Die Nachricht war eine Sensation - weit über die Grenzen der Bundesstadt und der Schweiz hinaus. Cornelius Gurlitt, der am Dienstag an den Folgen einer schweren Herzerkrankung und Operation 81jährig gestorben ist, hat seine umstrittene Kunstsammlung dem Kunstmuseums Bern vermacht. „Die Nachricht hat uns getroffen wie ein Blitz aus heiterem Himmel“, heisst es im Kunstmuseum der Bundesstadt.
Völlig überraschend
Direktor Matthias Frehner versichert, Gurlitt nicht gekannt zu haben und niemand im Hause hatte je mit dem deutschen Kunstsammler und –händler zu tun. Die Schenkung bezeichnet er dem Journal21 gegenüber als eine der grössten und bedeutendsten, die das Museum in den letzten Jahren erhalten habe.
Die Sammlung umfasst etwa 1400 Werke, deren Gesamtwert unzählige Millionen Franken wert ist. Anfangs war gar die Rede von einem Milliardenwert. Der genaue Betrag ist heute noch nicht bekannt. Sicher ist, dass die Sammlung zahlreiche hochkarätige Werke enthält, u.a. Gemälde von Picasso, Matisse, Renoir, Beckmann, um nur diese zu nennen.
Mysteriöse Geschichte
Sicher ist auch, dass die genaue Herkunft der Bilder nicht so sicher ist. Stammen sie aus dem Bestand der Raubkunst des Nationalsozialismus, waren sie als „entartete Kunst“ von den Nazis aus dem Verkehr genommen worden? Viele Fragen bleiben offen. Experten sind noch an der Arbeit. Mysteriös ist aber noch vieles mehr. Einmal die Geschichte und Vergangenheit der Besitzer, nämlich des Kunsthändlers und Sammlers Cornelius Gurlitt und seines bereits in den 50er Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommenen Vaters. Mysteriös ist auch, wieso Cornelius Gurlitt testamentarisch die Stiftung Kunstmuseum Bern als „unbeschränkte und unbeschwerte Alleinerbin“ eingesetzt hat.
Gurlitt und Kornfeld
Ja, wie kam Gurlitt auf die Idee, die Sammlung nach Bern zu vergeben. Wie weit kannte er die Bundesstadt? War er vielleicht sogar einmal im Museum? Ausgeschlossen ist es nicht. Jedenfalls kannte er bestens den wohl prominentesten Kunsthändler und Auktionär der Schweiz, Eberhard Kornfeld. Ihn hat er schon einmal vor Jahren besucht, und Kornfeld bestreitet nicht, mit Gurlitt geschäftlich verkehrt zu haben.
Der Name Kornfeld jedenfalls hat zu Beginn dieses Jahrzehnts die „Affäre Gurlitt“ ungewollt und ohne davon zu wissen ins Rollen gebracht. Gurlitt befand sich im Zug auf einer Rückreise von Zürich zurück nach München. An der Grenze wurde er von deutschen Beamten kontrolliert. Sie fanden bei ihm 9000 Euro in bar. Die Herkunft? Gurlitt antworte prompt, von Kornfeld in Bern. Der Berner Kunsthändler weist dies vehement zurück, er habe zu diesem Zeitpunkt überhaupt keinen Kontakt zu Gurlitt mehr gehabt. Der Deutsche hat wohl an diesem Tag nicht die Wahrheit gesagt.
Der kleine Zwischenfall führte aber zu einer Hausdurchsuchung bei Gurlitt in München. In der Wohnung entdeckte die Polizei einen Kunstschatz. Die Bilder wurden beschlagnahmt und in ein Depot transportiert. Bekannt wurde die ganze Affäre allerdings erst im November letzten Jahres.
Dubioser Hintergrund des Vaters
Gurlitt hatte die Sammlung von seinem Vater geerbt, der sie rechtsmässig aufgebaut haben soll. Er, Cornelius Gurlitt, habe weitere Bilder nach und nach zugekauft. Er hat auch laufend Bilder verkauft, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Stammten nun die Bilder aus geraubten Beständen oder nicht? Tatsache ist, dass Gurlitts Vater zu Beginn des letzten Jahrhunderts sich noch öffentlich für moderne Kunst einsetzte.
Nach Hitlers Machtergreifung durch die Nationalsozialisten hatte er allerdings die Meinung geändert und stand jenen Kreisen nahe, die Museen ausräumten und viele Werke verkauften oder vernichteten. Die Zahl der Werke ist unbekannt. Die Rede ist von 20'000 bis weit über 100'000. Über diesen Weg kam Hildebrand Gurlitt zu seinem Kunstschatz. Nach 1945 konnte er sich von Verdächtigungen und Anklagen rasch loslösen und bald wieder frei dem Kunsthandel widmen.
Freude und Last zugleich
Sowohl Stiftungsrat als auch die Direktion des Konstmuseums Bern zeigten sich überrascht und auch hocherfreut über die ungewöhnliche, grossartige Schenkung. Man war sich aber auch sogleich im Klaren, dass das schöne Geschenk unschön verpackt ist. Was kommt wohl beim Auspacken zum Vorschein? Wir „wollen nicht verhehlen, dass das Vermächtnis uns eine erhebliche Verantwortung und eine Fülle schwierigster Fragen aufbürdet, Fragen insbesondere rechtlicher und ethischer Natur“, so verlautete es bereits Mittwochabend aus dem Museum.
Wie soll es nun weitergehen? Auch auf diese Frage gibt es zum jetzigen Zeitpunkt noch keine präzise Antwort. Direktor Matthias Frehner reist bereits am kommenden Montag nach München, um mit den zuständigen Behörden erste Kontakte aufzunehmen, und eventuell einen ersten Blick in die Sammlung zu werfen. Ein Teil der Bilder wird übrigens noch von deutschen Experten im Auftrag der Bayerischen Staatsanwaltschaft zur genauen Abklärung zurückbehalten.
Das Museum hat sechs Monate Zeit, um zu entscheiden über die Annahme des Vermächtnisses. „Erst wenn alle Fragen geklärt sind, werden wir endgültig entscheiden“, bestätigt Frehner. Bereits denkt er aber über eine Ausstellung der wichtigsten Werke aus Gurlitts Sammlung nach, wie seinen Worten zu entnehmen war.
Herkunft nahtlos abklären
Mit heiklen, mit Problemen behafteten Werken weiss das Kunstmuseum Bern bestens umzugehen und hat dies in der Vergangenheit auch bewiesen. In der eigenen Sammlung befinden sich nämlich Bilder, deren Herkunft ebenfalls einer genauen Abklärung bedurfte. So beispielweise das berühmte Bild von Pablo Picasso „Buveuse assoupie“ aus dem Jahre 1902. Das Bild kam auf abenteuerlichen Wegen und Abwegen nach Bern. Die Rechtslage lässt heute keine Zweifel mehr offen, und für Frehner ist das Bild eines der zehn bedeutendsten Werke der hauseigenen Sammlung, wie er kürzlich der „Berner Zeitung“ anvertraute.
Es wurden stets die grössten Anstrengungen unternommen, um die Herkunft der Kunstwerke einwandfrei und nachvollziehbar abzuklären. Der frühere Vizedirektor des Museums, Sandro Küthy hatte bereits erklärt: „Wir sind offen für Gespräche, wenn ein rechtsmässiger Anspruch kommt, und sei es nur ein moralischer“. Das soll auch heute noch Gültigkeit haben, wie Frehner sagt.
Klärung bei der Sammlung Bührle in Zürich
Weltweit waren und sind auch heute immer wieder Sammler und Museen mit der Problematik der Raubkunst konfrontiert. Auch in der Schweiz. Im Vordergrund steht sicher die bekannte und gewaltige Sammlung Bührle, heute im Kunsthaus Zürich zuhause. Sie enthielt zum Teil ebenfalls nachweisbar mehrere Werke aus dem Bestand der Raubkunst. Jeder einzelne Fall konnte inzwischen geregelt werden.
Auch in Ausstellungen werden immer wieder die traurigen Ereignisse thematisiert. Selbst die Abegg-Stiftung in Riggisberg bei Bern hat sich letztes Jahr dem Thema gewidmet und Werke aus früheren Jahrhunderten gezeigt, die einmal geraubt wurden und heute sorgfältig gehütet werden. Das Problem ist also nicht neu.