Seit die Mangrovenwälder als Brennmaterial zur Speisezubereitung verschwunden sind, finden große Wellen kein Hindernis mehr, wenn sie Indonesiens Küsten attackieren. Doch nun haben solche Wellen an Balis östlichen Küsten nicht nur erhebliche Verwüstungen verursacht, sondern auch Balis dunkle Vergangenheit an den Tag befördert.
Am Cucukan-Strand bei dem Dorf Medahan legten die Wogen zahlreiche Skelette eines Massengrabes frei. Knochen lagen über den ganzen Strand verstreut. In dem Gebiet, so erzählen Dorfbewohner, wurden „damals die Kommunisten exekutiert“. Bis zu 200 derartige Gräber gäbe es in der Gegend, heißt es.
„Wir haben 40 getötet, manchmal 50“, erzählt der alte Mann und macht ein paar Schritte aus dem Kecak-Tanz, der jedem Bali-Touristen vorgeführt wird. „Insgesamt töteten wir vielleicht 600. Dann warfen wir sie in den Brunnen.“
„Bang, schlug ich ihnen den Kopf ab“, erzählt ein Anderer, der damals 17 Jahre alt war, „zehn, mehr, vielleicht 100. Gott gab mir die Kraft, es zu tun.“ Stolz zeigt er sein Schwert, mit dem er seine Opfer erschlug. „Wir schlugen sie einfach tot und warfen sie dann in dieses Loch“, sagt er und lacht und zeigt auf einen schmalen Eingang in eine Höhle.
Einer der schlimmsten Massenmorde
Beinahe 50 Jahre lang sprach niemand in Indonesien über jene Massaker, in denen Suharto nach der Machtergreifung Kommunisten, Sympathisanten oder auch nur des Kommunismus Verdächtige umbringen ließ. Die PKI war die größte kommunistische Partei außerhalb des kommunistischen Lagers und war zusammen mit den der Partei angeschlossenen Gewerkschaften, Jugend- und Frauenorganisationen über 3,5 Millionen Mitglieder stark.
Rund eine Million Menschen fielen dem Gemetzel, das jener Nacht des Umsturzes (30. Sept./1. Opkt. 1965) folgte, zum Opfer. Man schnitt ihnen die Kehle durch und warf sie in die Flüsse, in Brunnen oder Höhlen. Die Bewässerungskanäle der Reisfelder waren verstopft von Leichenteilen, Armen, Beinen, Torsos. Seuchen brachen aus. „In Bezug auf die Zahl der Getöteten zählen die antikommunistischen Massaker zu den schlimmsten Massenmorden des 20. Jahrhunderts, vergleichbar mit den sowjetischen Parteisäuberungen der dreißiger Jahre, den Nazi-Massenmorden und dem maoistischen Blutbad Anfang der fünfziger Jahre“, heißt es in einem Bericht des US-Geheimdienstes CIA: „Indonesia – 1965; The Coup That Backfired“. Am schlimmsten wüteten die Mörder in Bali, wo 500 000 starben. Der Eifer, mit dem Jugendliche auf Bali mordeten, veranlasste General Sarwo Edhy, damals von australischen Zeitungen als „der Schlächter von Java“ beschrieben, zu dem Kommentar: „In Java mussten wir die Leute aufhetzen, Kommunisten umzubringen. In Bali mussten wir sie zurückhalten. Wir mussten Ordnung und Systematik in diese antikommunistische Hysterie bringen.“
Nach Suhartos Putsch und den Massakern hämmerte antikommunistische Propaganda 32 Jahre lang auf Indonesien ein. Die Pressezensur war vollständig. Zu Kommunisten zählten auch Ökonomen und Sozialwissenschaftler wie Adam Smith, Max Weber, John Maynard Keynes oder die Frankfurter Schule. Bis heute wagen sich die Opfer nicht, sich zu ihrer Vergangenheit zu bekennen. Einen Ehemann oder Vater zu betrauern, der einst als Kommunist ermordet wurde, könnte nur Verdacht erregen. Viele hatten damals ihre Heimatdörfer verlassen und sich an Orten niedergelassen, wo niemand sie kannte.
Noch 1999, als Suhartos Nachfolger, Präsident B.J. Habibie, die letzten Häftlinge jener Kommunistenhatz nach 34 Jahren Haft entließ, zeigte das Fernsehen einen Mann, der das Gefängnis unter Tränen verließ: Seine Familie wollte ihn nicht sehen, er wusste nicht, wohin er gehen sollte. Und noch 2000 stieß Präsident Abdurrahman Wahid selbst unter seinen eigenen Anhängern auf erbitterten Widerstand, als er eine Überprüfung der Ereignisse jener Monate und eine Aufhebung des Verbots der kommunistischen Partei anregte. Bis heute wollte niemand über diesen Teil der indonesischen Geschichte reden.
Nun reden sie
Und nun, plötzlich und zum ersten Mal seit 48 Jahren sprechen und berichten die Täter von ihren Mordorgien und „enthüllen die blutige und grausige Wahrheit, der sich das Land nun stellen muss“, wie die Bali Post schrieb. Sie sind stolz auf ihr Tun. Immer noch sind sie überzeugt, das Land gerettet zu haben; das war ihnen über dreißig Jahre lang von der Propaganda eingebläut worden. Jeder Schüler und Studenten hatte den Film über den Verrat der Kommunisten an jedem 30. September anschauen müssen. Auch neuere Forschungsergebnisse vor allem von der Cornell University in Ithaka, New York, oder der Universität von Georgetown vorgelegt, die der von Suhartos Propagandisten verbreiteten Version der Ereignisse jenes Herbstes 1965 widersprechen, haben kaum eine Chance, in Indonesien gehört zu werden. Den von der UNESCO unterstützten Vorschlag, diese neuen Erkenntnisse in die Schulbücher aufzunehmen, blockierte das Parlament in Jakarta. Die Veröffentlichung einer neuen Darstellung der Geschichte führe nur „zu Konfusion unter der Bevölkerung“ und sei darum nicht empfehlenswert, behaupteten die Volksvertreter. Als ein indonesischer Verlag das Buch „pretext for mass murder“ des Historikers John Roosa von der University of British Columbia in Vancouver herausbringen wollte, musste er über ein Jahr gegen das Justizministerium kämpfen, das die Veröffentlichung neuer Erkenntnisse verhindern wollte.
Doch inzwischen wird es zunehmend schwieriger, die Wahrheit zu unterdrücken. Nun wagen sich auch die ersten Opfer an die Öffentlichkeit. Drei Jahre habe sie sich „in einer Höhle versteckt und nur von Blättern gelebt“, erzählt die ehemalige Kommunistin Patwiati. „Darum habe ich überlebt.“ Nach drei Jahren fand man sie, verhaftete sie und verurteilte sie zu zehn Jahren Gefängnis. „Dort haben sie mich wie ein Tier behandelt.“ Aber sie lebte. Ihre Schwester, die gleich in den ersten Tagen nach Suhartos Machtübernahme verhaftet wurde, „haben sie zu Tode gefoltert“, hat sie später erfahren.