In einem Lagerhaus in Virginia liegen 10 000 Exemplare eines Buches mit dem Titel „Operation Dark Heart“. Autor des 299-seitigen Erlebnisberichts ist Anthony A. Shaffer, ein Oberstleutnant der Reserve, der 2003 verdeckt für den Geheimdienst der US-Armee (DIA) in Afghanistan diente und heute für eine Denkfabrik in Washington DC tätig ist, die sich mit strategischen Studien beschäftigt.
Shaffer war auf der Bagram Air Base bei Kabul zu einem Zeitpunkt aktiv, da die USA den Schwerpunkt ihrer Bemühungen im „Krieg gegen den Terror“ bereits in den Irak verlagert hatten. Heute sehen etliche Beobachter diese Verlegung militärischer Ressourcen als Ursache, weshalb Osama bin Laden, Gründer des Terrornetzwerks al-Qaida und Urheber der Anschläge vom 11. September 2001, seinerzeit nicht gefasst worden ist.
Das Pentagon will die gesamte Auflage vernichten
Shaffer, ein erfahrener Geheimagent mit über 20 Dienstjahren, beschreibt im Buch verschiedene Operationen, einschliesslich eines abgebrochenen, grenzüberschreitenden Lauschangriffs, der hochrangigen Mitgliedern von al-Qaida galt, die sich in den Stammesgebieten im Nordwesten von Pakistan versteckt hielten. Wie vorgeschrieben legte der Offizier der Reserve das Buch vor der Veröffentlichung dem Kommando seiner Truppe vor, das es durchkämmte und für gut befand.
Nun aber will, wie amerikanische Medien diese Woche berichten, das Pentagon die gesamte erste Auflage von „Operation Dark Heart“ aufkaufen und vernichten, was das Werk wohl zu einem „Instant-Bestseller“ machen würde. Bereits 1964 hatte der US-Auslandsgeheimdienst (CIA) vergeblich versucht, „The Invisible Government“ von David Wise, ein kritisches Buch über die CIA, zu stoppen. Laut der „New York Times“ erwog der Dienst damals, ebenfalls die gesamte erste Auflage des Buches aufzukaufen. Dieses kletterte später dank all der Gratispublizität in den Medien prompt an die Spitze der amerikanischen Bestsellerliste.
200 Passagen mit geheimen Angaben
Heute argumentiert das US-Verteidigungsministerium, Anthony A. Shaffers Buch stelle ein Sicherheitsrisiko dar, weil es etliche Geheiminformationen wie etwa Namen von US-Agenten oder Beschreibungen von Geheimoperationen enthalte. Shaffers frühere Dienststelle, die DIA, will im Buch mehr als 200 Passagen entdeckt haben, die Geheimangaben enthalten. Das Pentagon wirft dem Autor zudem vor, er habe es versäumt, ihm das Werk wie dem Kommando der Reserve ebenfalls zur Kontrolle vorzulegen.
Dem hält der Anwalt des Oberstleutnants der „Washington Post“ zufolge entgegen, es sei bei der Veröffentlichung des Buches alles mit rechten Dingen zugegangen. Der ganze Streit um „Operation Dark Heart“ ist denn wohl auch eine Folge des Umstands, dass innerhalb der aufgeblähten US-Sicherheitsbürokratie die linke Hand nicht immer weiss, was die rechte tut.
Bösewicht der Reserve
Erst kürzlich hat die US-Armee einen Nachrichtensoldaten angeklagt, WikiLeaks illegal Zehntausende von vertraulichen Dokumenten über den Verlauf des Krieges in Afghanistan zugesteckt zu haben. Wobei Pentagon-Kritikern zufolge die US-Armee Dokumente oft viel zu leichtfertig, zu früh und zu rasch als „vertraulich“ oder „geheim“ einstuft.
Indes erinnern der Wirbel um „Operation Dark Heart“ und die Veröffentlichung vertraulicher Dokumente auf WikiLeaks an den Fall des früheren Pentagon-Mitarbeiters Daniel Ellsberg, der 1971 die „Pentagon Papers“, eine geheime 7000-seitige Studie über Amerikas Krieg in Vietnam, an die Presse weitergab und damit ein riesiges Echo auslöste, das dem Weissen Haus unter Präsident Richard Nixon höchst ungelegen kam.
Über den heute 79-jährigen Ellsberg läuft derzeit ein sehenswerter Dokumentarfilm in den Kinos unter dem Titel: „The Most Dangerous Man in America: Daniel Ellsberg and the Pentagon Papers“. Als Amerikas gefährlichster Mann taugt Oberstleutnant Shaffer kaum. Unter Umständen aber immerhin als Bösewicht der Reserve.