Und effektiv, der Pianist, der auf der Bühne mit dem Rücken zum Publikum spielte, hörte bei den Schultern auf. Doch auf der anderen Seite des hochaufgerichteten Oberkörpers wurden aufregende Töne erzeugt. Gerne hätte man sich ein Bild des Tonkünstlers gemacht, doch der floh, nach einer kurzen Verbeugung am Ende, schleunigst von der Bühne.
Wie Kerzen, die an beiden Enden brennen
Ganz so scheu war Brad Meldau beim Konzert gestern in Basel nicht. Doch, Veranstalter Urs Blindenbacher musste am Anfang Journalisten und Handybesitzer warnen, dass KEINE Fotoaufnahmen gestattet seien, sonst würde das Konzert kommentarlos abgebrochen. Was an Meldaus Kollegen Keith Jarrett erinnert. Doch haben die beiden nicht das Recht, sich jede Störung zu verbieten? Schliesslich komponieren und interpretieren sie gleichzeitig. Wie Kerzen, die an beiden Enden zur selben Zeit brennen. Eine Anstrengung, die kaum zu leisten ist und von vielen nur mit Drogen gemeistert wurde.
Meldau, der mit Drummer Jeff Ballard und Bassist Larry Grenadier konzertierte, gewährte uns gestern immerhin ein Halbprofil. Darauf konnte man die immense Konzentration lesen: Die Stirn gefurcht zu tiefen Kellerfalten, fest zugekniffene Augen, tief heruntergezogene Mundwinkel. Er schien die Musik schmerzhaft aus sich heraus zu pressen. Der Kopf wurde dabei zur Seite geneigt oder hin und her geworfen. Der Oberkörper zuckte und vibrierte, der Unterköper blieb, bis auf den rechten Fuss, der das Pedal bediente, völlig starr.
Klassische Klaviertechnik
Auf die Tasten wurde nie geschaut. Meldau war mit dem Instrument verschmolzen; Wie auch in symbiotischer Verbindung mit seinen Mitmusikern, die gleichfalls versunken wirkten. Und doch fühlte sich das Publikum nicht ausgeschlossen. Viele reife Leute mit vorwiegend jugendlicher Attitüde hatten sich da versammelt. Sie sassen entweder versunken mit gleichfalls geschlossenen Augen. Oder sie bewegten die Glieder im Takt. Keiner sprach oder störte. In den kurzen Pausen zwischen den Pausen wurde zwar geklatscht; doch bis man wieder in der Gegenwart war und daran dachte, ging es schon weiter. Meldau akzeptierte die Huldigung mit einer kurzen Verbeugung im Sitzen mit unbewegtem Gesicht
Brad Meldau wurde 1970 in Florida geboren, spielte schon mit 15 Jahren regelmässig in Jazz Clubs , an Hochzeiten und auf Parties und studierte ab 1988 Jazz und Zeitgenössische Musik in New York. Dabei beeinflussten ihn vor allem die Komponisten Brahms, Schubert und Schumann der deutschen Romantik, an deren Werken er auch seine klassische Klaviertechnik feilte. Aber er in der Folge widmete sich vor allem dem Jazz. Seine 1988 herausgebrachte CD mit Eigenkompositionen wurde ‚Jazzalbum des Jahres’, trotzdem sie ‚ein wenig introvertiert sei, und sicher der Klassik verpflichtet’.
„Das Trio hat meine Identität geschaffen“
Doch schon da wurde man auf den Reichtum der Phrasierungen aufmerksam; seine Gabe, direkt wie ein Sänger, zu tönen, doch auch in fast Bachschen Variationen zu spielen. Er kann sein Instrument wie eine Stimme, doch mit seinem hämmernden Staccato auch wie eine Trommel tönen lassen.
Bereits 1993 bemerkte ein Kritiker: ‚Meldau ist der nächste grosse Starpianist des Jazz.’ Eine Voraussage, die voll erfüllt wurde. Zuerst übte Brad Meldau seine Vielseitigkeit und tourte mit Jazzgrössen wie Pat Metheny und dem Saxophonisten Joshua Redmann, spielte beim Countrysänger Willie Nelson, und komponierte im Auftrag der Carnegie Hall einen Liederzyklus auf die Gedichte Rainer Maria Rilkes für die Sopranistin Renée Fleming. Dann aber gründete er sein Jazztrio, von dem er sagt:"The trio created my identity". Bassist Larry Grenadier war von Anfang an dabei. Drummer Jeff Ballard kam 2005 dazu und gab dem Sound eine härtere Note.
Geforderte Zuhörer
Sein erstes Konzert in Basel spielte Brad Meldau noch allein inmitten der Werke des Kunstmuseums. Heute ist er im Trio immer noch das Zentrum, der führende Kopf, der das Leitmotiv vorgibt, den Rhythmus, den Sound, die Stimmung. Dies tut er mit grosser Bestimmtheit. Vielleicht fühlt er sich im Trio aufgehoben; kann sich weiter hervorwagen, noch mehr experimentieren. Seine Musik wird nicht wie bei einem klassischen Pianisten dargeboten; sie scheint in diesem Moment gerade geboren zu werden. Allerdings, seinen Grimassen nach zu urteilen, unter Schmerzen.
Die Zuhörer sind auch gefordert. Sie bewegen sich durch diverse Stile und Stimmungen. Sie werden mit komplexen, anspruchsvollen Passagen konfrontiert. Auch ihre Konzentration ist total. Doch nach 100 Minuten ist der Zauber zu Ende.
Ein neuer Ton für den Jazz
Das durchaus distinguierte Publikum, aus der Trance erwacht, klatscht, pfeifft und johlt. Meldau verbeugt sich artig, nickt kurz und geht. Kein Lächeln zeigte sich auf dem nunmehr etwas entspannteren Gesicht. Dabei könnte er stolz sein. Der junge Pianist Gerald Clayton sagt: ‚Er brachte dem Jazz ein neues Gefühl, einen neuen Ton. Ich kenne nicht einen modernen Pianisten, der nicht etwas von Brad abgeschaut hat. Ich sagte ihm einmal, dass ich eingelocht gehöre, für alles was ich von ihm gestohlen hätte.’
Wenn Imitation die höchste Form der Anerkennung ist, dann hat sie Brad Meldau damit bekommen.