Der italienische Regierungschef kann weiterregieren – vorerst.
„Wenn Ministerpräsident Conte im Senat 155 Stimmen erhält, ist dies ein Sieg“, hiess es am Dienstag früh in Regierungskreisen. Conte erhielt 156 Stimmen.
Eher überraschend hat die kleine italienische Kammer am Dienstagabend spät der Regierung Conte das Vertrauen ausgesprochen – allerdings nicht mit absolutem, sondern nur mit einfachem Mehr. Doch um zu regieren, braucht er das absolute Mehr nicht.
Unterstützt wurde er unter anderem – zum Ärger der Parteiführung – auch von zwei Senatoren von Berlusconis rechtsstehender „Forza Italia“. Diese wurden sogleich aus der Partei ausgeschlossen. Schon am Vortag hatte sich eine frühere Forza-Italia-Politikerin für Conte ausgesprochen.
Der schwierigste Tag in seinem politischen Leben
Der Ministerpräsident wird jetzt eine neue Regierung mit teils neuem Personal bilden. Getragen wird er weiterhin vor allem von den Sozialdemokraten und der Fünf-Sterne-Bewegung.
Am Montag hatte schon die Abgeordnetenkammer (die grosse Kammer des Parlaments) Conte das Vertrauen ausgesprochen. Conte erhielt sechs Stimmen mehr als die absolute Mehrheit. Doch die Abstimmung in der kleinen Kammer, im Senat, war für Conte wohl die schwierigste Prüfung in seinem politischen Leben.
Bis Dienstagabend stand keineswegs fest, dass er auch eine Mehrheit im Senat erlangen würde. Eine Krisensitzung jagte die andere.
Salvini jubelte schon
Da der frühere Ministerpräsident Matteo Renzi und seine winzige Partei „Italia Viva“ der Regierung den Rücken gekehrt hatten, hatte Conte die Mehrheit im Senat verloren und war damit regierungsunfähig.
Er suchte nun verzweifelt Ersatz für die abtrünnigen Renzianer (die Politiker und Anhänger von Renzis Partei). Es sah nicht so aus, dass ihm das gelingen würde.
Die Rechtspopulisten von Matteo Salvini und die Postfaschisten von Giorgia Meloni jubelten schon und forderten schnelle vorgezogene Neuwahlen. Solche könnte die populistische Rechte laut Umfragen gewinnen.
„Unwürdiger Kuhhandel“
Conte kämpfte jetzt um jede Stimme. Er machte Versprechen da und dort, bot Posten an, zum Beispiel das Landwirtschafts- und Familienministerium oder das Ressort eines Staatssekretärs. Georgia Meloni bezeichnete das als „unwürdigen Kuhhandel“.
Conte versuchte auch einige Splitterparteien zu ködern, indem er sich für das Verhältniswahlrecht aussprach. Ferner hoffte er, dass einige der sechs Senatoren auf Lebzeiten, unter ihnen der frühere Ministerpräsident Mario Monti, für ihn stimmen würden. Was sie dann auch taten.
Renzis Ego-Poker
Doch einen schloss er aus: Das Tischtuch zwischen Conte und Renzi scheint endgültig zerschnitten. Allerdings ist in der Politik nie etwas endgültig.
Renzi, der frühere sozialdemokratische Ministerpräsident, war im September 2019 aus dem sozialdemokratischen „Partito Democratico“ (PD) ausgetreten und hatte eine eigene Partei gegründet. Doch „Italia Via“ dümpelt in Meinungsumfragen zwischen 2,5 und 3,5 Prozent dahin. Renzis Kritiker sind der Ansicht, er habe die jetzige Regierungskrise ausgelöst, um sich zu profilieren und seiner darbenden Mini-Partei Aufschwung zu verleihen.
„Ohne plausiblen Grund“
Renzi lancierte am Dienstag eine neue, harte Attacke gegen den Premierminister: „Wir brauchen eine stärkere Exekutive“, sagte er. Früher bezeichnete er Conte als „völlig unfähig“.
Conte beklagte Renzis „aggressiven Stil“. Der frühere Ministerpräsident habe „ohne plausiblen Grund“ die jetzige Regierung in eine schwere Krise gestürzt. Er werde nie mehr mit Renzi zusammenarbeiten, sagte Conte gegenüber Vertrauten.
Risse in Renzis Partei
Die Parlamentarier von Renzis Italia-Viva-Partei jedoch behandelte Conte wohlwollend. Er hoffte, nicht zu Unrecht, dass der eine oder andere dann doch für ihn stimmen würde. Nicht alle Abgeordneten und Senatoren von Italia Viva fanden es eine gute Sache, dass ihr Chef in solch schwierigen Zeiten die Regierung stürzen wollte.
Renzi schien etwas kalte Füsse bekommen zu haben. Wie schon bei der Abstimmung am Montag in der grossen Kammer, enthielten sich die Renzianer der Stimme und votierten nicht gegen Conte. Teresa Bellanova, ein Schwergewicht bei Italia Viva, erklärte am Dienstag: „Mit der Stimmenthaltung wollen wir sagen: Wenn ihr weiter inhaltlich mit uns diskutieren wollt, ist das ok.“
„Endlich ein echter Staatsmann“
Offenbar hatte Contes starke, fast einstündige Rede in der grossen Kammer doch noch einige Unschlüssige überzeugt, für ihn zu stimmen. Saverio De Bonis, ein Senator, der die Ausland-Italiener vertritt, sprach von einer „hochkarätigen“ Rede. „Endlich ein echter Staatsmann in Italien.“
Conte hatte am Montag in der Abgeordnetenkammer (der grossen Kammer des Parlaments) an „die pro-europäischen, sozialistischen, liberalen und volksnahen“ Kräfte appelliert, ihn zu unterstützen. Er nannte sie „die Willigen“ („volenterosi“).
Damit schloss er deutlich und klar die Rechtpopulisten von Matteo Salvini und die Postfaschisten von Giorgia Meloni aus. Diese reagierten im Parlament mit Zwischenrufen, Sprechchören, Gegröle und dem Hochhalten von Transparenten („Conte, demissioniere!“). Parlamentsdebatten haben in Italien oft etwas Theatralisches an sich.
156 zu 140
Zwar war eigentlich alles gesagt, doch die Senatoren setzten am Dienstag um 09.30 Uhr zu einem stundenlangen Redemarathon an. Um 17.30 Uhr hielt Conte das Schlusswort. Um 21.20 Uhr begann die Abstimmung.
Ergebnis: 156 Senatorinnen und Senatoren stimmten für die Regierung Conte, 140 dagegen. 16 enthielten sich der Stimme. Hätten die Renzianer sich nicht der Stimme enthalten und gegen Conte gestimmt, wäre das Ergebnis sehr knapp ausgefallen.
Am Schluss kam es zu einem kleinen Tumult. Es ging um die Frage, ob zwei Senatoren, die Conte freundlich gesinnt sind, rechtzeitig zur Abstimmung erschienen waren oder nicht. Die Parlamentspräsident entschied schliesslich nach Konsultation der Parlamentsvideos, dass ihre Stimmen gezählt würden.
Was bedeutet das alles: Conte kann weiterregieren. Doch sein Kabinett steht auf schwachen Füssen. Er ist jetzt auf noch mehr Strömungen angewiesen als bisher. Es braucht nur wenige Dissidenten, und seine neue Regierung ist wieder in Gefahr.
Und Matteo Renzi? Wie es mit ihm weitergeht, ist unklar. Er hat fürs erste eine Ohrfeige gekriegt. Die Abstimmungen in der Grossen und der Kleinen Kammer haben gezeigt: Es geht auch ohne Renzi. Zumindest vorläufig.