Von Moreno Bernasconi und Beat Allenbach
PRO ZWEITE RÖHRE
Von Moreno Bernasconi, Journalist
Das ist die vernünftigste Lösung für alle
Die Schweizer sind pragmatisch und lieben keine Religionskriege. Die Frage der eventuellen Verdoppelung des Strassentunnels des Gotthards muss konstruktiv angegangen werden, im pragmatischen Sinn, der unserem Land bisher zugute kam. Wir sollten uns also folgende Fragen stellen: Erstens, gibt es verfassungsrechtliche Hindernisse für den Bau? Zweitens, gibt es gültige Alternativen zur Verdoppelung, um den Kanton Tessin während der wegen Unterhaltsarbeiten geplanten, dreieinhalb Jahre langen Sperrung des bestehenden Tunnels nicht zu isolieren? Nach Aussagen des Bundesrates besteht beim Bau der zweiten Röhre mit nur einer Fahrspur pro Richtung die Garantie, dass die Verkehrskapazität nicht erweitert wird und folglich würde dieser Bau weder zum Alpenschutzartikel in Widerspruch stehen, noch würde so das vom Volk verworfene Projekt «Avanti» wiederaufgenommen. Man könnte sicherlich antworten – wie es die Umweltschützer tun – dass in Bern einfach eine «Salamitaktik» gemacht wird (heute eine Scheibe, das heisst die Verdoppelung, morgen die Kapazitätsausweitung). Aber das würde bedeuten, den Absichten des Bundestates den Prozess zu machen: das ist keine seriöse Argumentation. Und da es schliesslich über die zweite Röhre zur Abstimmung kommen wird, wird das Schweizer Volk ausreichend die Möglichkeit haben, die Garantien gegen eine Kapazitätserweiterung zu überprüfen.
Statt der Absicht den Prozess zu machen, sollten die Gegner der zweiten Röhre beweisen, dass es gute Alternativen gibt. Dieser Beweis ist aus staatspolitischen Gründen notwendig und äusserst wichtig in einem föderalistischen Staat: Es ist undenkbar, dass nicht alle Schweizer Regionen mit einem entsprechenden Strassen- und Bahnnetz effizient miteinander verbunden sind. Das ginge auf Kosten der Gleichberechtigung und der Entwicklungs-Chancen der verschiedenen Landesteile.
Der alternative Lösungsvorschlag zur Verdoppelung sind Verlademöglichkeiten für den Personen-und Schwerverkehr. Und zwar für die Autos zwischen Airolo und Göschenen und für Lastwagen zwischen Erstfeld und Biasca. Zuerst müsste allerdings auch noch untersucht werden, ob die Verlademöglichkeiten genügend Kapazität garantieren, um den Strassenverkehr aufzunehmen, der schon heute viel höher ist als die Schätzungen der Bundesbehörden. Die Durchführung der rollenden Landstrasse für Lastwagen bedingt die Einrichtung von grossenTerminals in Biasca und Erstfeld. Sind die betroffenen Gemeinden bereit, grosse Flächen zur Verfügung zu stellen und die Belastung dieser Zufahrtsstrecken auf sich zu nehmen? Wir wissen schon, dass sie nicht damit einverstanden sind und mit allen rechtlichen Mitteln versuchen werden, dies zu verhindern.
Die beim Verlage-Dienst anfallende Verkehrsbewältigung ist extrem kostenaufwändig; wenn man hunderte von Millionen Franken für ein begrenztes, nicht nachhaltiges Ziel ausgibt (mit dem Risiko, dass man bei den nächsten Unterhaltsarbeiten wieder von vorne anfangen muss), dann muss man sagen, da wird Geld zum Fenster hinausgeworfen. Der Vergleich zwischen den Kosten des aufwändigen Verlade-Systems und der zweiten Röhre des Tunnels zeigt es deutlich. Die provisorische Lösung des Verlade-Dienstes (mit nicht rückzahlbaren Investitionen) würde fast zwei Milliarden Franken kosten (genau 1,9 Milliarden), also kaum eine Milliarde weniger als die definitive Lösung der Verdoppelung des Strassentunnels, die auf 2,8 Milliarden Franken geschätzt wird. Lohnt sich das Ganze? Man muss kein Genie sein, um zu sehen, dass es sich nicht lohnt.
Dazu kommt auch die Tatsache, dass wir die Alpenstrecke nicht einfach so behandeln dürfen, als wäre es einfach unser Zuhause. Der Sankt Gotthard ist eine privilegierte Verkehrsachse zwischen Nordeuropa und dem Mittelmeerraum, daher ist die flüssige Abwicklung des Nord-Süd-Strassenverkehrs für die europäischen Länder auch eine Priorität. Wenn wir die guten Handelsbeziehungen mit unseren Nachbarn aufrecht erhalten wollen (und davon sind ein Grossteil unserer Geschäfte abhängig), ist es nicht sinnvoll, auf einer strategisch derart wichtigen Achse wie dem Gotthard jahrelang Probleme zu schaffen.
CONTRA ZWEITE RÖHRE
Von Beat Allenbach, Journalist
Weshalb ein zweiter Gotthard-Strassentunnel unsinnig ist
Der Bundesrat schlägt am Gotthard eine zweite Strassenröhre vor, damit während der notwendigen Sanierung des 1980 eröffneten zweispurigen Gotthardtunnels der Strassenverkehr ungehindert durch die Alpen fliessen kann. Der Bundesrat begründet seinen überraschenden Entscheid mit dem Hinweis auf die Verkehrssicherheit sowie die kraftvoll geäusserte Forderung der Tessiner Regierung, die Strassenverbindung durch den Gotthardtunnel dürfe nicht unterbrochen werden, die Südschweiz sei auf eine gute, durchgehende Verbindung mit der Alpennordseite angewiesen.
Hat der Bundesrat ein so schlechtes Gedächtnis, dass er übersieht, dass das Schweizer Volk bereits 1994 die Alpeninitiative angenommen hat, die den zusätzlichen Ausbau der Strassen durch die Alpen verbietet und die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene verlangt? Hat die Regierung vergessen, dass das Volk 2004 gegen eine zweite Röhre am Gotthard gestimmt hat und die Urner den Bau eines zweiten Strassentunnels sogar fünfmal abgelehnt haben? Entweder ist der Bundesrat grenzenlos naiv oder aber er greift zu einem faulen Trick. Denn wie kann er in seiner Mitteilung vom 27. Juni 2012 im Ernst versichern: «Der Alpenschutzartikel bleibt gewahrt. Es wird pro Richtung immer nur eine Fahrspur in Betrieb sein.»
Ist einmal eine zweite Röhre gebaut, so wird der Druck der Autofahrer, und vor allem der Strassenlobby (TCS, ASTAG), derart steigen, dass die neu geschaffenen Fahrspuren im Tunnel kaum als Pannenstreifen belassen werden könnten. Auch von der EU würde die Schweiz bedrängt, so dass die vom Bundesrat versprochene Beschränkung auf eine Spur pro Richtung - sofern das entsprechende Gesetz vom Parlament überhaupt genehmigt würde -, kaum Bestand hätte. Auch höre ich schon die lauten Stimmen vieler Steuerzahler, man könne doch nicht über zwei Milliarden für den 2. Tunnel investieren und danach dessen Leistungsfähigkeit nicht aufs beste nutzen.
Wer unbedingt einen zweiten Gotthard-Strassentunnel will, muss bereit sein, zu den Konsequenzen ja zu sagen. Zwei zusätzliche Fahrspuren bringen mehr Verkehr - praktisch alle Verkehrsprognosen für die Strassen in der Schweiz, auch jene für den Gotthard-Tunnel, wurden stets weit übertroffen. Die Folgen: Die Staus am Gotthard würden sich nach Süden verschieben. Die Autobahn zwischen Lugano und Chiasso ist nämlich schon heute oft überlastet. Kommt noch zusätzlicher Verkehr von Norden und von Süden, würden die Kolonnen im Sottoceneri immer länger und öfters stocken oder stehen; auch die Grenze zu Italien mit dem Zoll würde vor allem wegen der Lastwagen Rückstaus verursachen und die Autobahn teilweise blockieren.
Viele Tessiner und Tessinerinnen aus dem Mendrisiotto werden ihrem Ärger freien Lauf lassen, es werde immer schwieriger ins Luganese oder nach Bellinzona zur Arbeit zu fahren. Sie werden nicht bloss jammern, sondern zusammen mit den Strassenverkehrsverbänden verlangen, die vierspurige Autobahn müsse ausgebaut werden – auf sechs Spuren. Bereits gibt es solche Strecken in der Schweiz. Doch in dem topografisch schwierigen, landschaftlich schützenswerten und touristisch wichtigen Abschnitt zwischen Lugano und Chiasso je eine Fahrspur einzufügen, wäre für Ingenieure, Touristiker und Anwohner ein Albtraum. Deshalb Hände weg von einem zweiten Gotthardtunnel. Konzentrieren wir Intelligenz, Energie und Geld auf eine möglichst günstige Verladelösung für Personen- und Lastwagen während einer möglichst kurzen Dauer der Sperrung und der Sanierung des bestehenden Gotthardtunnels.