Die Offensive der syrischen Armee an der „südlichen Front“ gegen dortige Überreste der Rebellenmilizen hat Hilfe von russischen Kampfflugzeugen erhalten. Dies droht israelisch-russische Spannungen hervorzurufen, weil Israel befürchtet, die Rückkehr der syrischen Armee an die Golan-Grenze könne zu einer Präsenz der iranischen Verbündeten Asads im Grenzraum führen. Eine solche Präsenz will Israel, wenn nötig auch mit Waffengewalt, unbedingt verhindern.
Syrische „Südoffensive“
Nachdem al-Asad die unterschiedlichen Restgebiete in der Nähe von Damaskus, die noch von Rebellengruppen beherrscht waren, endgültig unter seine Herrschaft gebracht hat, sind die syrische Armee und die Luftwaffe an der „südlichen Front“ aktiv geworden. In den beiden Provinzen südlich der Hauptstadt, Suweida und Deraa, gibt es noch zahlreiche Dörfer und Regionen, die sich in der Hand unterschiedlicher Rebellengruppen befinden. Neben Gruppen die den radikalen Islamisten zugehören, finden sich andere sogenannte Gemässigte, die in früheren Jahren und teilweise wohl bis jetzt Unterstützung aus Jordanien erhielten. Diese geht auf Gelder aus Saudi-Arabien und aus den USA zurück und wird über einen Generalstab gesteuert, der sich in Jordanien befindet.
Vor einem Jahr hatten die Russen, die Jordanier und Damaskus ein „De-Eskalationsabkommen“ für den Süden getroffen, was dazu führte, dass die von Jordanien aus gesteuerten „gemässigten“ Widerstandsgruppen die Weisung erhielten, ihre eigenen Gebiete zu verteidigen, aber nicht mehr offensiv gegen die syrische Armee und von ihr beherrschte Regionen und Ortschaften vorzugehen.
Brüchiger Waffenstillstand
Die südliche Front war für Damaskus immer heikel, weil sie nahe der Hauptstadt verlief. Sie ist und bleibt aber auch von internationaler Bedeutung, weil sie Regionen umfasst, die unmittelbar an der Waffenstillstandslinie zwischen Syrien und Israel liegen. Diese Waffenstillstandslinie südlich der Golan -Anhöhen bildet in der Praxis seit langen Jahren die Grenze zwischen den israelisch besetzten Golanhöhen und dem syrischen Herrschaftsgebiet. Die De-facto-Grenze setzt sich östlich fort durch die de jure bestehende zwischen Syrien und Jordanien.
Nach dem Krieg von 1973 wurde zwischen den Golanhöhen und Syrien eine Pufferzone errichtet, die von Uno-Soldaten patrouilliert wurde und ihr Hauptquartier in der durch den Krieg zerstörten syrischen Stadt Kunaitra hatte. Diese „Grenzregelung“ hatte sich während fast vier Jahrzehnten – zwischen 1973 und 2011 – bewährt, weil Damaskus unter Vater und Sohn Asad wusste, falls dort Unruhen ausbrächen und der Waffenstillstand gebrochen würde, könnten die Israeli mit ihren Panzern in wenigen Stunden Damaskus erreichen.
Doch dieses lange bestehende und delikate Provisorium des von der Uno gesicherten Waffenstillstands löste sich auf, als mit dem Aufstand vom März 2011gegen Asad Sohn, der in der südlichen Grenzstadt Deraa begann, Teile der Grenzgebiete und ihres syrischen Hinterlandes in die Hände der unterschiedlichen Widerstandsmilizen fielen. Israel entwickelte seine eigene Politik gegenüber diesen Milizen, indem es manche von ihnen diskret unterstützte und sich auch ihrer Verwundeten annahm, die in Israel ärztliche Behandlung erhielten.
Eindringling Iran
Aus alldem ergibt sich die gegenwärtige Komplexität der „südlichen Front“. Damaskus macht deutlich, dass es die noch seiner Herrschaft entzogenen Gebiete von den „Rebellen“ zu „befreien“ gedenkt. Das Asad-Regime möchte seine Herrschaft wieder bis an die Waffenstillstandslinie und die sie festigende internationale Zone ausdehnen. Israel hätte wohl nichts dagegen, wenn es denn gewiss wäre, dass das alte Regime von Damaskus wieder voll etabliert werden könnte. Doch Israel will um jeden Preis vermeiden, dass sich iranische Revolutionswächter oder deren Mitkämpfer, einschliesslich des libanesischen Hizbullah, an der Golangrenze festsetzen.
Die Zusammenarbeit zwischen den iranischen und pro-iranischen Verbündeten sowie der syrischen Armee ist während der Bürgerkriegsjahre sehr eng geworden. Gegenwärtig macht Israel kaum mehr ein Geheimnis daraus, dass es mit seiner Luftwaffe gegen iranische und pro-iranische Truppen in Syrien vorgeht, wo immer nach israelischen Informationen Ansatzpunkte für eine militärische Präsenz der Iraner in Syrien erkennbar ist.
Russland beherrscht den Luftraum über Syrien und Israel ist gezwungen, seine Luftaktionen über Syrien mit den Russen abzusprechen, was über einen Heissen Draht auch offenbar regelmässig geschieht. Auf einer übergeordneten Ebene telefonieren Netanyahu und Putin oft miteinander. Russland hat ein Interesse daran, sich mit Israel zu verständigen, weil ein kriegerischer Zusammenstoss mit dem waffentechnisch hochgerüsteten Israel über Syrien die gegenwärtige Syrienexpedition Russlands zu einem regionalen oder gar einem Weltkrieg ausweiten könnte, in dem Amerika höchstwahrscheinlich auf der israelischen Seite eingreifen würde. Eine solche Eskalation ist schwerlich in Putins Sinn.
Asad pocht auf die Souveränität Syriens
Doch Russland ist auch Verbündeter und Schutzherr Asads. Asad beansprucht seinerseits zu bestimmen, wieweit er mit Iran in der Zukunft militärisch zusammenzuarbeiten gewillt ist. Gegenwärtig benötigt er die Revolutionswächter der „Quds Forces“ („Quds“ ist Jerusalem) und die ihnen nahestehenden schiitischen Milizen aus Libanon, dem Irak, und sogar aus Afghanistan, die in Syrien stehen, um das knappe Personal der syrischen Armee zu ergänzen.
In Israel geht der Verdacht um, dass die pro-iranischen Mannschaften in gewissen Fällen als syrische Soldaten „verkleidet“ würden, nachdem israelische Luftschläge sich bis tief hinein ins Innere Syriens gegen Angehörige der „Quds Force“ und deren Hilfstruppen gerichtet hatten.
Russland zwischen Syrien und Israel
Im Verlauf der Vorbereitung der Südoffensive der syrischen Armee haben am vergangenen Sonntag zmu ersten Mal russische, nicht bloss syrische, Kampfflugzeuge Ortschaften und Positionen in den Provinzen Deraa und Suweida bombardiert, die noch von den Rebellen gehalten werden. Manche der Luftangriffe sollen bis zu zwei Stunden lang angedauert haben.
Dies dürfte für die Israeli und für die Amerikaner ein Zeichen dafür sein, dass Moskau die Offensive Asads billigt, obgleich das De-Eskalationsabkommen zwischen Russland, Syrien und Jordanien ein Jahr lang gehalten hat und zu funktionieren schien. Die Uno-Vertreterin der USA, Nikki Haley, erklärte in New York, es liege ein klarer Rechtsbruch der Russen vor. Doch das ist zumindest übertrieben. Ein „De-Eskalationsabkommen“, was immer das Wort genau bedeuten mag, ist weniger als ein Waffenstillstand, geschweige denn ein Friedensabkommen.
Die russische Diplomatie stellt sich auf den Standpunkt, eine Präsenz der syrischen Armee bis an die israelisch-syrische Waffenstillstandslinie sei rechtmässig. Russland habe ein Recht, Damaskus dabei zu helfen, diese Position wieder zu erlangen, weil Moskau von der legalen syrischen Regierung um Hilfe angerufen worden sei. Im Gegensatz dazu befänden sich die Amerikaner und die von ihnen gestützten „Rebellen und Terroristen“ „illegal“ in Syrien. Erklärungen dieses Inhalts aus Moskau liegen bereits einige vor.
Rückt Iran mit den Syrern vor?
Für Israel jedoch stellt sich neu die Frage der vermuteten engen Zusammenarbeit der Truppen Asads mit den iranischen und pro-iranischen Bewaffneten und Milizen. Könnten sich diese im Schatten der vormarschierenden syrischen Truppen an der Golan-Waffenstillstandslinie festsetzen? Dies zu verhindern erklärt sich Israel eisern entschlossen. Eine Zusage Moskaus in dem Sinne, dass Russland eine iranische oder pro-iranische Präsenz in dem Grenzraum missbilligte, wäre vermutlich ein Lösungsansatz.
Israel würde natürlich versuchen, derartige Zusagen räumlich auszuweiten. Zur Zeit steht Tel Aviv auf dem Standpunkt, dass alle iranischen und pro-iranischen Kräfte ganz Syrien zu verlassen hätten. Auch iranische Waffenlager und eine mögliche iranische Kriegsindustrie auf syrischem Boden will Israel nicht dulden. Während Damaskus erklärt, die Anwesenheit seiner iranischen Verbündeten in Syrien sei allein Angelegenheit des souveränen Syrien und hänge weder von Russland noch von Israel ab.
USA am Rand der Konfrontation mit Russland
Washington hat deutlich gemacht, dass es nicht gedenkt, die syrischen Rebellen an der südlichen Front weiter zu unterstützen. Ein Schreiben aus Amman an die Kommandanten der FSA (Freie Syrische Armee), mit der Amerika in der Vergangenheit zusammengearbeitet hatte, wurde veröffentlicht. Es besagt, die FSA und andere Rebellengruppen könnten nicht auf weitere Unterstützung von Amerika rechnen und warnt vor Illusionen in dieser Hinsicht. Dies ist wohl eine Folge von Weisungen Trumps, welcher anordnete, die amerikanischen Hilfsgelder für die syrischen Rebellen zu reduzieren.
Israel jedoch würde, anders als die syrischen Rebellen, von Washington als schützenswert angesehen, falls sich der Krieg der Israeli gegen die in Syrien befindlichen Iraner zu einem Zusammenstoss mit den Russen ausweiten sollte. Wenn es einen Grund gäbe, der Präsident Trump zu einer militärischen Aktion gegen die Russen verleiten könnte, wäre es ohne Zweifel dieser: ein Waffengang zwischen den Israeli und den Russen in Syrien. Die iranischen Aktivitäten in Syrien und das dagegen gerichtete Eingreifen der israelischen Luftwaffe bergen das Risiko, solch einen russisch-israelischen Waffengang auszulösen.
Der Umstand, dass nun auch die russische Luftwaffe an der „südlichen Front“ aktiv geworden ist, um die syrische zu unterstützen, erhöht die Spannungen um den Grenzraum. Dort geht es schon heute mehr um Grossmachtinteressen als um die Liquidation der letzten Rebellenbereiche. Israel und Iran wirken dabei als die möglichen Auslöser eines russisch-amerikanischen Zusammenstosses, den Russland und Amerika seit 2015, als Russland in Syrien eingriff, bis heute immer sorgfältig vermieden hatten.