Pakistan war eine politische Anomalie gewesen, zwei Landesteile, getrennt durch tausend Kilometer feindliches indisches Territorium. Die Engländer, so stolz auf ihr "Divide and Rule", waren am Schluss so ausgelaugt, dass sie nur noch eins wollten: Indien in zwei Länder spalten, und dann nichts wie weg. "Divide and Run".
Selbst verschuldete Abspaltung
Westpakistan hatte selbst die Saat für die Sezession seines Ostteils gelegt. Bereits 1948 erklärte Staatsgründer Jinnah den Studenten der Universität Dhaka, Urdu, die Sprache Westpakistans, sei die einzige nationale Sprache. Vier Jahre später gab es die ersten Märtyrer im Sprachenstreit, und es begann eine Abwärtsspirale von immer härterer Repression und trotzigerer kultureller Selbstbehauptung.
Als die ost-pakistanische "Awami-Liga" 1970 die Gesamtwahlen gewann, offerierten die Generäle dem Wahlsieger Mujibur Rahman das Premierministeramt –wenn er auf Bengali verzichtete. Stattdessen rief dieser zum Widerstand auf, die Armee erklärte den Ausnahmezustand, Rahman floh nach Kalkutta. Indien nahm die Gelegenheit wahr, seinem Erzfeind eins auszuwischen und sich der lästigen Klammer zu entledigen. Es schickte die Flüchtlinge als Guerillas in ihr Land zurück.
Mujiburs Rahmans Ermordung
Die pakistanischen Generäle ergriffen die Flucht nach vorn. Am 3. Dezember 1971 flogen sie Angriffe auf indische Luftwaffenstützpunkte, darunter Agra, das Heim des Taj Mahal – eine Kriegserklärung. Es wurde (nach dem Sechstagekrieg) der zweitkürzeste Waffengang des 20. Jahrhunderts. Zwei Wochen später war der Spuk vorbei, Ostpakistan in den Händen indischer Truppen, und mit ihm 96 000 pakistanische Kriegsgefangene.
Bangladesch war geboren. Mahatma Gandhi hatte einmal gesagt, ein unabhängiges Indien werde natürlich Fehler begehen – aber es seien dann seine eigenen Fehler. Auch Bangladesch machte deren viele. 1975 gab sich Mujibur diktatorische Vollmachten, worauf er von meuternden Offizieren ermordet wurde. Es folgten fünfzehn Jahre eines Obersten-Regimes, das 1991 von der demokratischen Revolution hinweggefegt wurde.
Kleinkariertes Witwen-Regime
Doch das Witwen-Regime von Sheikh Hasina (der Tochter Mujiburs) und Khaleda Zias, der Gattin des ersten "Militärrecht-Administrators" Ziaur Rahman, artete in eine kleinkarierte Rivalität der beiden Frauen aus. Je nachdem welche am Ruder war, feierte das Land seinen Tag der Unabhängigkeit entweder am 26. März, als Sheikh Mujibur sie ausrief, oder am folgenden Tag, als sein Waffengenosse Major Ziaur Rahman dasselbe aus dem Maquis tat. Seit zwanzig Jahren boykottiert die jeweilige Opposition die Parlamentssessionen.
Bangladesch schien ein Fall für den Papierkorb der Geschichte zu werden – der berüchtigte „basket case", den Henry Kissinger verächtlich vorausgesagt hatte. Während Jahrzehnten war sein Name ein Synonym für politische Instabilität und extreme Armut. Bangladesch wurde auch das fleischgewordene Schreckgespenst der Überbevölkerung. „Es hat die gleiche Bevölkerungsdichte“, sagte das "National Geographic" düster, „wie wenn alle Amerikaner im Staat Texas wohnen würden“. Bei dieser demografischen Enge war es nur folgerichtig, dass jede Naturkatastrophe Opfer in Millionenhöhe forderte. Das ausgemergelte Gesicht eines bangalischen Bauern wurde zur weltweiten Ikone von Unterentwicklung.
Erstaunlich positive Sozialindikatoren
So sehr prägte dieses Klischee unser Bild von Bangladesch, dass wir lange übersahen, dass sich hinter seiner dysfunktionalen Politik ein basisdemokratischer Elan entwickelte. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen in Form von NGOs rangen dem Staat eine Sozialpolitik ab, die erstaunliche Resultate erbrachte. Heute weist Bangladesch Sozialindikatoren auf, die besser sind als die der anderen südasiatisachen Nachbarn.
Selbst Indien, das sich so viel auf seine Demokratie zugute hält, fiel zurück. Die Geburtenrate hat sich rascher zurückgebildet als in Indien, die Einschulung auch von Mädchen lässt jene der Nachbarn (mit Ausnahme Sri Lankas) hinter sich, die Sterberate von Müttern und Kleinkindern fiel dramatisch, die Lebenserwartung überholte jene Indiens, Impfungen erreichen heute praktisch alle Kinder.
Damit einher ging die Verbesserung der Stellung der Frau - keine Selbstverständlichkeit für ein muslimisches Land. Natürlich bleibt Bangladesch ein armes Land, mit einem Pro-Kopf-Einkommen weit hinter jenem aller Nachbarn ausser Nepals. Aber das Land hat, auch dank handelspolitischer Initiativen der Industrieländer, eine Textil-Industrie von internationalem Niveau aufgebaut, und mit seinen Kleiderexporten liegt es heute an zweiter Stelle – hinter Weltmeister China.
Diskriminierte Minderheiten
Es ist also Zeit, unser Bild vom "Basket Case" zu überholen, auch wenn, wegen der extremen Personalisierung der bengalischen Politik, andere Schwächen geblieben sind. Ich erwähne zwei Beispiele, mit denen ich vor vierzig Jahren in Berührung kam. Ein Jahr nach der Unabhängigkeit war ich Teil eines Ethnologen-Teams, das in den "Hill Tracts" im Hinterland von Chittagong die Wirkung der Modernisierung auf die Urbevölkerung der "Chakmas" recherchieren wollte.
Wegen des Bevölkerungsdrucks der Bengalen aus dem Küstengebiet drohte ihnen ein rascher Verlust ihres Lebensraums. Viele Chakmas waren damals nach Indien geflohen, weil sie die Rache der Bengalen fürchteten. Viele von ihnen hatten das ferne Pakistan als das kleinere Übel als die Omnipräsenz der Bengalen angesehen und sich nicht an der Unabhängigkeitsbewegung beteiligt. Bis heute hat Bangladesch den Chakmas die Rückkehr verweigert.
Damals wurde uns die Arbeitsbewilligung für die "Chittagong Hill Tracts" aus diesem Grund rasch entzogen. Statt den Aufenthalt ganz abzubrechen, arbeiteten wir in den Lagern der "Biharis" in Chittagong. "Biharis" waren Muslime aus Ostindien, die 1947 nach Ost-Pakistan ausgewandert waren. Auch sie hatten sich 1971 auf die Seite Pakistans geschlagen – und zahlen dafür bis heute. Noch immer haben rund vier Millionen dieser Menschen kein bengalisches Bürgerrecht und leben in Ghettos am Rand der bengalischen Grossstädte – und Gesellschaft.
Die verkleidete Taj Mahal
Auch den Waffengang von 1971 erlebte ich am Rand mit. Ich war kurz nach Ende des Kriegs auf der Reise von Benares nach Delhi, begierig, der Kälte des nordindischen Winters zu entfliehen und in Bombay mit der Familie Weihnacht zu feiern. Unser Zug wurde am Knotenpunkt von Tundla bei Agra auf ein Rangiergeleise geschoben und stand dort mehrere Tage, um Truppentransporten von der Front im Osten Platz zu machen.
So kamen wir – ich war in Begleitung meiner Schwester und ihres Mannes – zum bizarren Anblick eines .... verkleideten Taj Mahal. Wir waren die einzigen Besucher, und wir sahen das Grab-Monument der Mumtaz Mahal in braunes, flatterndes Sacktuch eingehüllt. Die Inder hatten erfahren, dass die pakistanischen Piloten bei Kriegsbeginn die Luftwaffenbasis Agra aus der Distanz von 300 Kilometern anpeilen konnten, weil der helleuchtende Marmor des Taj im Mondschein ihnen eine Ortung erlaubte. Es war ein bittersüsses Weihnachtsgefühl, dieser Gedanke, dass das weitleuchtende Symbol menschlicher Zuneigung auch der Peilpunkt für einen Akt gegenseitiger Zerstörung werden konnte. Das Paradox wurde ein zentraler Teil meines Lebensgefühls und meiner Indien-Erfahrung.
Die Wünsche an meine Leser für die Weihnachtstage und das Neue Jahr sowie mein Dank für Ihre Lesetreue sollen ohne diesen Schatten der Paradoxie auskommen. Sie sollen nur die Helligkeit der ursprünglichen Intention des Taj Mahal übermitteln.