Einen kleineren Künstler hätte ein solcher Anfangserfolg zerstört. Mit «Blowin’ in the Wind» traf er das Lebensgefühl einer ganzen Generation, mit «Masters of War» spuckte er den Militärs der ganzen Welt die wohl endgültige Anti-Kriegs-Hymne ins Gesicht, mit «Mr. Tambourine Man» schuf er den lyrischsten Drogen-Lobgesang, und spätestens seit diesen Zeilen begann man, Bob Dylan mit Shakespeare zu vergleichen: «Pointed threats, they bluff with scorn /Suicide remarks are thorn / From The fool’s gold mouthpiece /The hollow horn plays wasted words / Proves to warn / That he not busy being born / Is busy dying.»
Es ist schwierig, sich Dylan zu nähern, weil man sich seit seinen Anfangszeiten in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts in seinem Paralleluniversum verliert, in einem beachtlichen lyrischen Werk, in einer musikalischen Welt, in der er alle Zeitströmungen aufnahm, variierte und wieder verliess, um nach Neuem zu suchen. Seine Wurzeln in der amerikanischen Folk-Musik hat er nie verleugnet, zu seinem Götterhimmel gehört Woody Guthry und natürlich «Blind Willi McTell», dem er 1983 ein musikalisches Denkmal setzte, das zu Tränen rührt.
Lust und Leid
56 CDs umfasst sein offizielles Werk, unzählige Bootleg-Alben nicht mitgezählt, meistens Konzertmitschnitte, auf denen er seine Klassiker immer wieder gegen den Strich bürstete, «Blowin’ in the Wind» zu Tode sang, als wolle er sein Publikum bitten, ihn von dieser Bürde endlich zu entlasten. Nur wenige Werke sind belanglos, einige schlampig produziert. Und eine Leidenszeit brach für seine Anhänger an, als er 1979 ein christliches Erweckungserlebnis hatte und mit alttestamentarischer Wucht auf «Slow Train Coming», «Saved» und «Shot of Love» den Weg ins Himmelreich gefunden haben wollte. Schon vorher hatte er sich mit «Street Legal» und dem Song «Changing Of The Guards» endgültig von seiner Rolle als Bänkelsänger der Veränderung, des Fortschritts und des Protests verabschiedet. Aber wer durchhielt, wurde schon ab 1983 mit den Rock-Krachern «Infidels» und «Empire Burlesque» belohnt. Und auf «Oh Mercy», seinem wohl düstersten Album, führte ihn der Produzent Daniel Lanois in die moderne Welt der Studiotechnik ein. Mit «Modern Times» im Jahre 2006, jetzt schalten vielleicht auch jüngere Leser ein, zeigte der Altmeister, dass er immer noch auf der Höhe der Zeit ist. Musikalisch und lyrisch, denn besser hat er sich selbst wohl nie porträtiert als in diesen Zeilen: «Ain't talkin', / just walkin' / Walkin' ever since the other night / Heart burnin', / still yearnin' / Walkin' ‘til I'm clean out of sight.»
Was für ein Monument
Kein Musiker in der westlichen Welt, der etwas Anspruchsvolleres als Tralala singen will, kann den Einfluss von Bob Dylan auf sein Werk verleugnen. Wenn Dylan mit den Fingern schnippt, empfinden es die besten Virtuosen als Ehre, mit ihm ins Studio zu gehen oder ihn auf seiner «Never Ending Tour» zu begleiten, immerhin seit 1988 – bis heute. Für Fans: Am 24. Juni in Sursee. Seine Bühnenpräsenz ist einmalig, obwohl er schon lange den Kontakt mit dem Publikum eingestellt hat. Aber wenn er auftritt, meistens mit einem Hut, der einfach nur gut aussieht, wenn er ihn trägt, dann spürt man ein Kraftfeld, dann wird einem wieder bewusst, dass Musik ein Kraftwerk der Gefühle ist, nur dann zur Kunst wird, wenn sie über sich selbst hinausweist. Wenn Lyrik und Musik und Melodie Emotionen freisetzen, die uns etwas erahnen lassen, was sich anders gar nicht fassen lässt. Genau wie Bob Dylan selbst. Er hätte zum musikalisch-poetischen Übervater einer ganzen Generation werden können, wenn er nicht zu neugierig wäre, immer wieder zu schauen, was wohl hinter dem Horizont liegt oder hinter der nächsten Strassenecke. Aber genau deshalb ist er es wohl doch geworden.
Hören und staunen
Dylanologen auf der ganzen Welt sezieren bis heute seine neusten Poeme, stellen tiefschürfende Thesen auf wie die, dass jeweils der letzte Song einer CD den Weg zum nächsten Werk weist, untersuchen akribisch, welche Tradition der Folk-Musik er nun schon wieder ausgegraben, verändert, neuerfunden hat. Viel besser haben es alle, die bislang noch nicht in seinem Werk ertrunken sind. Ein beneidenswertes Gefühl, zum ersten Mal «Knockin’ On Heaven’s Door» zu hören, bei «Tangled up in Blue» abzuheben, bei «Man In The Long Black Coat» zu erschauern. Oder, soll es nur ein Lied sein, warum hören wir uns nicht alle zusammen «Things Have Changed» an. Der Rhythmus hebt vom Boden ab, wie immer einen halben Ton zu tief und zu spät schafft der Altmeister mit seiner Grabesstimme einen zweiten Spannungsbogen, und wie kann man das aktuelle Zeitgefühl besser fassen als in diesen Zeilen: «People are crazy and times are strange / I’m locked in tight, I’m out of range / I used to care, but things have changed.»
Im heutigen multimedialen Zeitalter: Zieht Euch diesen Video dazu rein, ein Juwel:
Ach, wer Bob Dylan beschreibt, muss scheitern. Hoffentlich bleibt das noch lange so, hoffentlich bleibst du für immer jung. Deine Musik gibt uns die Hoffnung, dass wir es bleiben.