„Gäbe es Ben (Bradlee) nicht, man müsste ihn erfinden“, hat Tom Brokaw bemerkt, der Ex-Moderator der Abendnachrichten des Fernsehsenders NBC. In der Tat. Der langjährige Chefredaktor der „Washington Post“, der am Ende seines Lebens an Alzheimer litt und am Dienstag zu Hause im Alter von 93 Jahren starb, war eine schillernde Figur – charismatisch, lebenslustig, unerschrocken.
Portrait in „All the President’s Men“
Ben Bradlees abwechslungsreiches Leben imitierte die Kunst, und es war kein Zufall, dass Jason Robards, der ihn 1976 im Film „All The President‘s Men“ zum Fall Watergate porträtierte, für seine Darstellung einen Oscar erhielt. Ein Streifen im Übrigen, der seinerzeit manch einen bewog, Journalist zu werden, und der Amerikas Journalistenschulen florieren liess. Journalismus war plötzlich „in“, cool und sexy.
Kein Zufall auch, dass Ben Bradlees 1995 erschienene Autobiografie den Titel „A Good Life“ trug – ein gutes Leben, das für den Sohn Bostoner Aristokraten erst richtig begann, nachdem er als 14-Jähriger eine Kinderlähmung überstanden hatte. Wie 52 seiner Vorfahren väterlicherseits studierte er in Harvard, diente im 2. Weltkrieg drei Jahre lang als Offizier der US-Marine im Pazifik, wurde Lokaljournalist bei den „New Hampshire Sunday News“, fungierte als Propagandist der US-Regierung und berichtete als „Newsweek“-Korrespondent aus Paris.
Kennedy-Nachbar in Washingington DC
Zurück in Washington DC, freundete sich Ben Bradlee in den 50er Jahren in Georgetown mit seinem Nachbarn an der N-Street an. Es war ein junger Senator aus Massachusetts, der wenige Jahre später Präsident der Vereinigten Staaten werden sollte: John F. Kennedy. Die nahe Beziehung zu einem Politiker war für einen Journalisten nicht ganz unproblematisch, doch Bradlee beteuerte, er wisse Beruf und Privatleben auseinanderzuhalten. Obwohl ihm nicht alle Leute glaubten, als er später sagte, er habe nichts von Kennedys sexuellen Eskapaden gewusst.
Einem Leser der „Washington Post“, der einst seinen Patriotismus in Frage stellte, antwortete Ben Bradlee, der in der Marine fluchen gelernt hatte, wie folgt: „Dear Asshole…“. Das Arschloch und das Lästermaul wurden später gute Freunde. „Keiner har je (im Leben) so viel Spass gehabt wie ich“, hat der Autor von „A Good Life“ bekannt: „Es ist geradezu illegal.“
Schlagfertig
Doch Ben Bradlee liebte es nicht nur, Spass zu teilen, sondern auch den Ruhm, der ihm als „Washingtoner Monument“ (so die „New York Times“) zu Teil wurde: „Nicht umsonst wird von einer Zeitung als "Tägliches Wunder" gesprochen. Es braucht die Talente vieler grosser Leute, die nach bestem Wissen und Gewissen lange Stunden arbeiten, bevor ein Chefredaktor seine Füsse aufs Pult legen und Gratulationen entgegennehmen kann. Wo so viel Können versammelt ist, bleiben Glückwünsche nicht aus.“
„Post“-Reporter Walter Pincus, eines der Talente, die Bradlee rekrutierte, erinnert sich, wie er einst im verglasten Büro des Chefredaktors um eine Lohnerhöhung nachsuchte. Er stiess auf taube Ohren. „Sie sollten mir etwas zahlen für all den Spass, den Sie hier haben“, argumentierte der Chef gegenüber dem Bittsteller. Der fand, Bradlee habe Recht.
Was Nixon für die Presse tat
In seiner Autobiografie erwähnt Ben Bradlee auch Richard Nixon als einen, der seine Karriere gefördert hat, und fügt bei, es sei ironisch, dass ein Mann, der die Presse so hasste und so falsch verstand wie Amerikas 37. Präsident, so viel getan habe, um den Ruf der Presse und im Besondern der „Washington Post“ zu stärken: „In seiner dunkelsten Stunde hat er der Presse ihre beste Zeit beschert.“
Ben Bradlee war ein Vollblutjournalist, neugierig, ungeduldig und vielseitig interessiert, fast weniger an Politik als an Menschlich-Allzumenschlichem. Einer seiner grössten Leistungen bei der „Washington Post“ war die Einführung von „Style“, einem täglich erscheinenden Zeitungsbund, für den es – im Stil des „New Journalism“ – keine Tabus gab. Wichtig war nur, dass die Artikel gut, locker und süffig geschrieben waren – und dass sie stimmten. Der Chefredaktor bläute seinen Reportern ein, ihre Stories hartnäckig zu recherchieren und die Fakten lieber drei- als nur zweimal zu checken.
Dafür schenkte er seinen „kids“ auf der Redaktion volles Vertrauen und stellte sich hinter sie, wenn von aussen Kritik laut wurde oder jemand versuchte, Druck auszuüben und eine Geschichte zu verhindern. Bradlee fürchtete nichts und niemanden, schon gar nicht Washingtons politisches Establishment und erst recht nicht einen Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Mentor von Woodword und Bernstein
Allen Drohungen aus dem Weissen Haus zum Trotz befürwortete er 1971 als Chefredaktor zusammen mit Verlegerin Katharine Graham, die als geheim eingestuften „Pentagon Papers“, eine von der Regierung in Auftrag gegebene Studie des Krieges in Vietnam, zu veröffentlichen – wenn auch erst, nachdem die „New York Times“ beim gleichen Vorhaben von einem Bundesrichter gestoppt worden war. Hätte Amerikas Supreme Court damals eine Publikation der Geheimpapiere nicht erlaubt, die „Washington Post“, die just zur Zeit des Rechtsstreits an die Börse ging, wäre unter Umständen Konkurs gegangen.
Ben Bradlee vertraute auch zwei relativ unerfahrenen Lokalreportern, Bob Woodward und Carl Bernstein, als die beiden 1972 die Hintergründe eines Einbruchs ins Wahlhauptquartier der demokratischen Partei im Watergate-Gebäude in Washington DC zu recherchieren begannen. Angeleitet von „Deep Throat“, einer anonymen Quelle, die sich später als stellvertretender FBI-Direktor entpuppte, folgten Woodward und Bernstein der Spur des Geldes, das den Einbruch finanziert hatte. Die Spur führte über Ab- und Umwege am Ende ins Weisse Haus und in Richard Nixons „Oval Office“. „Tricky Dick“, der zuvor beteuert hatte, er sei kein Gauner, trat 1974 zurück.
Journalismus als öffentliches Gut
Ben Bradlee, dem die ungeschminkte Wahrheit über alles ging, stiess sich ungemein am hinterhältigen Vorgehen des republikanischen Präsidenten und dessen Mitarbeiter. „Nixon hat noch und noch gelogen in der Absicht, die amerikanische Öffentlichkeit zu täuschen und so den Hintern vor den Konsequenzen seiner Verbrechen zu retten“, schrieb er in seinen Memoiren.
„Für Benjamin Bradlee war Journalismus mehr als ein Beruf“, hat denn auch ein anderer Präsident, Barack Obama, verlauten lassen: „Journalismus war für ihn ein öffentliches Gut, das für unsere Demokratie lebenswichtig ist. Ein wahrer Zeitungsmann, hat er die Washington Post zu einer der besten Zeitungen des Landes gemacht, und unter seiner Führung hat ein wachsendes Heer von Reportern die Pentagon Papers publiziert, Watergate aufgedeckt und Geschichten erzählt, die erzählt werden mussten – Stories, die uns geholfen haben, die Welt und uns gegenseitig ein bisschen besser zu verstehen.“
Debakel mit dem Pulitzer-Preis
Ein Rezept für Bradlees Erfolg war seine Taktik, Leute einzustellen, „die schlauer sind, als du es bist“ und diesen Leuten freien Lauf zu lassen. Doch die Taktik ging nicht immer auf und versagte in einem Fall spektakulär. 1981 publiziert die „Post“ unter dem Titel „Jimmy’s World“ die herzerwärmende Geschichte einer jungen Reporterin über einen achtjährigen schwarzen Jungen in DC, der drogensüchtig war und den der Liebhaber seiner Mutter mit Stoff versorgte.
Janet Cooke gewann für den Artikel einen Pulitzer-Preis, doch stellte sich heraus, dass sie die Geschichte frei erfunden und auch ihren Lebenslauf geschönt hatte. Ben Bradlee, zutiefst gedemütigt, entschuldigte sich, gab den Preis zurück und bot seinen Rücktritt an. Doch Verleger Donald Graham sprach ihm, wie seine Mutter zuvor im Fall von Watergate und den „Pentagon Papers“, das volle Vertrauen der Besitzerfamilie aus. Bradlee blieb – noch weitere zehn Jahre, bis er 1991, inzwischen 70-jährig, nach 26 Jahren als Chefredaktor der „Washington Post“ in Pension ging.
Eine Träne entlockt
Den emotionalen Abschied auf der Redaktion an der 15. Strasse liess er Augenzeugen zufolge ungerührt über sich ergehen. Bis ihm ein Telegramm von Nora Boustany, der Nahost-Korrespondentin der „Post“, eine Träne entlockte. Das Telegramm wurde während der Feier vorgelesen: „Wenn immer ich auf den Strassen von Beirut allein unterwegs war, pflegte ich ob dem Artilleriebeschuss, den Scharfschützen und den dunkeln Ecken nur die Schultern zu zucken und sagte mir, dort oben (in Washington DC) sitzt jemand, der die wahre Bedeutung des Muts im Journalismus schätzt und versteht…Für mich werden Sie (Ben Bradlee) immer jener grosse, tapfere Mann bleiben, der mich beschützt und inspiriert hat, stets noch etwas mehr zu leisten. Danke, dass Sie uns allen etwas Besonderes gegeben haben, woran wir glauben können.“
Quellen: „The Washington Post“; “The New York Times“; “The Los Angeles Times“