„Tartuffe oder Der Betrüger“ ist eine der bekanntesten und bissigsten Komödien von Molière. Sie musste auf Geheiss von König Ludwig XIV. ihrer ungeschönten Anwürfe wegen, die sich vor allem gegen die klerikale Heuchelei richtete, zweimal umgearbeitet werden. Diese einzige noch heute erhaltene und überall gespielte Fassung wurde 1669 in Paris uraufgeführt. Seither entstanden zahlreiche Bearbeitungen des Stücks und auch mehrere Filme. Und nun also auch vom deutschen Autor und Indie-Pop-Musiker Peter Licht, und zwar als Auftragswerk des Theaters Basel und dessen leider bald scheidenden, erfolgreichen Intendanten Andreas Beck. Unter seiner Leitung wurde das Basler Haus in einer Kritikerumfrage von „Theater heute“ soeben zum „Theater des Jahres 2018“ gekürt.
Hochgespannte Erwartungen
Hochgespannte Erwartungen begleiteten also diese Uraufführung am Basler Schauspielhaus. Kein leichtes Erbe. Was machte Peter Licht aus diesem Stoff, der nur allzu deutlich auch auf die heutige Gesellschaft und deren Betrugsmechanismen verweist? Er machte daraus ein surreal anmutendes Wort(kunst)werk, das jedoch inhaltlich leider ins Leere lief.
Peter Licht wirft Worthülsen in die Luft, wirbelt sie durcheinander, Kaskaden von Wörtern, welche, vermengt oder aneinander stossend und sich reibend, leider öfters auch als Kalauer zur Erde, sprich in die Hirne der Zuhörer sinken. Dieses unaufhörliche Bombardement in andauernder Wiederholung – virtuoser vorgemacht leider schon vor über dreissig Jahren von Thomas Bernhard – kreist jedoch nur um wenige Begriffe, also um wenig Substanz. Wenn Peter Licht eine solche Substanz, z. B. das von ihm geschätzte Wort „Uneigentlichkeit“, aber mal in den Griff bekommt, wird er scharfsinnig: „Der Betrug ist ein Festival der Uneigentlichkeit. Das, was passiert, passiert, aber es passiert nicht ... Der Betrug ist immer verbunden mit dem Warten auf sein Ende ... Der Betrug ist eine Unterart der Kommunikation. Ohne Kommunikation keine Lüge.“
Steile Theaterkarriere
Solch einleuchtende Zuspitzungen enthalten öfters auch ein gut Teil eher unfreiwilliger Komik. Und diesem Talent hat der Autor sicherlich einen Teil seines Erfolges zu verdanken. Dieser führte ihn neben seiner Karriere als Indie-Popmusiker auch ans Schauspielhaus Basel, wo er nun schon den zweiten Auftrag für eine Molière-Bearbeitung in Basel fasste. Schon 2008 wurde er mit dem Publikumspreis und dem 3sat-Preis des Ingeborg Bachmann-Wettbewerbes ausgezeichnet, worauf seine Karriere als Theater- und Buchautor stetig anstieg.
„Was mir nicht gelingen will, ist, meine Hände in das Flackern der Abstandslosigkeit zu halten“, sagt Orgon, die zentrale Hauptfigur des Stücks. „Gerne würde ich hineingreifen in die Welt. Gerne würde ich etwas ergreifen oder ergriffen sein.“ Womit wir uns vollen Herzens solidarisieren können. Auch wir als Publikum wären an diesem Abend – nach einem durchaus brillanten und vielversprechenden Prolog – gerne auf irgendeine Weise ergriffen worden. Auf irgendetwas musste das ganze Wortgeklingel ja hinauslaufen, oder nicht? Aber auch da, das muss man zugeben, blieb Licht seinem Grundsatz treu: Keine Erlösung durch eine Lösung.
Die „Pornografisierung des Marktes“
Was man nach dem vielversprechenden Anfang noch in der Pause frohgemut erwarten durfte, trat natürlich nicht ein. Vielmehr verflachten sich die Sprüche ohne Einfall auf eine geradezu grotesk stammtischhafte Weise. Der betrügerische, klerikale Heuchler Tartuffe tritt auch bei Molière erst im dritten Akt auf. Das ist ein sehr wirkungsvolles dramaturgisches Mittel, um die Spannung im Vorfeld eines Auftritts zu steigern. Aber Tartuffe als ein riesenhaftes „Schwein der Weisen“ mit einem noch riesenhafteren Penis („da stülpt sich etwas Grosses aus“) bewirkt bei allen Figuren den hektischen Ausbruch nicht nur von deftigem Sex, sondern einer Abgeflachtheit, die sich in politisch sein wollenden Diskussionen über Kapitalismus und die „Penisgeneigtheit der Welt“ erschöpft. Die allgemein ausbrechende Geilheit kam nicht über ermüdende Betrachtungen hinaus, da konnte sich auf der Bühne ausziehen, wer wollte. Das haben wir doch schon so oft gehabt – gähn! Und auch ein hin und wieder eingeschobener Song konnte da nichts retten. Immerhin wurde klar, dass so, auch nicht ums Eck gedacht, der vielgesuchte Stein der Weisen nie je gefunden werden könnte. Auch nicht im (armen) Schwein, egal welcher Couleur.
Grossartige Ensembleleistung
Dass diese Produktion an der Uraufführung trotzdem durchaus positiv aufgenommen wurde, verdankte sie zum grössten Teil der brillanten Basler Schauspieltruppe in der temporeichen Regie von Claudia Bauer. Was dieses Ensemble an sprachlicher Virtuosität in hohem Tempo vorführte, riss mit und nötigte hohen Respekt ab. Grossen Anteil daran hatten auch das klassisch komödienhaft angelegte, bewegliche Bühnenbild (Andreas Auerbach) und eine grandios geführte Live-Kamera (Julian Gresenz). Ein Autor, der solche Schützenhilfe erhält, darf sich glücklich schätzen.