Männer können im Konfirmationsanzug politische Karriere machen. Das bleibt den Frauen im Konfirmationskleid verwehrt. Für Nichtprotestanten gilt es sinngemäss. Jedenfalls keine Gleichberechtigung. Der Konfirmationsanzug lässt sich während einiger Jahre dem wachsenden Hängebauch anpassen und später gleichwertig ersetzen. Dunkler Veston, dunkle Hose, irgendein Hemd, Schlips oder keinen. Fertig ist die graue Maus, um es an der Kletterstange oder im Lift nach oben zu schaffen.
Allzweck-Erfolgs-Garderobe
Ob gebügelt oder zerknittert, ob mit oder ohne Nackenfalten, ob Zweiknopf- oder Dreiknopf-Veston, ob mit schlotternden Hosenstössen oder schmalen: das spielt samt missgriffig gewählter Krawatte für den gesellschaftlichen Aufstieg nicht die geringste Rolle. Sowohl das leidlich modische als auch das für die Textilsammlung reife Einerlei kleidet die Herren der Schöpfung vom Kreisparteikassier über den Kantonsrat bis zum Bundespräsidenten tadellos. Gerade mal ein paar Snobs rümpfen die Nase. Sie sind für den Wahlsieg unerheblich.
Von der praktischen Allzweck-Erfolgs-Garderobe können Frauen nur träumen. So weit, so einfach. Aber es ist in Wahrheit spannender und komplizierter, auch ungerechter und doch wieder nicht. Die Ausstellung «Robes politiques – Frauen Macht Mode» im Textilmuseum St. Gallen lädt zum ergötzlichen Staunen und erhellenden Nachdenken ein. Tenue frei.
Gratwanderung
Die von Annina Weber und Claudia Schmid im Rahmen des «Schweizer Frauenstimmrechtsjubiläums» erlesen kuratierte Schau geht von zwei Tatsachen aus. Zum einen von der männlichen Entgleisung, Frauen abschliessend noch immer nach ihrem Äusseren zu beurteilen, zum andern vom weiblichen Vergnügen, die eigene Geltung mit der Garderobe zu betonen und mit ihr politische Statements zu formulieren. Eine Gratwanderung zwischen Selbstbewusstsein und der Gefahr, den stieläugig nörgelnden Männern in den Hammer zu laufen.
Die Kuratorinnen verdeutlichen mit fünfzig textilen Objekten vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart «die Spannungsfelder zwischen Weiblichkeit und Machtposition, Skandal und Idealisierung, Volksnähe und Repräsentation».
Machtdemonstration
Ein Spannungsfeld gab es für adlige Frauen bis zur beginnenden Neuzeit nicht. Für Herzogin Eleonora von Toledo und Erzherzogin Isabella Clara Eugenia beispielsweise war die Machtdemonstration mit Goldstickereien, Spitzen, Purpur und Schleppen unumstritten klar, Katharina die Grosse unterstrich auf Gemälden ihren Herrschaftswillen mit Krone, Zepter und Reichsapfel. Die eigene Person als verehrungswürdige und respektgebietende Monstranz.
Katharina von Wattenwyl, Berner Spionin in französischen Diensten, war eine der Frauen, die im 17. Jahrhundert die Rollenmuster sprengte, ihre Weiblichkeit betonte, ihr wallendes Haar zeigte und einen Hauch von Laszivität.
Individuelle Kreativität
Im 20. Jahrhundert wurden hochgestellte Frauen wie Eva Perón, Lady Diana, Grace Kelly, Jacky Kennedy oder Michelle Obama zu Ikonen der Mode und Eleganz. Sie verbanden Repräsentation und Volksnähe mit individueller Kreativität vollendet und wahrten ihre Persönlichkeit.
Die Garderobe als Mittel einer gezielten politischen Botschaft ist eine neuere Erscheinung. Königin Elizabeth II. wählte zur Verlesung der Regierungserklärung zum Austritt aus der EU fürs Kleid und den Hut die Europafarben blau und gelb. Als es im Nationalrat um den Beitritt zur UNO ging, präsentierte sich Anita Fetz am Rednerpult in einem Schweizer-Kreuz-T-Shirt als Beweis, dass auch Linke patriotisch gesinnt sein können. Bei einem offiziellen Besuch in Teheran trug Bundesrätin Micheline Calmy-Rey respektvoll ein Kopftuch, aber nicht bekennend, sondern als elegantes Accessoire, das ihrem Gesicht schmeichelte.
Das «angestarrte Geschlecht»
Der St. Galler Ausstellung gelingt es, die Kleiderwahl für Frauen im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit mit der Qualität einer «pädagogischen Haute Couture» zu thematisieren und zu problematisieren. Noch ist die Emanzipation nicht erreicht.
Nationalrätin Tamara Funiciello bringt das Dilemma der Frauen als «angestarrtes Geschlecht» auf den Punkt: «Die Männer und die männlich geprägte Welt, das Patriarchat, kontrollieren seit Tausenden von Jahren den Frauenkörper. Wir können eine Burka tragen und es ist nicht gut, wir können ein Bikini tragen und es ist nicht gut.»
Die junge Parlamentarierin will mit ihren Kleidern so wenig Angriffsfläche wie möglich bieten und tritt mit schwarzer Hose, schwarzem T-Shirt und einem Blazer auf. Praktisch und bequem müsse es sein und sowohl geeignet für eine Demo als auch für den Nationalratssaal: «That’s it.»
Maskuliner Chauvinismus
Wäre dies der Knigge-Weisheit letzter Schluss, würde das Schwarz zum Grau für Frauen avancieren. Politisch korrekt, aber als Grablied auf die Mode und hart am Burkaverbot vorbei. Und – dies vor allem – eine Kapitulation der Frauen vor rüpelhaften Einfaltspinseln, die weder hautenge Schnitte, Décolletés und starke Farben noch das Hochgeschlossene, das diskrete Beige und die Rüschenbluse als souveräne Statements begreifen, sondern als Aufforderung für Belästigungen und Sprüche. Die gleichen Männer, die sich ihre Reduktion aufs Äussere entrüstet verbitten. Maskuliner Chauvinismus.
Die nachpatriarchalische Botschaft der Ausstellung an die Frauen: Tragt, was ihr wollt; an die Männer: Ertragt es.
Textilmuseum St. Gallen, «Robes politiques», bis 6. Februar 2022, www.textilmuseum.ch