An Weihnachten entdeckte ein Hilfspolizist in der U-Bahn-Station San Antonio in Mexiko-Stadt einen blauen Koffer, in dem der Leichnam einer Frau gefunden wurde. Das Opfer konnte bislang noch nicht identifiziert werden, weil Kopf und Hände fehlen. Die Auswertung von Sicherheitskameras ergab, dass ein 20 bis 25 Jahre alter Mann mit dem Koffer an der Station El Rosario in einen Zug der Linie 7 zustieg und ihn nach etwa einer halben Stunde Fahrt abstellte.
Neben dem Torso befand sich eine Botschaft der „Familia Michoacana“. Bislang war nicht bekannt, dass dieses Drogenkartell, das vor allem in den Bundesstaaten Michoacán, Colima und Guerrero tätig ist, auch in der Hauptstadt operiert, in der bisher nur das Sinaloa-Kartell und Splittergruppen des ehemaligen Beltrán-Leyva-Kartells rivalisierten. Schon früher hatte Präsident Barack Obama „La Familia“ in Michoacán „einen bedeutenden Drogenhändler“ genannt, womit amerikanischen Bürgern bei Strafe jeglicher Kontakt mit der Gruppe oder Mitgliedern der Organisation untersagt ist.
Rüstungswettlauf der Drogenkartelle
Die diversen Drogenkartelle, die in Mexiko und inzwischen auch in den USA operieren, befinden sich in einem kostspieligen Rüstungswettlauf. Schon länger im Einsatz sind selbst gebaute, 30 Meter lange U-Boote, die bis auf acht Meter Tiefe tauchen und bis zu acht Tonnen laden können. Neuerdings setzen sie in ihren Bandenkriegen neben den herkömmlichen Handfeuerwaffen selbstgebaute, gepanzerte Vehikel ein, die aus der Requisite der „Mad Max“- oder James Bond-Filme zu kommen scheinen. Die mexikanische Armee stiess in den letzten Jahren auf mehrere solcher „Narco-Panzer“, die ausgerüstet sind mit einem drehbaren Geschützturm, mit schmalen Schlitzen in der Panzerung, durch die Scharfschützen schiessen können, sowie Vorrichtungen, um Öl oder Nägel auf die Strasse zu sprühen und zu streuen.
Die neusten Panzermodelle, die auf dreiachsigen Lastwagen-Chassis aufgebaut sind, können in ihren mit 2,5 bis drei cm dicken Stahlarmierungen versehenen und klimatisierten Kabinen „locker 20 bewaffnete Leute aufnehmen“, beschrieb ein Armeeoffizier ein derartiges Gerät im Fernsehen. Sie könnten Granatfeuer und dem Beschuss durch 50-cm starke Geschütze widerstehen. Sie hätten sogar eine spezielle synthetische Schalldichtung.
Im Volksmund werden sie „Los Monstruos“ genannt, Sicherheitsoffiziere nennen sie „“rhino trucks“. Bisher wurden sie noch nicht in Auseinandersetzungen mit den Sicherheitsorganen oder der Armee eingesetzt. „Es wird angenommen, dass sie der Abschreckung rivalisierender Banden dienen sollen“, hiess es in einer Power Point Präsentation, die den amerikanischen McClatchy Newspapers zugeschickt worden war.
Einem Vergleich mit einem herkömmlichen Panzer etwa aus einer der deutschen Waffenschmieden wie Rheinstahl oder Krauss Maffei können die „Monster“ oder „Rhinozeros-Laster“ aber längst nicht standhalten. So fand eine Armeepatrouille in der Nähe von Ciudad Mier im Bundesstaat Tamaulipas einen ausgebrannten, militärisch grün angestrichenen Panzer. Er war für zwölf Männer konzipiert und mit zwei Geschütztürmen und sechs Schussöffnungen versehen. Er sei schwer und gross gewesen, aber „in städtischen Gebieten oder auf sanftem oder sandigem Boden nur schwer zu manövrieren“, erklärte die Armee. Diese Fahrzeuge seien ein „verzweifelter Versuch“ der Drogenbarone, „ihre Leute vor den Angriffen des Militärs zu schützen.“
Viel wahrscheinlicher scheint jedoch, dass die Fahrzeuge in den blutigen Fehden zwischen den verschiedenen Drogenbanden zum Einsatz kommen. Gerade in Tamaulipas kämpfen Los Zetas (zu denen das FBI, die DEA und CIA gute Kontakte pflegen, um Informationen über konkurrierende Banden wie das Sinaloa-Kartell in Erfahrung zu bringen) und das Golfkartell erbittert um die Kontrolle der Schmuggelwege nach Texas.
Die Zetas
Einst hatten die Zetas als Top-Bodyguards begonnen. Es waren US-trainierte Soldaten der militärischen Sonderkommandos (SOF, Navy Seals), die in den neunziger Jahren von Osiel Cárdenas Guillén, dem damaligen Chef des Golfkartells (Er wird heute in US-Haft gehalten.), mit grosszügigen Gehaltsangeboten zur Fahnenflucht verführt worden waren. Die Zetas brachten militärische Kompetenz in den Drogenhandel und wurden bald berüchtigt für ihre grenzenlose Gewaltbereitschaft und Effizienz. Nach etlichen Jahren waren sie aus ihrer Rolle als bewaffneter Flügel des Golfkartells herausgewachsen und begannen, als Ausbilder oder freiberufliche Söldner für andere Gruppen und Organisationen und schliesslich als eine selbständige kriminelle Organisation für sich selbst zu arbeiten. Als unabhängige Organisation gerieten die Zetas allerdings bald mit etlichen ihrer alten Alliierten wie der Familia oder dem Golfkartell in Fehde.
Zwar behaupteten die mexikanischen Sicherheitsbehörden, die meisten der Zetas (zeta span. für Z) seien in den erbittert geführten Bandenkriegen und bei Zusammenstössen mit Sicherheitskräften gefallen. Das US Department of Homeland Security warnte jedoch vor einer neuen Generation von Zetas, die Zetitas genannt würden, die kleinen Zs, die ihr eigenes Methamphetamine-Handelsnetz aufgebaut hätten, das bis Arkansas und Tennessee reiche – und zu denen die amerikanischen Gesetzeshüter offenbar nicht so gute Kontakte haben wie zu den grossen Zetas.
US-Agenten im Einsatz
Die US-Strafverfolgungsbehörden schätzen, dass jährlich etwa zwölf bis 15 Milliarden Dollar aus den Vereinigten Staaten an die mexikanischen Drogenhändler fliessen, und das nur in bar, nicht einbezogen andere Einnahmen, die per Überweisung oder elektronischem Banking auf die Konten der Drogenbarone flössen. Andere US-Behörden einschliesslich das Government Accountability Office and des National Drug Intelligence Center schätzten die Gewinne der mexikanischen Kartelle aus den Geschäften mit ihren amerikanischen Kunden sogar auf über 25 Milliarden Dollar.
Mit der Mérida-Initiative begannen die USA 2008 ein auf Jahre angelegtes 1,4-Milliarden-Dollar-Programm, um Mexiko und seine mittelamerikanischen Nachbarn im Kampf gegen den Drogenhandel, transnationale und organisierte Kriminalität und Geldwäsche zu unterstützen. Offiziell beinhaltet die Hilfe die Ausbildung Tausender Polizisten, Grenzbeamter, Staatsanwälte, Richter, Gefängniswärter und anderen Sicherheitspersonals, die Lieferung von Ausrüstung einschliesslich Black Hawk Helikopter und hochtechnischem Grenzkontrollgerät sowie Aufklärung. Gleichzeitig fliegen US-Piloten Aufklärungsflüge über Mexiko, hören US-Experten Tausende Telefone ab und klinken sich in Computersysteme ein. Zwar verbietet die mexikanische Verfassung ausländischen Agenten und Sicherheitsoffizieren in Mexiko zu operieren, doch Agenten der amerikanischen Antidrogenbehörde DEA und der CIA sind im Einsatz südlich des Río Grande, amerikanische Soldaten und Söldner von Vertragsfirmen sind auf einem mexikanischen Militärstützpunkt stationiert.
Zwischen 60 000 und 100 000 Menschen sind diesen Bandenkriegen und dem Kampf gegen die Drogenbarone zum Opfer gefallen. Doch angesichts bestochener Politiker oder gekaufter Polizisten erscheint unklar, wie dieser Drogenkrieg zu gewinnen sein soll. Vor einem Jahr wechselte eine ganze Militäreinheit die Fronten und ging in den Los Zetas auf. In Mexiko „ist die Zivilgesellschaft bedroht“, kündigte die Universität Bonn im Vorlesungsverzeichnis ein Seminar an. Noch wird es nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert, doch inzwischen macht das Wort vom „gescheiterten Staat“ die Runde.