Die Banksy-Ausstellung in Zürich wird wegen ihres grossen Erfolges bis zum 27. August verlängert. Seit ihrer Eröffnung am 24. Februar kamen mehr als 60’000 Besucher. Wer die Ausstellung betritt, begibt sich auf doppelte Böden. Nur selten sind die Dinge so, wie sie auf den ersten Blick erscheinen.
Der erste Raum wirkt sehr anziehend. Er ist eine Mischung aus Lounge und Bar eines heimeligen Hotels. Ein Klavier wird zu den passenden Zeiten für Stimmung sorgen, wenn man es sich in den gemütlichen Sesseln und Sitzecken bei einem guten Drink bequem macht. Banksy hat diesen Raum im Konzept seiner Kunst nicht einfach nur nachgebildet. Diese Bar gibt es wirklich, und man kann in dem Hotel, in dem sie sich befindet, auf Banksys Website unter Walledoffhotel ganz reale Zimmer buchen. – Was soll das?
Die Antwort ist grausam und hart. «The Walled Off Hotel» befindet sich in Bethlehem direkt an der Mauer, die Israel zur Absperrung des Palästinensergebiets errichtet hat. Die «Aussicht», die die plüschig und nostalgisch eingerichteten Zimmer dieses Hotels zu bieten haben, besteht im Blick auf diese Mauer. Um seine Ironie auf die Spitze zu treiben, hat Banksy jeweils ein Teleskop vor die Fenster gestellt.
Neben seiner beissenden Kritik an Israels Besatzungsregime karikiert Banksy mit seinem Hotel indirekt den Tourismus in seiner ganzen Unsäglichkeit. Denn wir als Touristen reisen in alle möglichen Regionen und Länder dieser Welt und suchen dabei Erlebnisse, Glück und Entspannung, ohne von den prekären Lebensrealitäten der unmittelbaren Nachbarschaften gestört werden zu wollen. «The Walled Off Hotel» ist ein Destillat dieser Mentalität, oder besser: ein Spiegel, den uns Banksy vorhält.
«Die grössten Verbrechen der Welt werden nicht von Menschen begangen, die die Regeln brechen, sondern von Menschen, die sich an die Regeln halten. Es sind Leute, die Befehle befolgen, Bomben abwerfen und Dörfer massakrieren.» Banksy
Banksy ist ein raffinierter Kerl im besten Sinne des Wortes. Seine Kunst erlaubt es ihm, seine radikale Kritik so auszudrücken, dass sein Publikum ihm auch dann noch Beifall zollt, wenn es eigentlich in Buhrufe über sich selbst ausbrechen müsste. Und er kann dieses Spiel bis in höchste Höhen treiben. Schon längst ist er ein Star der Auktionen bei Sotheby’s geworden. Seine Werke werden dort zum Teil in der Höhe von mehreren Millionen Pfund versteigert.
Was macht man nun mit einem Publikum, das dem Wahn des Kunstmarktes erliegt? Banksy hatte dazu die passende Idee. Sein Bild «Girl with Balloon» stand am 5. Oktober 2018 zur Auktion bei Sotheby’s. Die Gebote gingen höher und höher. Plötzlich geschah etwas Unfassbares: Das so überaus kostbare Bild rutschte nach unten aus dem Rahmen und wurde, deutlich hörbar, geschreddert. Von dieser Auktion wird in der Ausstellung ein Video gezeigt, das die Verblüffung des Auktionators und des Publikums herrlich wiedergibt. – Letztendlich erzielte der Auktionator mit diesem Bild 1,04 Millionen britische Pfund.
Das Ganze konnte nur deswegen funktionieren, weil Banksy auch ein genialer Künstler ist. Sein politischer Protest dient nicht der Ermässigung seiner künstlerischen Ansprüche. Er ist ein überragender Zeichner, Maler und Gestalter. Seine Leichtigkeit macht sein Spiel mit dem schönen Schein der überaus brutalen Wirklichkeit zum ästhetischen Erlebnis. Das will er einerseits, auf der anderen Seite ist ihm das Ästhetische aufgrund der damit verbundenen Marktförmigkeit höchst verdächtig. Banksy befindet sich in einem pragmatischen Selbstwiderspruch. Dieser Selbstwiderspruch lässt sich ebenso wenig auflösen wie der des begeisterten Publikums, das Kunst geniesst und zugleich den besonderen Kick der radikalen Botschaft als Mehrwert einzupreisen versteht.
Wie anders soll man es erklären, dass Banksys Bild «Devolved Parliament», das das britische Unterhaus zeigt, in dem statt der Abgeordneten Affen sitzen, bei Sotheby’s im Oktober 2019 für 9,9 Millionen britische Pfund versteigert wurde? Wie soll man die Affen deuten? Führen die Abgeordneten im Unterhaus im Grunde nur ein Affentheater auf, oder drückt Banksy den Gedanken aus, dass Affen die engsten Verwandten des Menschen sind und es vielleicht nicht ganz verkehrt wäre, wenn sie einmal über ihn herrschen würden? Vielleicht sogar zu Gericht sitzen?
Zu der Ausstellung in Zürich ist ein Katalog erschienen, aber es gibt auch einige instruktive Bildbände. Im vergangenen Jahr erschien von Stefano Antonelli und Gianluca Marziani «Banksy» bei Plaza. Mit den zahlreichen gut reproduzierten Abbildungen und den pointierten erläuternden Texten bietet er weitere Einblicke in Banksys vielfältiges Werk.
Banksys Spiel mit seinem Publikum, die Art, wie er den Kunstbetrieb auf die Schippe nimmt, hindert ihn nicht daran, Feinde klar zu identifizieren und sie anzugreifen. Unübersehbar ist seine Abscheu vor der Polizei und dem Militär. Am besten drückt er sie in den zahlreichen Graffiti aus, mit denen er zuerst Bristol übersäte und damit schlagartig berühmt wurde. Wieder und wieder klagt er Brutalität an oder macht sich über die staatlichen Repräsentanten der Gewalt lustig, indem er auch schon mal zwei Polizisten bei einem innigen Kuss zeigt. Besondere Bitterkeit aber verbindet er mit dem israelischen Besatzungsregime. Die «berühmteste Mauer der Welt», die Israel von den Palästinensergebieten trennt, ist zum Träger seiner Graffiti geworden, in denen er bitter das Zerschellen jeglichen Strebens nach Glück von denjenigen, die hinter der Mauer ihr Dasein fristen müssen, anprangert.
Neben den Repräsentanten staatlicher Gewalt hat er es auch auf die Unterhaltungsindustrie, wie sie von Walt Disney repräsentiert wird, abgesehen. In einem Siebdruck zeigt er das napalmverbrannte Mädchen, dessen Foto von Nick Út 1972 um die Welt ging, eskortiert von zwei Figuren aus dem Reservoir der disneyschen Unterhaltungswelt. Auch die Filmindustrie bringt Banksy auf die Palme. Aus «Paramount Pictures» machte er «Paranoid Pictures».
Disney hat ihn derartig wütend gemacht, dass er 2015 eine Art Gegendisney schuf: «Dismaland». Diese grosse Ausstellung fand im englischen Badeort Weston Super-Mare statt. Gängige Motive der Welt der Vergnügungsparks Disneys wurden hier derartig verzerrt, dass ihr Anblick schaudern machte. Ironisch gab er bekannt: «Familien-Park, der nicht für Kinder geeignet ist».
Banksy spielt nicht nur mit seinen Themen und Ausdrucksformen. Er variiert auch ständig die, wenn man so sagen darf, Haltbarkeit seiner Werke. Sie können so flüchtig sein wie Graffiti oder beständig wie ein klassisches Gemälde, wobei er auch hier nicht ohne gewaltige Pointen auskommt. So machte er sich 2005 über das berühmte Bild «Die japanische Brücke» von Claude Monet her und «interpretierte es neu», wie Kritiker schrieben, indem er unter der Brücke den mit Seerosen bedeckten Bach mit Einkaufswagen und einem orangefarbenen Verkehrskegel in eine illegale Müllkippe verwandelte. Bei Sotheby’s wurde das Bild im Oktober 2020 für 7,6 Millionen britische Pfund versteigert.
The Mystery of Banksy – A Genius Mind, bis 27.08.2023, Halle 622b, Zürich-Oerlikon. Tickets müssen auf der Website vorab bezogen werden: https://banksy-zuerich.ch/
Stefano Antonelli, Gianluca Marziani: Banksy. Heel Verlag, 2022, 240 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 29,95 Euro