Wir freuen uns, dass wir ab jetzt Daniel Vischer, Anwalt und Nationalrat (Grüne) bis 2015, zu unseren Kolumnisten zählen dürfen. Hier sein erster Artikel.
Christoph Blocher sieht die Schweiz auf dem Wege in die Diktatur. An sich sind solche Übertreibungen Blochers nicht besonders ernst zu nehmen. Sie haben seit je her etwas Durchgeknalltes und dienen vor allem der Steigerung der Medienaufmerksamkeit. Schon gar nicht ernst zu nehmen sind sie, wenn eine solche Diagnose der Festrede auf der SVP-Weihe auf dem Albisgüetli entstammt.
Beängstigend und ernst zu nehmen wird es allerdings, sieht man Details an, die von Blocher als Beleg für seine Behauptung angeführt werden. Da heisst es im gedruckten Redetext laut Tages-Anzeiger, besonders schlimm seien die Bundesrichter, sie strebten eine „Diktatur der Minderheit“ an. „Wir müssen uns nicht nur vor fremden, sondern auch vor den eigenen Richtern hüten“. Nur dumm und lächerlich ist dann die Bemerkung, Geisteswissenschaftler seien keine Wissenschaftler mehr, sondern „pseudowissenschaftliche Diktatoren“.
Verschärfte, korrigierte Ausschaffungsinitiative
Blochers Lamento über die „classe politique“ sodann langweilt nur noch. Die Suada gegen die Bundesrichter evoziert indessen deshalb Hellhörigkeit, weil es genau darum bei der sogenannten Durchsetzungsinitiative geht. Um das gleich vorweg klarzustellen: Bei der Durchsetzungsinitiative wird nicht die vom Volk angenommenen Ausschaffungsinitiative durchgesetzt, sondern wir sind mit qualitativ neuen Verfassungsbestimmungen, welche die 2009 angenommene SVP-Volksinitiative korrigieren und verschärfen, konfrontiert.
Die neu Initiative verstärkt vor allem den Automatismus der Ausschaffung, indem sie jegliche Verhältnismässigkeitsprüfung von vorneherein ausschliessen will und den Deliktskatalog im Wiederholungsfall auch auf die Bagatelldelinquenz ausdehnt. Als Detail sei einzig angeführt: Indem der Sozialhilfebetrug, nicht aber der Steuerbetrug als Ausschaffungsgrund im Deliktskatalog aufgeführt wird, offenbart die Initiative auch klipp und klar ihren sozialen Klassencharakter.
Ausgeschaltetes Parlament
Die Ausschaltung der richterlichen Einzelfallprüfung gehört zu einem neuen Trend der Strafrechtsverschärfung, die wir in der Schweiz seit der Verwahrungsinitiative kennen. Sie fand dann in der Ausschaffungsinitiative und jüngst in der „Pädophileninitiative“ ihre unrühmliche Fortsetzung. Bis zur Annahme der Ausschaffungsinitiative war für die Ausschaffung zufolge einer Straftat die Höhe des Strafmasses im Einzelfall entscheidend, womit alle Umstände des Einzelfalles, vor allem das Verschulden, massgebend waren. Die SVP will aber ein Straf- und Ausländerrecht, bei welchem die Einzelfallprüfung möglichst eingeschränkt oder wie hier ausgeschaltet wird.
Die Durchsetzungsinitiative führt diesbezüglich zu einem neuen Höhepunkt, weil die Länge der Aufenthaltsdauer in der Schweiz und die konkreten familiären Lebensumstände für die Ausschaffung auch bei einer nur geringfügigen Bestrafung zufolge eines Deliktes im Initiativkatalog keine Rolle mehr spielt. Dazu kommt, dass auch das Parlament bezüglich Umsetzung ausgeschaltet ist.
"Minderheitsschützer"
Dass dies gegen das als Grundnorm in unserer Bundesverfassung aufgeführte Verhältnismässigkeitsprinzip und Art. 8 EMRK verstösst, wissen auch die Initianten. Und sie wissen auch, dass bei Annahme der Initiative ein Schwall von Beschwerden im Einzelfall kommen wird. Aber genau darauf zielt die SVP: auf die Verschärfung des Konfliktes zwischen einer plebiszitär ausgenützten Referendumsdemokratie vornehmlich im Bereich des Ausländer- und Strafrechtes gegen die von Gerichten gewahrten Grundsätze der Bundesverfassung von 1999 und Kernprinzipien des Völkerrechtes.
In der Tat schützen Bundesrichter des Bundesgerichtes die Rechte von Minderheiten nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip im Einzelfall, weil der gerichtliche Grundrechtschutz unserer Verfassung und der EMRK nicht der volatilen Stimmung bei einer Volksabstimmung zum Opfer fällt, sie sind mithin von Berufs wegen „Minderheitenschützer“.
Permanenter Ausnahmezustand
Wenn schon jemand in der Schweiz eine Diktatur will, eine „plebiszitäre Mehrheitsdiktatur“, welche alle grundrechtlichen Schutzbestimmungen vorab für Ausländerinnen und Ausländer wegspült, dann ist es Blocher. Ihm geht es um einen permanenten Ausnahmezustand, bei welchem das Verfassungsgerüst der Verfassung von 1999 für bestimmte Bevölkerungsteile und bei bestimmten Täterkategorien von vorneherein ausser Kraft fällt. Souverän ist bekanntlich nach Carl Schmitt, wer über den Ausnahmezustand verfügt, in unserem Fall kein Diktator, sondern eine plebiszitäre „Mehrheitsdiktatur“.
Unnötig zu schliessen, dass ein Nein bei der „Durchsetzungsinitiative“ essentiell ist. Aber es ist auch nicht so, dass die SVP bei einem Ja den Kampf gegen den Verfassungsstaat bereits gewonnen hätte. Professor Daniel Thürer hat im Tages-Anzeiger vom letzten Samstag gut aufgezeigt, dass das Verhältnismässigkeitsprinzip unserer Verfassung auch dann im Einzelfall zur Anwendung gelangt, wenn eine Spezialbestimmung der Verfassung dies nicht speziell erwähnt, weil es sich um eine übergeordnete Verfassungsnorm handelt.