auf, drehen sich dann in zweidimensionalen Kreisen auf die andere Seite, wo sie ihre Fächer wieder öffnen und weiterrollen. Endlich wusste ich, warum diese schneidenden Waffen Concertina Wires heissen.
Nirgendwo glänzten die Schneidezähne so scharf wie über dem Haus Nr. 54 an der University Avenue, die das Golden Valley vom Inya-See trennt. Dort spannten sich unter den Stacheldrahtrollen zudem noch straffgezogene Drähte, in denen die winzigen Messerschneiden fein säuberlich aufgereiht waren.
"Lady very busy"
Über dem geschlossenen Tor prangte das Foto des Vaters der Nation, Aung San, in Arbeitsuniform und hochgekrempelten Ärmeln. Darunter stand an diesem Morgen ein Mann im Longyi, dem Hüfttuch der Burmesen, und putzte sich mit einem Finger die Zähne. Ich fragte ihn, ob Daw Suu Kyi zuhause sei. “No, Lady go to Parliament”. So früh? (Es war sieben Uhr morgens). “Yes, Lady very busy”.
In den wenigen Tagen meines Yangon-Aufenthalts war es der einzige sichtbare Hinweis, dass das Land nur Wochen zuvor mit den ersten glaubwürdigen Parlamentswahlen seit 25 Jahren eine historische Hürde genommen hatte; und dass The Lady das Auge dieses Sturms war. Doch keine Polizeisperren lagen in den Büschen in Bereitschaft, keine Slogans verzierten die Mauerwände. Und das einzige Bild war, wie gesagt, das kleine Porträt des Vaters über dem Tor.
Lockerer Umgang mit der Religion
Verglichen mit dem dornengekrönten Schrein von Suu Kyis still daliegenden Haus wirkte der Rundgang um den Shwedagon-Stupa am anderen Ende des Golden Valley wie eine Flaniermeile. Tausende Menschen spazierten an diesem Sonntagabend darum herum, Familien schwatzten, Touristen hantierten mit dem Selfie-Stab, Gruppenfotos wurden geschossen, als stünden die Leute vor dem Eiffelturm. Und die Pilger, die vor einer der zahllosen Buddha-Statuen sassen und knieten: Beteten sie? Oder war es ein Picknick?
Wir stellten bald fest, dass der lockere Umgang mit der Religion typisch ist für dieses Land, das ein früherer Staatspräsident einmal zur Heimstätte des heutigen Buddhismus erklärt hatte. Nimmt man die Zahl der Buddha-Statuen als Massstab, hatte er zweifellos recht. In Bagan gibt es bekanntlich über zweitausend Pagoden, jede mit mehreren Buddhas - Im Ananda-Tempel allein zählte ich 87. Nördlich davon, in der Stadt Monywa, soll ein Tempel-Areal mit 850’000 Statuen bestückt sein. Und man erzählt sich, dass ein burmesischer Mönch dabei ist, einen Tempel mit fünf Millionen zu errichten.
Mythos Burma
The Road to Mandalay? Ein steiniger Weg. Und es ist nicht nur die in China ausgelöste Konsumlawine, die sich an darüber ergiesst. Kommt man den zahllosen Pagoden einmal nahe, dann verfliegt der Nimbus des Sakralen im Nu. In den meisten bröckelt der Putz, Mörtel sickert aus den Backsteinen. Das Mass einer anständigen Restauration scheinen Bodenfliesen zu sein, die einem Badezimmer gut anstünden. Da ist es nur logisch, dass die Leute die verliessartigen Gänge zu Souvenirläden umfunktionieren.
Bereits Aung San, der Vater der Nation, hatte geklagt: “Wenn man sich in Burma etwas umschaut, kann man nur zu einem Ergebnis gelangen: Die Essenz des Buddhismus fehlt hier”. Er plädierte für die Abschaffung der zahlreichen Feste und Rituale: “Diese Dinge gehören abgeschafft, weil sie … dazu führen, unsere Religion zu einer reinen Formsache zu degradieren”.
Ich fühlte mich angesprochen, als ich diese Sätze in einem Lehrbuch für Reiseleiter las. Am Ende einer zehntägigen Erkundungsreise kam auch ich zum Schluss, dass der Mythos Burmas ebendies ist (und immer schon war): ein Mythos. Jene, die ihn bewahren wollen, haben die Wahl, hinzureisen, die schönen Landschaften aus der Distanz einer Flussfahrt vorbeigleiten zu sehen und mit einem Ballon über den goldenen Spitzen der Pagoden von Bagan zu schweben. Oder sie bleiben zuhause.