Berlusconi führt sich auf „wie Fidel Castro“. So kommentiert der Chefredaktor der italienischen Ausgabe der Huffington Post das Verhalten des 76-Jährigen. Nach seiner Verurteilung zu vier Jahren Gefängnis wegen Steuerbetrugs kennt er keine Grenzen mehr. „Eine zerstörerische Verrücktheit destabilisiert das Land“, schreibt Eugenio Scalfari, der alte Patron der linksliberalen Zeitung „La Repubblica“.
Es ist das traurige Schauspiel eines milliardenschweren, machtbesessenen Mannes, dessen Zeit zu Ende ist. Er ist tief gekränkt. Seine Eitelkeit ist beschädigt. Für einmal kann er sich nicht durchsetzen.
Viele seiner einstigen Freunde schütteln nur noch den Kopf. Berlusconis PdL-Partei geht es nicht gut. Laut Meinungsumfragen kommt sie landesweit auf noch 13 Prozent. Die jetzigen Regionalwahlen in Sizilien galten als landesweiter Test. Berlusconis Partei stürzt ab. „Unsere Zerstrittenheit hat zu unserer Niederlage geführt“, kommentierte am Montagabend der Parteisekretär der PdL (Popolo della Libertà).
Boom für Grillo
Das Ergebnis ist ein weiterer schwerer Schlag für Berlusconi. Der als sicherer Sieger gehandelte PdL-Kandidat Sebastio „Nello“ Musumeci wurde vom linken Bewerber Rosario Crocetta geschlagen. Crocetta erhielt sechs Prozent mehr Stimmen als der PdL-Kandidat. Das Resultat ist eine Ohrfeige für die PdL.
Doch nicht nur: Das Ergebnis macht in eklatanter Weise die tiefe Abneigung der Italiener gegen jede Politkaste deutlich. Die Wahlbeteiligung betrug 47,42 Prozent – für Italien ist das katastrophal niedrig. Vor vier Jahren waren es noch 66,68 Prozent. Noch nie sind bei solchen Regionalwahlen weniger als die Hälfte der Italiener an die Urnen gegangen.
Die Protestbewegung „Movimento 5 Stelle“ des Komikers Beppe Grillo feiert den erwarteten Boom. Giancarlo Cancellieri, ihr Kandidat für den Regionalrat, erzielte 18 Prozent der Stimmen. Die „5 Sterne“ von Peppe Grillo sind in Palermo und andern Gemeinden zur stärksten Partei avanciert.
Nur Hass gesät
Dies ist vor allem eine Misstrauenskundgebung gegen die politische Kultur, die unter Berlusconi entstanden ist: Das Land spalten, verunglimpfen, beleidigen, ausgrenzen – und nichts erreichen. Berlusconi hat in seinen 18 Jahren nichts erreicht. Er hat nur Hass gesät und das Land der Lächerlichkeit preisgegeben.
Letzte Woche wurde Berlusconi gezwungen, nicht mehr als Ministerpräsident zu kandidieren. Viele seiner Vertrauten hatten sich von ihm abgewandt. Sie wissen, mit Berlusconi gibt es keine Zukunft mehr. Ein Tag danach kam das Urteil des Mailänder Gerichts im Mediaset-Prozess: Berlusconi, gebrandmarkt als Betrüger. Das war zu viel für den erfolgsverwöhnten Cavaliere, der mit Geld und Macht und Fernsehstationen alles erreichte. Fast alles.
"Molotow-Cocktail gegen Monti"
Zwar wolle er nicht mehr als Ministerpräsident kandidieren, doch er kämpfe für eine Reform des „barbarischen Justizsystems“, sagte er am Samstag an der anderthalbstündigen Medienkonferenz. „Wir leben in einer Diktatur der Richter, in einer Magistrocrazia.“ „Weg mit den Roten Brigaden der Prokura!“
Vor allem: Er wolle Italien „vor der Barbarei“ retten. Doch er rettet Italien nicht. Der alte, tragische Mann könnte das Land in eine weitere, tiefe Krise stürzen.
Berlusconi schlägt um sich wie ein verletztes Tier. Letzte Woche noch lobte er Ministerpräsident Mario Monti. Drei Tage später attackiert er ihn mit deftigsten Worten und kündigt an, er wolle seine Regierung stürzen. Er schleudere „einen Molotow-Cockail gegen Monti“, schreibt die italienische Version der Huffington Post. Plötzlich gibt sich Berlusconi besonders populistisch und als Freund des armen Volkes. Die Steuererhöhungen von Monti seien zuviel. Die neue Immobiliensteuer gehöre abgeschafft. „Monti führt uns in die Rezession.“
Und: „Wir werden von Deutschland, von Angela Merkel kolonisiert.“ Er, der Italien in den Ruin geritten und sein Volk über Jahre über den wirklichen Zustand des Landes belogen hat – er spielt sich als Deutschenhasser auf. Auch das hat seinen Grund.
Seine Drohung ist nicht ungefährlich
Tief unter die Haut gegangen ist ihm, wie er von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy süffisant vor laufenden Fernsehkameras, ausgestrahlt in alle Welt, belächelt wurde. „Mit diesem Lächeln haben sie versucht, meine internationale Glaubwürdigkeit zu zerstören.“ Der Macho, der (zahlende) Frauenbetörer, der sich von der „dick-arschigen“ Merkel (O-Ton Berlusconi) vorführen lassen muss. Welche Schmach!
Auch seinen Kronprinzen, Angelino Alfano, lässt er plötzlich fallen. Während zweier Jahre hat er ihn als seinen Nachfolger aufgebaut. Jetzt spottet er über ihn. Er sei nicht der richtige Mann, um die Partei zu retten. „Alfano versteht den Mechanismus des Landes nicht“, sagt Berlusconi.
Die Drohung, Monti zu stürzen, ist nicht ungefährlich. Denn auch die Linke will Monti stürzen. Eine unheilige Allianz zwischen der starken Linken und den Berlusconi-Anhängern könnte die Technokraten-Regierung zu Fall bringen. Das würde mit Sicherheit den Spread in die Höhe jagen und das mühsam zurückgewonnene internationale Vertrauen in Italien zerstören. Mehr noch: Berlusconi könnte die ganze Euro-Zone erheblich belasten, manche sagen gar: zerstören.
"Populistische Entgleisung"
Die Frage ist, wie viele Berlusconi-Anhänger es noch gibt. Seine krankhaften Ausfälle haben viele seiner Freunde verstört. „Mit seinen Worten schadet sich Berlusconi selbst“, sagt Osvaldo Napoli, ein einstiger Berlusconi-Treuer und Vizepräsident des Abgeordnetenhauses. So verliere die Partei alle Gemässigten, und „so gewinnen wir keine Wahlen mehr“. Nur noch zwanzig Prozent der Anhänger der von Berlusconi gegründeten PdL-Partei stünden hinter Berlusconi.
Auch Franco Frattini, der frühere Aussenminister von Berlusconi, stellt sich gegen ihn: Er könne sich vorstellen, aus der Partei auszutreten, „wenn die populistische Entgleisung ihren Fortgang nimmt“. Frattini spricht, im Gegensatz zu Berlusconi, Monti das Vertrauen aus. Staatspräsident Giorgio Napolitano hat Berlusconis Tirade am Fernsehen verfolgt. Journalisten in Rom glauben zu wissen, dass er nur den Kopf geschüttelt hat. Aus dem Umkreis von Ministerpräsident Monti verlautete nichts.
Gianfranco Fini, der Präsident des Abgeordnetenhauses und seit zwei Jahren ein erbitterter Gegner von Berlusconi, kommentiert: Berlusconis Worte sind „das politische Manifest eines antieuropäischen, autoritären Populismus“.
Gespaltene Linke
Trotzdem: Das Berlusconi-Lager ist nicht zu unterschätzen. Viele Schwergewichte halten nach wie vor zu ihm. Ob es ihm gelingt, zusammen mit der Linken, Monti zu stürzen, steht auf Messers Schneide. Prognosen wagt niemand.
Doch auch die Linke ist gespalten. Viele freuen sich über die neuerliche Entgleisung des „Kaiman“. „Berlusconi zeigt einmal mehr, dass er einzig für seine persönlichen Interessen Politik betreibt“, heisst es in einer linken Erklärung. Matteo Renzi, der Bürgermeister von Florenz und Kandidat für die Führung der Linken, sagt: „Nach 18 Jahren Berlusconi verdient es Italien besser.“ Doch andere Linke wollen zusammen mit Berlusconi den „blutsaugenden Professor Monti“ stürzen.
Und natürlich freut sich die abgewirtschaftete Lega Nord und ihr neuer Führer Roberto Maroni über Berlusconis Ausfälle.
Bruno Vespa, Berlusconis Pudel
Trotz allem will Berlusconi weiter die Politik dominieren. Er will jetzt ein neues politisches Manifest bekanntgeben. Dieses wolle er im Fernsehen bekanntgeben. „Sagt Vespa, dass ich bereit dazu bin“, sagte Berlusconi an der Medienkonferenz. Bruno Vespa moderiert die wöchentliche Diskussionssendung „Porta a porta“ und gilt als enger Vertrauter und Pudel Berlusconis. Vespa wird Berlusconi wohl eine Bühne zur Verfügung stellen. So geht das in Italien.
Während 18 Jahren bezeichnete Berlusconi die Linke als „Kinderfresser“, als „Kriminelle“, als „Blutsauger“, als „Pest“. Und jetzt: kein böses Wort. Will er die Linke in sein Boot ziehen, um Monti zu stürzen?
Spielt die Linke da mit? In Italien ist immer alles möglich.