Der ‚Dalit Panther‘ machte, in einer Sprache voller Kraft und Geschmeidigkeit, seine ‚Maudits‘ zu den gebrochenen Helden seiner Gedichte.
Der ‘Poeta Laureatus von Golpitha’, nannte ihn ein Nachruf. Ein anderer intonierte: ‚Namdeo Dhasal – A Poet of the Underbelly‘. Die beiden Titel waren kein Widerspruch. Denn Golpitha, die Muse des lorbeerbekränzten Dichterfürsten, ist ein Elendsquartier von Bombay, das Zuhause von Schmugglern, Drogenhändlern, Prostituierten und ihren Zuhältern; zum Bersten gefüllt mit dem Schwemmgut von mittellosen Arbeitsmigranten, die zu Tausenden nach Bombay einsickern, auf der Suche nach einem besseren Leben.
Leute wie Namdeo Dhasal. Auch er war, als Schuljunge, vor über fünfzig Jahren mit seiner Mutter hier gelandet, wo sein Vater bereits als Metzgergehilfe arbeitete. Die Dhasals sind Dalits und kamen aus einem Dorf in der Nähe von Pune. Sie gehören der Kaste der Mahars an, die traditionell die verunreinigende Arbeit der Leichenversorgung erledigen und mit diesem Stigma leben müssen. Als der kleine Namdeo im Dorfteich badete, wurde er mit Steinen vertrieben, und dem Primarunterricht musste er auf der Veranda des Schulhauses folgen.
Er stahl auch Bücher
Wie für die meisten Migranten war das erhoffte Paradies auch für Dhasal ein hartes Pflaster, ein enges, und dreckiges dazu. Aber der Junge war auch wissenshungrig, er stahl nicht nur Charas und Lebensmittel, sondern auch Bücher. Er schloss sich tagelang in seiner Hütte ein und las alles, was von Weltliteratur – Marx und Nietzsche, Faulkner und Shakespeare – auf Marathi übersetzt worden war.
Im Jahr 1972 erschien sein erster Gedichtband, ‚Golpitha‘. Er arbeitete damals als Taxifahrer, was ihn die Stadt und ihre Slums kennnenlernen liess – und gleichgesinnte Dalits. Mit ihnen gründete er im gleichen Jahr die Partei der ‚Dalit Panthers‘. Wie die Schwarzen in Harlem und der ‚South Side‘ von Chicago sahen sie sich als die wahren Unterdrückten und predigten die Revolution. 1972 war auch das Jahr, als bei Dhasal eine Geschlechtskrankheit diagnostizierte wurde, an deren Spätfolgen (zusätzlich zu einer späteren Muskelschwunderkrankung und Darmkrebs) er am 15. Januar 2014 mit 64 Jahren starb.
Er verband Ekel und Erotik
Es war eine Krankheit, die er wie eine Ehrenmedaille trug. Sie verband ihn mit den von der guten Gesellschaft geächteten Menschen, die er besang – ihren Zorn, ihre Träume und ihr unwürdiges Leben. Er sang in ihrer Gossensprache, aber mit einer Dichte, Direktheit und Musikalität, die ihn sofort als grossen Marathi-Dichter etablierten, auch wenn man ihn kaum zitieren durfte. Denn er lokalisierte seine Sprache und seine Stadt in den tabuisierten und stigmatisierten intimen Öffnungen des Körpers, er verband Ekel und Erotik, mit einer Aggressivität, die Bewunderung und Schock in Einem auslösten: „Ich bin eine geschlechtskranke Wunde/im Intimbereich der Sprache“.
Dhasal war nicht der erste Dalit-Dichter, und die Tradition des mystischen und sozialkritischen Bänkelgesangs in Marathi geht (mit Bhakti-Mystikern wie Dyaneshwar und Sant Tukaram) bis ins 16. Jahrhundert zurück. Aber Dhasal war der erste modern-städtische Schriftsteller, der das bürgerliche Monopol über den poetischen Diskurs aufbrach und dessen dominantem Blick auf die Stadt widersprach. „Hier stehen sie Schlange, und wollen kosten/Das Gift, süss oder salzig/Der Tod steht hier an, und Worte/In einer Minute werden sie niederprasseln“.
Zwei Mühlsteine, die die Menschen zerreiben
Die Stadt Bombay war Muse und Hure zugleich. Sie war der erträumte Fluchtort vor der sozialen Unterdrückung im Dorf. Doch das Geld, das alle Kastenbarrieren niederreisst, setzt neue und unerbittliche Schranken. Das Luxusquartier von Malabar Hill und dicht daneben die Sandhurst Road – ‚Sandas Road‘, ‚Pissoir-Strasse‘ in Dhasals Diktion – drehen sich wie zwei Mühlsteine, die die Menschen zerreiben. Es sei denn, das Gedicht stemmt sich dagegen, indem es, in den Worten von Dhasals Kollegen Anna Bhau Sathe, einen „weissglühenden Zorn“ entfacht.
Es war der anerkannte Theater-Autor Vijay Tendulkar, der mit einem Vorwort zu ‚Golpitha‘ dafür sorgte, dass schon Dhasals erste Gedichte Gehör fanden: „Namdeo Dhasals Welt und seine Poesie sind hier, zwischen leeren und halbleeren Mägen zuhause, zwischen Männerkörpern, in denen Scham und Scheu herausgebrannt worden sind, der Welt von Zuhältern und Mafiabossen, von muslimischen Gräbern und christlichen Kreuzen, wo leprakranke Frauen auf der Strasse von hinterrücks genommen werden, während ihre Kinder daneben stehen und weinen, wo Prostituierte sentimentale Lieder plärren und auf Kunden warten“.
Zermalmt
Die Gründung der ‚Dalit Panthers‘ zeigte, dass Dhasals Engagement mehr war als flammende Rhetorik. Es ging auch über die Ziele der Mitbegründer der Partei hinaus. Diesen ging es um Identitätspolitik der Dalits, die sich gegen anhaltende Kasten-Diskriminierung auflehnten. Sie waren es, die den Begriff ‚Dalit‘ zum generischen Begriff machten, der auf Deutsch mit ‚zermalmt‘ exakt wiedergegeben wird. Der Name wurde zum emanzipatorischen Programm. Er verdrängte sowohl die herablassende Bezeichnung Mahatma Gandhis (‚Harijan‘, ‚Kinder Gottes‘), wie auch die verschleiernde Bürokraten-Abkürzung ‚SC‘ (für ‚Scheduled Caste‘).
Für Dhasal waren es jedoch nicht nur diese ‚aufgelisteten Kasten‘, die von einem gefühllosen System ‚zermalmt‘ werden. Es waren alle Unterdrückten und Armen, ob muslimische Kleinkriminelle, Flüchtlinge aus Bangladesch oder nepalische Prostituierte. Die ‚Dalit Panthers‘ zerstritten sich und brachen in mehrere Faktionen auseinander. Sie ergaben sich den Verlockungen etablierter Parteien, durch Listenverbindungen Wahlen zu gewinnen und Macht zu kosten. Der Preis war eine Verwässerung ihres radikalen Programms, und bald genug auch die finanzielle Korrumpierung ihrer Träger.
Fremdenfeindlich, chauvinistisch
Doch auch Dhasal war kein blütenweisser Revolutionär. Er blieb seiner schillernden Vergangenheit treu und konnte auch die Überlebensangst nicht überwinden, die selbst Verrat möglich macht. Die Verachtung des bürgerlichen Partei-Establishments behielt er bei, doch dies machte ihn anfällig für populistische Protestparteien wie die ‚Shiv Sena‘. Fremdenfeindlich und chauvinistisch nährte diese die Existenzangst des arbeitslosen Industrieproletariats und nutzte sie, um ihren despotischen Parteigründer Bal Thackeray zum mächtigsten Mann der Stadt zu machen – und die Seinen steinreich. Noch von seinem letzten Krankenbett aus schrieb Dhasal eine wöchentliche Kolumne, voller Verve zwar und praller Sprache, aber auch kompromittiert durch das publizistische Gefäss, in dem sie erschien, dem SS-Hetzblatt ‚Saamna‘.
Treu blieb er bis ans Ende auch seiner Stadt Bombay, selbst wenn es eine Treue zwischen Hure und Freier war, illusionslos, auf Selbsterhaltung bedacht; aber auch wie die eines Tanzpaars, in dem jeder den andern braucht, um über die Runden zu kommen:
Sei uns treu
Wärme unsere Betten
Flöte uns von Ewigkeit
Spiel mit unseren Träumen
Blase Feuer in unsere Spermien
Du leichtfüssiges Flittchen
Du rotzmäulige Schlampe
...
Du Hure mit dem Herz aus Gold
Ich werde Dich nicht verlassen
Wie ein zerlumpter Bettler
Mumbai
Meine geliebte Hure
Ich werde Dich ausrauben und dann gehen.