Biden war am späten Dienstagnachmittag an Bord der Air Force One auf dem Genfer Flughafen Cointrin gelandet. Um 16.40 Uhr betrat er Schweizer Boden und wurde auf dem Flugfeld von Guy Parmelin, Bundesrat Ignazio Cassis und einer Delegation der Genfer Regierung willkommen geheissen.
Biden fuhr anschliessend ins Hotel Intercontinental, wo er mit Guy Parmelin und Aussenminister Cassis zusammentraf. Die amerikanische Delegation hat das ganze 18-stöckige Hotel in Beschlag genommen. Biden ist ohne seine Frau Jill in die Schweiz gereist; sie flog bereits von Europa in die USA zurück.
30 Minuten mit Biden
Das Treffen zwischen Biden und den Bundesräten Parmelin und Cassis dauerte 30 Minuten. Es habe in einer herzlichen Atmosphäre stattgefunden, erklärte Parmelin an einer Medienkonferenz. Beide Länder seien technologisch sehr innovativ und daran interessiert, ihre Zusammenarbeit auszubauen. Erwähnt wurden Fachhochschulen und Universitäten. Die Schweiz und die USA wollten noch in diesem Jahr ein Memorandum of Understanding abschliessen.
Man habe auch darüber gesprochen, wie man die Handelsbeziehungen verbessern könne. Die Vorgespräche für ein bilaterales Handelsabkommen würden fortgesetzt. So könnten die Schweiz und die USA ihre „fruchtbaren wirtschaftlichen Beziehungen“ weiter ausbauen.
Gute Dienste
Wegen der Kürze des Treffens, so erklärten die beiden Bundesräte, konnten viele Themen nicht angesprochen werden, so zum Beispiel der Nahe Osten, China oder der Vorwurf der Währungsmanipulation der USA gegenüber der Schweiz. Der Berg-Karabach-Konflikt solle morgen bei der Begegnung der beiden Bundesräte mit Wladimir Putin angesprochen werden.
Beide Bundesräte erneuerten ihr Bekenntnis zu den guten Diensten, die die Schweiz leisten und auch ausbauen wolle, so auch in der Ukraine und in Georgien. Erwähnt wurde das Schutzmandat, das die Schweiz für die USA in Iran habe. Cassis betonte, dass man auch die humanitären Dienste weiter ausbauen wolle. Beide Bundesräte äusserten den Wunsch, dass die USA zum Multilateralismus zurückkehren würden. Erneuert wurde das Interesse der Schweiz an einem Freihandelsabkommen mit den USA. Und so ganz nebenbei empfahl Biden Schweizern den Kauf neuer amerikanischer Kampfflugzeuge.
Putin kommt am Mittwoch
Etwa 1000 Journalisten aus der ganzen Welt verfolgen das Gipfeltreffen in Genf. Der Pont du Mont Blanc ist zur Begrüssung der beiden Staatschefs mit 24 amerikanischen und russischen Fahnen geschmückt.
Putin soll am Mittwoch kurz vor Beginn des Gipfels um 12.30 Uhr an Bord des Präsidentenflugzeugs, einer Iljuschin-96-300, in Genf eintreffen. Laut unbestätigten Meldungen besteht seine Entourage aus bis zu tausend Begleitern. Nach seiner Ankunft trifft er mit Guy Parmelin zusammen. Anschliessend begrüssen sich Biden und Putin in der Tagungsvilla vor den Fotografen und Kameraleuten. Kurz darauf werden sie nur mit ihren Dolmetschern konferieren. Dann stossen die Delegationen dazu, unter anderem die Aussenminister Antony Blinken und Sergej Lawrow. Die Begegnung soll bis zum späten Nachmittag dauern.
Wenig Illusionen
Das Verhältnis zwischen den beiden Grossmächten befindet sich auf einem Tiefpunkt. Biden hält erklärtermassen wenig von Putin, diesem „Killer“. Die Erwartungen werden von beiden Seiten stark heruntergeschraubt. Beide haben wenig Illusionen, und beide können mit einem „Null-Ergebnis“ leben. Juri Uschakow, der aussenpolitische Berater im Kreml, erklärte am Dienstag, er sei nicht sicher, ob „es irgendeine Vereinbarung“ geben werde. Im Genfer Palais des Nations heisst es, es wäre schon ein Erfolg, wenn das Treffen „ohne Eklat“ zu Ende ginge.
Biden wird die strittigen Themen offen und nicht verklausuliert ansprechen. Dazu gehört die Unterdrückung der Opposition in Russland, die Verfolgung Nawalnys und anderer Oppositioneller, der Konflikt in der Ostukraine, die Annektion der Krim, die russische Unterstützung für Lukaschenko, die Annäherung Moskaus an Peking, die russischen Hackerangriffe, die Cyberkriminalität und die russische Einmischung in amerikanische Wahlen sowie die russische Unterstützung für den syrischen Präsidenten und Iran. Im Vorfeld der Gespräche hiess es, dass sich die beiden Präsidenten einzig bei der Beschränkung der strategischen Rüstung näher kommen könnten. Ob auch das Atomabkommen mit Iran zur Sprache kommt, ist ungewiss.
Nach ihren Gesprächen wollen die beiden Präsidenten – getrennt – je eine Medienkonferenz geben.
Abgesperrtes Seebecken
Die Gipfelgespräche finden in der Villa La Grange im La Grange-Park im Genfer Quartier Eaux-Vives statt.
Grösste Sicherheitsmassnahmen wurden getroffen. Rund um den Park wurden Gitter installiert. Hunderte Sicherheitskräfte patroullieren. Weite Gebiete rund um das Seebecken sind seit Dienstagnachmittag abgesperrt. Die Luftraumüberwachung wurde verstärkt, einige hundert Schweizer Soldaten wurden für das Treffen abkommandiert. Genf hat mit der Betreuung und dem Schutz höchster ausländischer Gäste jahrzehntelange Erfahrung. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, die Innenstadt zu meiden.
Kaum zu Gesicht wird Putin ein Graffito an der Genfer Rue de Lyon bekommen. Es zeigt Alexej Nawalny, wie er mit seinen Fingern ein Herz formt. Die Aufschrift lautet: „Held unserer Zeit“. Das gleiche Graffito war im vergangenen April in St. Petersburg aufgetaucht, wurde dort aber sofort entfernt. Nawalny verbüsst zur Zeit in einer Strafkolonie eine dreieinhalbjährige Haftstrafe. Auf dem Genfer Plainpalais fand am Dienstagabend eine Pro-Nawalny-Demonstration statt.
Rückenstärkung durch die EU und die Nato
Vor seiner Reise an den Lac Léman erhielt Biden in Brüssel von der EU und der Nato klare Rückenstärkung. Am Dienstag war er mit Spitzenvertretern der EU zusammengekommen, unter anderem mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel und dem EU-„Aussenminister“ Josep Borrell.
Während der Amtszeit von Donald Trump hatte das transatlantische Verhältnis stark gelitten. Sowohl in Washington als auch in Brüssel heisst es, dass sich das Verhältnis seit Bidens Amtsantritt rasch verbessert habe. Streitpunkt bleibt vor allem die Handelspolitik.
„Hochrangiger Dialog“
Die USA und die EU beschlossen, gemeinsam Russland und China die Stirn zu bieten. Man wolle die Politik gegenüber Moskau und Peking gemeinsam abstimmen und dazu einen „hochrangigen Dialog“ führen. Putin wird aufgefordert, politische Gefangene freizulassen und die Unterdrückung der Opposition und oppositioneller Medien zu unterlassen. Die Annektion der Krim und die „Fast-Annektion“ von Gebieten in der Ostukraine werden verurteilt.
China wird als Kooperationspartner, Wettbewerber und Systemrivale bezeichnet. Die USA und die EU kritisieren die chinesische Haltung in der Taiwan-Frage, die Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Uiguren und Tibetern sowie der Abbau demokratischer Rechte in Hongkong. Auch die chinesische Desinformationskampagne wird verurteilt. Trotzdem bestehen bei der Frage, wie man mit China umgeht, einige Differenzen zwischen den Europäern und den USA.
Auch die Nato demonstriert Einigkeit. Nach den chaotischen Trump-Jahren finden die Mitgliedstaaten des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses wieder einen gemeinsamen Nenner. Biden hatte die Nato als „erfolgreichstes Bündnis“ der Weltgeschichte bezeichnet. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach von einem „neuen Kapitel in den transatlantischen Beziehungen“.
Am Rande des Nato-Treffens war Biden am Montag auch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zusammengetroffen. Thema war das russische Flugabwehrsystem S-400, das die Türkei trotz Protesten gekauft hat und das nach Ansicht der USA die Sicherheit amerikanischer Soldaten gefährde. Erdoğan zeigte sich bei dem Treffen unerwartet unterwürfig.
(J21)