Vor zwei Wochen gab der Software-Unternehmer Azim Premji bekannt, dass er weitere Anteile seines Vermögens den beiden Familienstiftungen überschrieben hat. Es ist eine hübsche Stange Geld: 7,5 Milliarden Dollar.
Der Hauptanteil besteht aus Aktien der Firma Wipro, dem drittgrössten Software-Konzern Indiens. Aus einer kleinen Familienfirma für Pflanzenöl, Seifen und Elektrogeräte – WIPRO stand ursprünglich für „Western India Vegetable Products“ – schuf Premji eigenhändig einen der grössten IT-Konzerne der Welt.
Nun geht dessen Besitzmehrheit (67%) endgültig an die Stiftungen über, nachdem Premji ihnen in mehreren Etappen bereits ein erstes Drittel übermacht hatte. Das Geschäftseinkommen der vierköpfigen Familie fliesst in Zukunft „nur“ noch aus den restlichen sieben Prozent Anteilscheinen an der Firma. Insgesamt hat Premji im Lauf der letzten zwanzig Jahre ein Stiftungsvermögen von 21 Mia. $ geschaffen.
Getrennte philanthropische und kommerzielle Funktionen
Ohne das Kapital anzutasten, können die Premji-Stiftungen fortan jedes Jahr zwischen einer und anderthalb Milliarden Dollars in Stiftungszwecke einschiessen. Selbst die Stiftungen des riesigen Tata-Mischkonzerns verfügen nicht über Ausgaben in der gleichen Grössenordnung (rund 200 Mio. $ p .a.).
Die unter der Holding Tata Sons firmierende Gruppe ist weit grösser als Wipro, und deren Stiftungen kontrollieren ebenfalls rund zwei Drittel der Holdingfirma Tata Sons. Diese zahlt aber weit geringere Dividenden an seine Eigner aus. Tata Sons ist in den letzten Jahren quasi zu einer Clearing-Agentur für die rund hundert Tata-Töchter geworden. Gewinne von hochprofitablen Unternehmen werden an solche mit roten Zahlen und grossen Schuldenlasten überwiesen.
Es gibt noch einen weiteren Unterschied: Die Premji-Stiftungen haben keine Vertreter im VR von Wipro. Ihre Stimmrechte werden weiterhin von Azim Premji wahrgenommen. Damit sind die Funktionen – philanthropische und kommerzielle – klar getrennt.
Akteure in der Armutsbekämpfung
(Bei den Tatas ist dies anders: Die Stiftungen delegieren drei Vertreter in den Verwaltungsrat von Tata Sons. Damit beeinflussen sie, trotz mangelnder Sachkompetenz, geschäftliche Entscheide; sie kassieren zudem Saläre, die solchen von Spitzenmanagern entsprechen. So kam es kürzlich zum Eclat, als bekannt wurde, dass der Geschäftsführer der Stiftungen ein Jahreseinkommen von rund 200’000 $ bezog. Darauf entzog die Steuerbehörde einer der drei Tata-Stiftungen die Steuerbefreiung).
In einem sind sich die Tata- und Premji-Stiftungen allerdings ähnlich: Beide sehen sich als strategische Akteure in der Armutsbekämpfung. Beide sind sich bewusst, dass umfassende Interventionen nötig sind, um in Indien einen strukturellen Wandel zu bewirken. Die Erfahrung hat sie gelehrt, dass der Staat allein nicht fähig ist, diesen herbeizuführen. Und beide nehmen die siebzehn Sustainable Development Goals 2030 (SDGs) der Uno als Zielvorgabe für ihre Tätigkeit.
Die Tatas setzen ihre Beiträge als Hebel ein, um zusammen mit anderen Spendern und zahlreichen NGOs nachhaltige Änderungen zu bewirken. Im Gegensatz dazu sind die Premji-Stiftungen direkt operationell tätig, und sie fokussieren sich auf einige wenige SDGs, namentlich Bildung, Gesundheit und Jobs („Livelihoods“).
Rang 114
Premji ist sich der Komplexität bewusst, die ein Land von 1,3 Milliarden Menschen darstellt, die zu drei Vierteln immer noch am Existenzminimum leben oder deren dünne Wohlstandsdecke jederzeit in Luft aufgehen kann. Er hat deshalb in Bangalore eine Universität gegründet, die ausschliesslich Entwicklungsforschung betreibt und ein Kader von ausgewiesenen Berufsleuten ausbildet. Eine zweite Universität in Nordindien steht in Planung.
Sozialinvestitionen privater Geber sind von kritischer Bedeutung. Dies zeigen die bisher geringen Fortschritte Indiens im Erreichen der SDGs. Ein Grund ist der starke Rückgang ausländischer Entwicklungsgelder (um 40 Prozent). Die Modi-Regierung hat in den letzten fünf Jahren 13’000 NGOs den Zugang zu internationalen Gebern versperrt, weil sie darin eine lästige Einmischung in innere Angelegenheiten sieht.
Die Sozialausgaben des Staats haben allerdings stark zugenommen (von jährlich 23 auf 33 Mia $ zwischen 2013 und 2018). Dennoch bleibt Indien weit von den SDG-Vorgaben entfernt. Im „SDG Index“, der die Etappen-Leistungen der armen UNO-Mitgliedländer misst, ist Indien vom Rang 112 auf 114 zurückgefallen. Allein für die Finanzierung der fünf wichtigsten SDGs fehlen Finanzmittel in der Höhe von 60 Milliarden Dollar.
Am stärksten wachsende Volkswirtschaft
Wie steht es mit dem philanthropischen Engagement privater Unternehmen und Personen? Es hat in den letzten fünf Jahren noch stärker zugenommen als jenes des Staats und wuchs von 6 auf 11 Mia.$. Indische Unternehmen sind heute durch Gesetz verpflichtet , zwei Prozent ihres Gewinns vor Steuern in soziale Projekte zu investieren („Corporate Social Responsibility“ – CSR). Letztes Jahr gaben sie allerdings nur knapp 2 Mia $ dafür aus, bedeutend weniger als erwartet.
Lässt sich etwas Ähnliches von der privaten Caritas reicher Inder sagen? Inzwischen hat sich die Zahl von „Ultra High Net-Worth Individuals“ (UHNI) auf knapp 200’000 erhöht. (Ein „UHNI“ besitzt ein Vermögen von mindestens 250 Millionen Rupien). Indien ist weiterhin die am stärksten wachsende grosse Volkswirtschaft der Welt. Der Anteil der reichen Inder am gesamten Volksvermögen liegt inzwischen bei 58% für das oberste ein Prozent – nur Russland hat mit 55% eine ähnlich verzerrte Verteilung.
Man darf also erwarten, dass auch „altruistic giving“ stark zugenommen hat. Und tatsächlich: Im letzten Jahr wuchsen die Beiträge der UHNI überdurchschnittlich um 15%. Allerdings muss man an dieser Zahl nur ein bisschen kratzen, und das noble Engagement fällt in sich zusammen. Der Philanthropy Report 2019 des Vermögensverwalters Bain&Co. tut dies, indem er Azim Premji aus der Gleichung nimmt. Das Resultat: Achtzig Prozent der gewachsenen Beiträge sind auf diese eine Person unter den 200’000 Super-Reichen zurückzuführen. Ohne Premji ist deren Beitrag sogar um 4% gefallen.
Sonderling in der Kohorte
Der letzte Kotak Wealth Report – eine Art Forbes-Liste der reichsten Inder – notierte, dass diese etwa 7 Prozent ihres „disposable income“ für karitative Zwecke einsetzen. Doch die häufigste Zweckbestimmung sind nicht etwa Schulen oder Ambulanzen, Lehrwerkstätten oder Trinkwasserversorgung. 72 Prozent tickten eine Box namens „Yoga“ an...
Was besonders nachdenklich stimmt: Inzwischen sind zwei Drittel dieser Spezies Mensch unter vierzig Jahre alt. Azim Premji dagegen ist 73. Er ist überhaupt ein Sonderling in dieser Kohorte, das schiere Gegenteil von Mukesh Ambani, dem einzigen Inder, der noch reicher ist als er.
Premji ist ein Einzelgänger, er lebt zurückgezogen und erlaubt sich kaum Luxus. Als ich ihn vor vielen Jahren einmal interviewen konnte, lag sein Anwesen auf Stelzen an einem kleinen See mitten in Bangalore. Keine andere Behausung war weit und breit zu sehen. Ich glaube mich zu erinnern, dass ich auf dem Weg dahin über Zementsteine hüpfen musste, die in einem unregelmässigen Muster im Wasser angelegt waren.
Die persönliche Bescheidenheit und das hartnäckige Festhalten am Dienst für die Gesellschaft erinnern – bei allen Unterschieden – an Mahatma Gandhi. Premji ist allerdings kein Prediger, und er schmückt sich nicht mit Gandhi-Zitaten – mit einer Ausnahme: Für ihn wie für den Mahatma ist materielles Vermögen nicht Privatbesitz, sondern Trusteeship – Treuhandschaft.