Bill Viola, 1951 in New York geboren, ist wohl einer der berühmtesten Videokünstler der Gegenwart. Er wird weltweit als Pionier und Visionär anerkannt. Im Rahmen eines breit gefächerten interdisziplinären Studienganges machte sich Viola auch vertraut mit verschiedenen Kultur- und Kunstformen, befasste sich mit Religion und Philosophie. Ebenso blieb ihm die elektronische Musik nicht fremd. Neun Werke dieses bedeutenden Video-Künstlers vermitteln gegenwärtig in einer originellen Ausstellung im Kunstmuseum Bern und zeitgleich im Berner Münster einen Einblick in die Vielseitigkeit von Violas Schaffen.
Viola Schau in Paris
Parallel und zeitgleich zur Ausstellung in Bern findet im Grand Palais in Paris ebenfalls eine umfassende Bill Viola gewidmete Ausstellung statt. Es handelt sich um die grösste je veranstaltete Viola-Retro-spektive. Insgesamt 22 Installationen vermitteln dem Pariser Publikum einen nahtlosen Querschnitt durch das Schaffen des amerikanischen Pioniers der Videokunst. Ein grandioses metaphysisches Panorama. Die Ausstellung dauert bis zum 20.Juli 2014. Im Gegensatz zu Bern hat das Grand Palais einen Katalog herausgegeben, der allerdings auch im Berner Museum erhältlich ist. A. Pf.
Es ist das erste Mal seit über 20 Jahren, dass in der Schweiz eine aussagestarke, umfassende Auswahl von Violas Werken zu sehen ist. Die letzte Einzelausstellung fand 1993 im Musée des Beaux-Arts in Lausanne statt. Für die Berner Doppel-Ausstellung, sind Werke aus der Zeit von 1977 bis 2008 ausgewählt worden. Als Ausstellungsmacher zeichnen Kathleen Bühler, Kuratorin des Kunstmuseums Bern und Martin Brauen, Ethnologe und freischaffender Kurator (über 100 Ausstellungen im In- und Ausland). Der Künstler selber und seine Frau und künstlerische Partnerin, Kira Perov, haben das Berner Team, zu dem auch Sarah Merten, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Kunstmuseums gehört, massgebend unterstützt.
Der Video-Mystiker
Passions lautet der Titel der Ausstellung. Nicht zufällig wurde die Eröffnung in die Passions-Zeit verlegt. Das Thema ist jedoch zeitlos und reicht das christliche Fest hinaus. Viola beschäftigt sich primär mit Leben und Tod, mit dem Werden und Vergehen, mit Schmerz und Leid, dem Diesseits und Jenseits. „Sein Werk beruht auf einer Auseinandersetzung mit Grunderfahrungen des menschlichen Seins, um Geburt, Tod und Bewusstwerdung“, präzisiert Kuratorin Kathleen Bühler. Inspiration findet er in religiösen Ritualen und in der Gedankenwelt der Mystiker. Nicht selten wird er Video-Mystiker genannt. Zen, Buddhismus, lslamismus und natürlich das Christentum sind Quellen für seine schöpferische Arbeit. Ebenso fand er Vorbilder in der Renaissance Malerei. Aufenthalte in Florenz und Siena zeugen davon. Zu seinen Vorbilder zählen auch Künstler Albrecht Dürer (1471 – 1528) oder Hieronymus Bosch (1450 – 1516) um nur diese zu nennen. Ein Künstler der ihn besonders geprägt habe sei Giotto (1267 – 1337), wie er in einem Zeitungsinterview festhielt. „Er ist mein Held“, erklärte Viola in Bern. „ Er malte in seinen Fresken Tränen, zu einer Zeit als kein anderer solche Emotionen malte“, präzisierte der Videokünstler weiter. Emotionen stehen bei Viola im Zentrum. „Der Weg den ich gehe ist emotional“, sagte er andernorts. „Die Menschen haben die wahre Bedeutung der Gefühle aus den Augen verloren“ bedauert er.
Fünf Werke im Münster
Violas Präsenz im Berner Münster ist für viele eine Herausforderung. Mutig hat die reformierte Kirchgemeinde des Berner Münsters die Idee des Kunstmuseums Bern aufgenommen, im sakralen Raum Videoinstallationen aufzustellen. Es war eine spontane Zusage und aktive Mithilfe. Ungewohnt und überraschend wirken die fünf Werke des Bildmagiers im nüchternen, würdevollen protestantischen Kirchenraum. Die fünf neueren Werke, die im Münster zu sehen sind, sind ganz den spirituellen und universal-menschlichen Themen gewidmet. Im Mittelpunkt stehen jeweils Menschen in symbolischer Haltung begriffen, welche einen verweis auf kirchliche Rituale mit ihrer universalen Bedeutung von Reinigung, Wandlung und menschlicher Anteilnahme darstellen. In der eindrucksvollen Umgebung des Münsters treten die lyrischen Videofilme von Bill Viola in einen Dialog mit den christlichen Darstellungen von Leidenserfahrungen in Glasmalerei und Skulptur. Der Ausstellungstitel bezieht sich auch auf die Passion als urchristliche Erfahrung. Violas Passions-Visionen erweitern den Blick und schliessen die ganze von Schmerz, Leid und Not geplagte Menschlichkeit ein. Für die ausgestellten Videos hätte es sicher keinen besseren Ort als das Münster geben können. Der sakrale Raum, ein von Viola sehr bevorzugter Ausstellungsort, lässt die spirituelle Aussagekraft sehr eindringlich verspüren. Weltliche Ereignisse und Erlebnisse werden in spirituelle Dimensionen gerückt.
Wasser, Quelle des Lebens
Gleich beim Eingang in das Münster steht ein knapp sieben Minuten dauerndes Video, „Ablutions“, 2005, das zwei Menschen zeigt, die Hände waschen. Die Geste der Reinigung beim Betreten eines heiligen Raumes ist in vielen Religionen Tradition. Das Wasser spielt in Violas Schaffen zudem eine besondere Rolle. Es geht auf ein Erlebnis in seiner Kindheit zurück. Er berichtet wie er in einen See gestürzt sei, auf dem Seeboden lag, in der Wassermasse versunken und schliesslich gerettet wurde. Es sei ein Beinahetod gewesen. Jedenfalls hat ihn das Wasser-Erlebnis nie mehr losgelassen. Ein Erlebnis mit nachhaltigen Folgen. In zahlreichen Werken sind die Menschen mit Wasser konfrontiert. In „Three Women“ (2008), aus der Serie Transfigurations; beispielweise treten drei Frauen hinter einem Wasservorhang hervor an das Licht. Um später wieder zurückzutreten. Der Künstler deutet eine innere Verwandlung an. In „Tempest“ (Study for the Raft, 2005) wiederum wird eine Menschengruppe plötzlich von hereinbrechenden Wassermassen überrascht. Die Einzelnen finden sich in diesem Moment zu einer Gemeinschaft zusammen. Ihr Verhalten in schicksalträchtiger Stunde lässt auch seelische Veränderungen erahnen.
Eindrucksvoll und aussagestark auch das Werk Study for Emergence, 2002. Das Video im Chor zeigt zwei Frauen neben einem Brunnentrog kniend. Langsam steigt ein Mann (Jesus ?) aus dem Brunnen oder Grab hinauf. Die Frauen nehmen ihn auf, legen ihn in ein Tuch, Wasser schwappt aus dem Brunnen. Eine Auferstehung zu einem gereinigten Leben. Ganz vorne im Chor die Installation „Observance“ 2002. „Erstmals seit der Reformation ist im Münster wieder ein Altarbild zu sehen“, notiert der Kulturjournalist Konrad Tobler im Berner „Bund“. Und auch dieses starke Bild lässt nicht gleichgültig. „Ein steter Strom von Menschen bewegt sich langsam auf uns zu. Vorne in der Schlange angekommen, halten die Menschen von Gefühlen überwältigt inne. Ihr Blick ist fixiert auf ein unbekanntes Objekt das sich ausser Sichtweite befindet. Ein Hauch von Feierlichkeit und Trauer durchdringt die Szene“. So kommentiert Bill Viola dieses Werk. Kathleen Bühler liefert zu den Bildern folgende Erklärung: „Im Dialog mit den traditionell christlichen Darstellungen von Bedrohungen und Leidenserfahrungen wie sie beispielweise im Jesaja-Fenster im Seitenschiff des Münsters oder in der Pietà in der Bubenbergkapelle zum Ausdruck kommen, bringen uns Bill Violas Darstellungen dem Kern spiritueller Erfahrungen nahe „.
Vier Werke im Museum
Das reichhaltige Schaffen des Meisters der bewegten Bilder kommt in der Ausstellung im Kunstmuseum selber mit vier nicht weniger eindrucksvollen Video-Installationen zum Ausdruck. Es handelt sich hier um Arbeiten aus früheren Jahren. Sie zeigen die stilistische und inhaltliche Entwicklung vom Frühwerk zu den aktuellen Arbeiten auf. Die Werke stammen zum Teil aus der eigenen Museumssammlung. Die Berner Institution hat nämlich schon in den 90er Jahren Werke von Bill Viola angekauft und damit einen Pionier der Videokunst in ihrer Sammlung verankert. Die vier für die Präsentation ausgewählten Werke zeigen Violas Beschäftigung mit den Phänomenen der Sinneswahrnehmung, der Selbsterkenntnis des Menschen. Die Videoprojektionen sind in einzelnen Räumen im Museum verteilt. Während es sich im Münster um kurze Videos handelt (höchstens 15 Minuten) dauern die Arbeiten im Museum bis zu ca. eine Stunde.
„The Reflecting Pool“ (1977-79) ist das einzige Kurzvideo (7 Minuten). Auch hier spielt das Wasser eine zentrale Rolle. Ereignisse sind nur als Spiegelungen auf der Wasseroberfläche zu erkennen. “Chott el-Djerid /A Portrait in Light and Heat“ aus dem Jahre 1979 ist eine phantastische Geschichte in einer phantastischen Landschaft eines ausgetrockneten Salzsees in der tunesischen Sahara. Hitze und Wüste wecken Halluzinationen. Mit „Hatsu„-Yume“(First Dream) 1981, entführt Viola seine Zuschauerinnen und Zuschauer aus der urbanen Landschaft (Tokyo) in einen paradiesischen Bambuswald. Zwei wesentliche Elemente tragen die Botschaft: Wasser, die stets auftauchende Quelle des Lebens. Und Licht, das aus der Dunkelheit führt. Grossartige Bilder, die zur wunderbaren Sprache der Seele werden und eine zeitlose Botschaft überbringen. Emotional das Video The Passing“ (1991), Bill Viola definiert die 54minutige Darstellung als „eine Auseinandersetzung spirituellen Extremen von Geburt und Tod in der Familie“. Inspiriert ist das Werk vom Tod der Mutter.
Viola, Technik und Geist
Bill Viola, hat die Videokunst im Laufe der letzten Jahre grundlegend verändert und geprägt .Mit seinen Arbeiten hat er nicht unwesentlich dazu beigetragen, die Videokunst aus der experimentellen Unterground-Szene heraus zuführen und als international anerkannte zeitgenössische Kunstform zu etablieren. Wie kaum einer beherrscht Viola die technischen Mittel und weiss meisterhaft die allerneusten Technologien und modernsten Aufnahme- und Wiedergabe-Geräte zu handhaben.. Trotzdem mag er die Bezeichnung Videokünstler nicht, wie er selber sagt. „Ich betrachte mich als Künstler“, betont er ausdrücklich. Zufällig benutze er nun mal Video, weil dieses „Medium ganz klar die relevanteste visuelle Kunstform der Gegenwart“ sei. Die Vernarrtheit in High Tech Geräte, wie sie den Amerikanern ganz speziell zu Eigen ist, ist ihm eher zu wider. Ebenso beklagt er die „Überbewertung der Technologie“. Es ist bezeichnend, dass Violas Stil durch Langsamkeit, Entschleunigung, geprägt ist. Er will zur inneren Einkehr, zu Stille anregen. „Wir müssen dem Geist erlauben zur Ruhe zu kommen“, lautet sein Credo und er betont:: „Das ist es, was Kunst zu leisten vermag“. „Mir ist bewusst, dass der wahre Ort des Kunstwerkes nicht auf dem Bildschirm, der Wand oder im Raum befindet, sondern in der Seele und im Herzen der Menschen. Dies ist der Ort, wo alle Bilder lebendig sind“, ist Viola überzeugt.
Bill Viola: Passions. Kunstmuseum Bern und Berner Münster. Bis 20.Juli 2014. Öffnungszeiten: Kunstmuseum: Dienstag 10 bis 21 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 10 bis 17 Uhr. Montag geschlossen. Berner Münster täglich 10 bis 17 Uhr (ausser bei Gottesdiensten). Kleiner, handlicher Ausstellungsführer 7 Franken. Zahlreiche Begleitveranstaltungen und Führungen.