Wer sich den Fussball-Kampf (das war es, viel mehr als ein Spiel) zwischen der Schweiz und Serbien anschaute und die wüsten Szenen zwischen Captain Xhaka und mehreren serbischen Gegnern nicht vergessen kann, fragt sich: Woher diese Wut, ja dieser Hass?
Die Sonntags-Zeitung beschrieb eine der wüsten Szenen so: «Plötzlich sprinten Serbiens Ersatzspieler auf den Rasen. Schreien, Winken. Wollen Xhaka an die Gurgel. (…) In diesen Momenten ist nicht auszumachen, warum die Serben derart in Rage geraten sind.»
Der Schieds- und Videoschiedsrichter hat offensichtlich auch nichts gesehen. Später zeigen Videoaufnahmen und Bilder: Xhaka blickt in die Richtung der serbischen Bank, dann greift er sich kurz in den Schritt. Am Ende des Kampf-Spiels attackierte der serbische Torhüter den aus dem Kosovo stammenden Schweizer Xhaka. Und schliesslich zog sich Xhaka noch ein Trikot mit dem Namen Jashari über – laut Xhaka Hinweis auf einen beim FC Luzern spielenden jungen Fussballer – laut Zeitgeschichte aber auch der Name eines Mitbegründers der kosovarischen Befreiungsarmee UCK, der nicht nur die Serben, sondern auch internationale Gremien Verbrechen im Krieg von 1998/1999 vorwerfen.
Ein profunder Kenner der Balkan-Region, Cyril Stieger, Slawist und von 1986 bis 2015 für die NZZ Korrespondent in der Region, beschreibt in seinem Buch «Die Macht des Ethnischen» die Trennlinien zwischen Serben und Kosovaren. «Angefangen hatte alles mit der Aufhebung der Autonomie Kosovos und der Vojvodina durch Belgrad Ende März 1989», schreibt er, und: «Kosovo verlor damit die in der Verfassung von 1974 gewährten weitgehenden legislativen und exekutiven Rechte.»
Das Parlament Kosovos wurde aufgelöst, ebenso die Regierung. Zehntausende Kosovaren verloren ihren Job. Die Kosovo-Albaner proklamierten daraufhin die «Republik Kosovo», bald gab es faktisch zwei Staaten «übereinander, einen serbischen an der Oberfläche, der über alle Machtmittel verfügte, und einen albanischen im Untergrund». Alle Bildungseinrichtungen Kosovos wurden aufgelöst, die serbische Sprache zum Obligatorium erklärt.
«Zugemauerte Gänge» überschreibt Stieger das folgende, schockierend beeindruckende Kapitel. Das war so wortwörtlich zu verstehen: In den Grundschulen wurden Mauern hochgezogen, um die Kinder von Kosovo-Albanern von jenen der Serben zu trennen. Manchmal verbarrikadierten die Mauern selbst die Korridore in den Schulgebäuden. Die gegenseitige Entfremdung eskalierte weiter, ebenso wie der bewaffnete Konflikt zwischen serbischen Sicherheitskräften und der kosovo-albanischen Befreiungsarmee UCK. Ohne Uno-Mandat griff die Nato 1999 Serbien an, nach 78 Tagen zogen die serbischen Truppen aus Kosovo ab, Kosovo wurde unter Uno-Verwaltung gestellt. Im Februar 2008 erklärte Kosovo die Unabhängigkeit.
Die Stadt Mitrovica schildert der Autor als Symbol der schon 1989 begonnenen Trennung – nach dem Krieg von 1999 verschärfte sie sich auf absurde (manchmal auch widersprüchliche) Weise. Bis sie sogar den Fussball-Club erreichte. Jetzt gibt es dort zwei Clubs mit demselben Namen: «Beide haben dieselben schwarz-grünen Clubfarben, dasselbe Vereinslogo und dieselben Trikots. Der serbische Club nennt sich FK Trepca, der albanische KF Trepca. KF bedeutet ebenso wie FK Fussballclub.» Die Fussballer vom einen Club wollen mit den anderen nichts zu tun haben, sie erklären ihn als illegal.
Cyrill Stieger erklärt anhand solcher Beispiele, wie sich auf dem Balkan (das gilt nicht nur für Serbien und Kosovo) sichtbare und unsichtbare Trennlinien auf verhängnisvolle Weise verfestigt haben. Ist das unumkehrbar? In fast allen Ländern des ehemaligen Jugoslawien herrsche, schreibt Stieger, ein Opfer-Täter-Schema, aber generell vorherrschend seien jetzt Gleichgültigkeit und Desinteresse gegenüber der jeweils anderen Ethnie, vor allem in Bosnien.
Im Stadion allerdings, das zeigte sich beim Fussball-Kampf vom vergangenen Freitag, durchbrechen dann doch Wut und sogar Hass die Wand von Gleichgültigkeit.
Buch-Hinweis: Cyrill Stieger: Die Macht des Ethnischen – sichtbare und unsichtbare Trennlinien auf dem Balkan. Rotpunktverlag, 223 Seiten.