Mit dem Entscheid für den "Rafale" fiel auch der "Eurofighter" aus dem mehrjährigen Ausscheidungskampf, der letzte Konkurrent unter den ursprünglich sechs Anwärtern. Theoretisch ist nichts entschieden, denn die Franzosen könnten noch über den Preis (stolze 13 Milliarden Dollar) stolpern. Die vier Hersteller des Eurofighter – Grossbritannien, Deutschland, Italien, Spanien – sprechen davon, eine billigere Version ihres "Typhoon" aus dem Hut zu zaubern.
Doch nun hat ihnen die britische Presse einen Strich durch die Rechnung gemacht. Kaum war nämlich der Entscheid gefallen, schrieben sich die britischen Massenblätter in Rage. Nicht nur weil die "Frogs" von jenseits des Ärmelkanals wieder einmal das Rennen gemacht hatten. Noch schlechter kamen die undankbaren Inder weg. Die "Tabloids" hatten nämlich zutage gefördert, dass Grossbritannien in den nächsten vier Jahren dem "armen" Indien Entwicklungshilfe im Umfang von 1 Milliarde Pfund gewährt. Ein Land, das sich derart teure Streitkräfte leiste, könne doch wohl nicht als "arm" bezeichnet werden.
Berechtigter Wunsch nach Abschreckung?
Als der "Daily Telegraph" dann noch einen – früheren – Ausspruch des indischen Finanzministers ausgrub, wonach ausländische Entwicklungshilfe nicht mehr als "Peanuts" sei, war das Mass voll. Premierminister David Cameron wurde aufgefordert, die Hilfe umgehend zu streichen und die Milliarde Pfund ins eigene Schulwesen zu stecken, das unter tiefen Budgetschnitten zu leiden hat. Grossbritannien selber brauche nun Entwicklungshilfe, und überhaupt wisse man ja, wohin Hilfsgelder in Indien wanderten – in die Taschen korrupter Politiker.
Es ist ein altes Argument, und niemand kann sich ihm verschliessen. Es ist stossend, dass ein Staat wie Indien weiterhin Entwicklungshilfe kassiert und sich gleichzeitig eine Millionen-Armee und eine Luftwaffe von über 600 Flugzeugen leistet, vom Korruptionssumpf gar nicht zu reden. 1998, als Indien Atomwaffen testete, kündigten viele Geberländer ihre Entwicklungshilfe auf. Man hatte wenig Verständnis für den Einwand, zwei benachbarte Atomwaffenstaaten, Pakistan und China, rechtfertigten eine nukleare "Abschreckung".
Hilfe mit eigenem Nutzen
Die regionale Gefährdung in Ehren – aber Indien möge sich doch bitte zuerst um ein Minimum von menschlicher Würde und Grundrechte seiner armen Bürger kümmern. Wenn es sich einmal zu Wohlstand emporgearbeitet habe, dann könne es mit seinen Ressourcen tun, was ihm beliebe. Aber es gehe nicht an, dass es seine erste Pflicht – die Armen ernähren, kleiden, behausen – den reichen Ländern überlässt, und sich dafür mit Waffen eindeckt.
Die Schweiz gehörte zu diesen Ländern. Nach 1998 wurde die Entwicklungshilfe stetig heruntergefahren; sie liegt heute bei rund 10 Prozent des früheren Engagements. Andere Staaten waren weniger konsequent. Sie stornierten ihre Hilfe, doch sobald sich die Empörung gelegt hatte, wurde der Support wieder aufgenommen. Länder wie Frankreich und Deutschland hatten nicht einmal dies getan. Sie argumentierten realpolitisch: Mit dem Entzug einiger Milliarden könne man auf ein Land der Grösse Indiens ohnehin keinen politischen Druck ausüben; die internationale Hilfe sei in der Tat "Peanuts" – keine 5 Prozent der jährlichen Entwicklungsprogramme Indiens!
Unrealistische Alternativen
Das realpolitische Argument war aber auch ein Feigenblatt, um zu kaschieren, dass Entwicklungshilfe immer schon der eigenen "Entwicklung" gedient hatte. Man finanziert ein Kraftwerk und sorgt dafür, dass es mit Turbinen aus dem eigenen Land bestückt wird; man stiftet ein Forschungsprogramm über biotechnologische Anwendungen im Agrarsektor, und die grössten Ausgabenposten sind die Saläre der eigenen Experten. 40 Prozent der globalen Entwicklungshilfe ist "gebunden" an Lieferungen aus dem Geberland. Weitere 40 Prozent bleiben in Form von Konsulenten-Honoraren gleich zuhause.
Dieselbe Haltung kennzeichnet auch den Kampfbomber-Entscheid. Die Londoner Zeitungen hatten nichts gegen den Plan Delhis, die Luftwaffe zu erneuern – solange nur der eigene "Typhoon" obenausschwang und zuhause Arbeitsplätze sicherte. Und als der britische Entwicklungsminister erklärte, London stehe zu seiner Indien-Hilfe, dann stand dahinter auch die Sorge, in Delhi kein politisches Geschirr zu zerschlagen. Auch wir müssen uns fragen, ob wir mit unserer moralischen Entrüstung mehr tun als Dampf ablassen. 13 Milliarden Dollar – also 100 Millionen für ein einziges Flugzeug! Was könnte man mit so viel Geld Alles tun! Wir haben vor einigen Jahren in einem kleinen Dorf bei Matheran eine Schule gebaut und eingerichtet, für rund 10‘000 Franken. Für einen "Rafale"-Bomber könnte man also 10‘000 Schulen bauen! Fantastisch! Das Problem bei dieser Milchmädchenrechnung ist nur: Sie werden bereits gebaut.
Nötiges Umdenken
Indien wirft regelrecht Milliarden von Dollar in den Bau von Schulen. Schwierig wird es dort, wo das Geld als Treibmittel nicht mehr greift: Die Motivation der Lehrer, der Einbezug der Eltern, die institutionellen Kontrollen, und vor allem die Lehr- und Lernmethoden, die Klassenpläne und wie gut diese auf die Arbeits- und Lebenswelt der Kinder abgestimmt sind. Solange die "delivery mechanisms" gleich bleiben, würden 100 "Rafale"-Millionen wahrscheinlich nur noch mehr Schulhülsen in die Landschaft setzen.
Persönlich war ich immer gegen die Kürzungen der Entwicklungshilfe. Das Argument, ein Entwicklungsland sei schliesslich selbst verantwortlich für seine Armen, stach für mich nicht. Natürlich ist es dies – aber es ist dies nicht allein. Die Auffassung, dass die Welt in Länder aufgeteilt ist, die letztendlich nur für ihre Bürger verantwortlich sind, steckt tief in uns, das Resultat unserer Sozialisierung in einem Nationalstaat. Im Zeitalter der Globalisierung muss sie sich aber relativieren lassen. Wir können nicht, mit den WTO-Gebotstafeln in der Hand, lautstark "Inländerbehandlung" verlangen, wenn es um transnationale Geldflüsse oder den Marktzugang für unsere Waren geht; doch wenn die Verbesserung der Lebensbedingungen armer Leute angesprochen wird, sind die "Konsumenten" und "Kunden" wieder nur noch "Inder" und "Kenyaner", für die sich gefälligst deren Regierungen einsetzen sollen.
Es geht aber um mehr als wirtschaftliche und rechtliche Globalisierung. Letztlich ist es eine Frage der Ethik, und Ethik kennt keine nationalen Grenzen. Die Realität des Nationalstaats und die Anerkennung einer globalen Mitverantwortung sind kein Entweder/Oder. Die Pflicht des Nationalstaats, für seine Bürger zu sorgen, enthebt den Weltbürger nicht seiner Pflicht zur Mitmenschlichkeit.
Dies anzuerkennen heisst nicht, dass staatliche Entwicklungshilfe das richtige Instrument ist, selbst wenn sie nicht für eigene Interessen missbraucht wird. Auch eine zielgerichtete Hilfe ist selten in der Lage, die Lebensbedingungen der Armen nachhaltig zu verbessern. Die Mechanismen der Armutsprogramme sind gleich geblieben, und sie sind meistens darauf angelegt, die Auswüchse der Armut zu lindern, aber deren Strukturen bleiben unangetastet. Wie anders lässt sich erklären, dass nach 65 Jahren Entwicklungshilfe und Armutspolitik immer noch die Hälfte aller indischen Kleinkinder und Mütter mangelernährt ist?