Sie wollten beweisen, dass sie nicht bloss besser Fussball spielen als der Rest der Welt, sondern auch fähig sind, einen Grossanlass anständig durchzuführen. Doch sie begingen Fehler über Fehler: Die Vorbereitungen für die Fussball-WM in Brasilien sind ein Paradebeispiel für unerfüllte Versprechen, Fehlplanung, Verschwendung von Steuergeldern, massive Kostenüberschreitungen und Korruption.
Kosten verdreifacht
Für Riesensummen wurden prunkvolle Sportpaläste gebaut, die keiner braucht. Anstatt 2,5 Milliarden Reais (rund 1 Milliarde Franken), wie ursprünglich veranschlagt, verschlang der Stadionbau 8 Milliarden Reais (rund 3,2 Milliarden Franken). Als Brasilien vom Weltfussballverband (Fifa) den Zuschlag für die WM 2014 bekam, kündigte der damalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva an, der grösste Teil der Kosten werde von privaten Investoren getragen. Tatsächlich haben diese nicht einmal zwei Prozent beigesteuert.
Die Gesamtinvestitionen für die Copa do Mundo, einschliesslich der Aufwendungen zur Verbesserung der städtischen Mobilität, Sicherheitsmassnahmen und Telekommunikation, werden aktuell auf mehr als 10 Milliarden Franken geschätzt.
An mehreren Austragungsorten mussten die Arbeiter praktisch bis zur letzen Minute malochen, damit das Stadion zum WM-Auftakt betriebsbereit war. Beinahe ein Dutzend Männer verunglückte tödlich, weil die Sicherheitsvorkehren auf der Baustelle mangelhaft, wenn nicht sogar fahrlässig waren.
Eine Arena für vier Spiele
Wie sinnlos vor dieser WM Geld zum Fenster hinausgeworfen wurde, lässt sich besonders deutlich an der Arena da Amazônia in Manaus aufzeigen. Sie ist in rund vierjähriger Bauzeit entstanden, verfügt über 44’400 Sitze und hat umgerechnet etwa 267 Millionen Franken gekostet. In Manaus stehen vier Gruppenspiele auf dem Programm, darunter die Partien Schweiz-Honduras und England-Italien.
Und danach? Die Urwaldstadt Manaus mit ihren zwei Millionen Einwohnern ist alles andere als eine Fussball-Hochburg. Der Nacional Futebal Clube, der in Zukunft Heimrecht in der Arena haben wird, spielt in der vierten Liga. Mit durchschnittlich 1500 Zuschauern pro Partie wird er nie und nimmer in der Lage sein, die enorme Kapazität des Stadions auszulasten. Vernünftige Vorschläge, wie man die Arena nach der WM sonst nutzen könnte, gibt es bisher keine. Ein Lokalpolitiker empfahl, sie in ein Gefängnis umzubauen.
Proteste statt Begeisterung
Die gewaltigen Kostenüberschreitungen, die vielen Verzögerungen bei den Infrastrukturarbeiten, Zwangsumsiedlungen von ärmeren Familien aus dem Umfeld der neuen Sportarenen und das diktatorische Gebaren der Fifa-Oberen brachten immer mehr Brasilianer gegen die Copa auf. Die Fussballbegeisterung ist zwar nach wie vor gross im ganzen Land. Aber inzwischen findet Meinungsumfragen zufolge mehr als die Hälfte der Bevölkerung, der Preis für diesen Mammutanlass sei zu hoch. Die WM-Milliarden, argumentieren die Kritiker, hätten viel sinnvoller für bessere Schulen, die Sanierung des Gesundheitswesens, den Kampf gegen die Kriminalität und den Ausbau des öffentlichen Verkehrs verwendet werden können.
Soziale Gruppierungen organisierten zahlreiche Protestaktionen, bei denen es oft zu gewalttätigen Zusammenstössen mit der Polizei kam. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass ungeachtet des von der Regierung angeordneten Riesenaufgebots an Sicherheitskräften auch während der WM Unzufriedene auf die Strasse gehen werden. Massenkundgebungen wie beim Konföderationen-Cup vor einem Jahr zeichnen sich bislang allerdings nicht ab.
Die bevorstehende WM bot auch den Gewerkschaften eine willkommene Gelegenheit, ihren Forderungen nach Lohnerhöhungen Nachdruck zu verleihen. In den vergangenen Wochen legten in mehreren Städten die Polizei, die Busfahrer, die Lehrkräfte oder die Strassenreinigung die Arbeit nieder. Ein Streik der Metro-Angestellten in der Wirtschaftsmetropole São Paulo führte dieser Tage zu Tumulten an Metrostationen und einem Verkehrschaos auf den Strassen. Im Augenblick ist der Arbeitskampf suspendiert, das Risiko, dass es während der WM zu neuen Streiks kommt, aber nicht endgültig gebannt.
Noch viele offene Baustellen
Der Regierung blieb nichts anderes übrig, als Konzessionen zu machen, um den Schaden in Grenzen zu halten. Die Kritik an den überrissenen Aufwendungen für die Copa konnte sie damit nicht zum Verstummen bringen. Präsidentin Dilma Rousseff versucht sie dadurch zu entkräften, dass sie immer wieder den längerfristigen sozialen Nutzen der Infrastrukturprojekte hervorhebt. Die Baumassnahmen kämen der Bevölkerung auch nach der Weltmeisterschaft zugute, sagte sie vor ein paar Tagen an der Einweihung des Schnellbussystems in der Millionenstadt Belo Horizonte.
Mindestens die Hälfte der im Zusammenhang mit der WM geplanten Vorhaben muss jedoch zuerst noch fertig gestellt werden. Wenn man die bisherigen Verzögerungen in Betracht zieht, fällt es schwer zu glauben, dass dies innert nützlicher Frist geschehen wird.
Für Rousseff steht viel auf dem Spiel
Rousseff hat allen Grund, die Situation schöner darzustellen, als sie ist. Sie würde im Oktober gern wieder gewählt werden und kann sich laut Meinungsfragen auch eine gute Chance ausrechnen, weitere vier Jahre die Geschicke des grössten südamerikanischen Landes zu lenken. Ihre Popularität hat in den vergangenen Monaten allerdings ständig abgenommen, heute liegt ihr Umfragewert bei 34 Prozent.
Persönlich steht für sie an der WM nicht nur die nationale Ehre auf dem Spiel. Die Präsidentin hat mehr zu verlieren als zu gewinnen. Wird Brasilien Weltmeister, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass die Kritik vorübergehend verstummt. Sie wird aber neu aufflammen, wenn sich die Euphorie über den Titelgewinn gelegt hat. Wird Brasilien hingegen nicht Weltmeister, dann werden wohl auch etliche, die jetzt für die WM sind, die Seite wechseln und Rousseff ihre Gefolgschaft an der Urne verweigern.
Zugegeben: Das sind vorerst bloss Spekulationen. Aber zurzeit setzen mit Sicherheit mehr Brasilianer auf einen sechsten WM-Titel für ihre Seleção als auf einen Wahlsieg von Dilma Rousseff.