Im Irak ist es sowohl der kurdisch-arabische Gegensatz, wie auch die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten, die durch gegensätzliche Engagements in der syrischen Frage verschärft werden. Die irakischen Sunniten, die sich im Streit mit der schiitisch dominierten Regierung Nuri Malekis befinden, sind Freunde und Verbündete des syrischen Widerstands. Die Regierung von Bagdad sympathisiert mit Teheran und Damaskus.
Doch zwischen den Sunniten und den Schiiten des Irak herrschen ohnehin starke Gegensätze. Sie kommen dadurch zum Ausdruck, dass die Bombenanschläge auf schiitische Pilger, Heiligtümer, Zivilisten, Polizeieinheiten, Rekruten für die Regierungsarmee und andere wieder zunehmen.
Vizepräsident unter Terror-Anklage
Die von Schiiten beherrschte Maleki Regierung hat versucht, ihrerseits einen Gegenschlag zu führen, indem sie den wichtigsten Sunnitenpolitiker des Landes, Vizepräsident Tarek al-Hashemi, anklagte, er habe Bombenanschläge gegen Regierungsinstitutionen organisiert. Die "Beweise" der Regierung beruhen auf Aussagen, welche die gefangen genommenen Leibwächter Hashemis gemacht haben sollen.
Hashemi selbst ist zuerst nach Kurdistan, dann in die Türkei entkommen und hat auch Qatar und Saudi Arabien besucht. Er erklärt, seine Leibwächter seien durch Folter zu ihren belastenden Aussagen gezwungen worden. Die Regierung hat einen Prozess gegen Hashemi in absentia begonnen.
Keine Mehrheit gegen Maleki
Die Parteifreunde Hashemis boykottierten ein paar Wochen lang das Parlament und die Regierung, doch haben sie sich inzwischen wieder zur Zusammenarbeit bewegen lassen. Zuvor hatten sie versucht, die Regierung Maleki durch ein Misstrauensvotum zu Fall zu bringen.
Doch dies war misslungen, weil die Minister ihrer eigenen Partei mit dem Sturz der Regierung auch ihre Posten und Pfründe verloren hätten, ein Risiko, das sie nicht auf sich nehmen wollten. Auch die Kurden, deren Stimmen für ein Misstrauensvotum notwendig wären, zögerten, mit der Regierung Malekis völlig zu brechen.
Zwei Armeen stehen sich gegenüber
Am 7. Juli kam es zu neuen Spannungen zwischen den Kurden und der Regierung von Bagdad. Die Regierung beschloss, Truppen an die syrische Grenze im irakischen Norden zu schicken, um dort den sehr regen Schmuggel von Menschen, Waffen und Waren unter Kontrolle zu bringen.
Auf der syrischen Seite kontrollieren die Aufständischen die Grenzposten. Doch die kurdischen Truppen, die Peshmerga, hielten das nördlichste Grenzgebiet beim Grenzübergang von Zamar, das im Westen der Provinz Dohuk liegt, unter ihrer Kontrolle. Dieses Gebiet gehört nicht zu dem von beiden Seiten anerkannten autonomen Gebiet Kurdistans, sondern zu jenem Gürtel von Landstrichen, westlich und südlich des heutigen Kurdistans, welche die Kurden ebenfalls für sich beanspruchen, weil sie mehrheitlich von Kurden bewohnt sein sollen. Kirkuk ist das wichtigste dieser "umstrittenen Territorien".
"Umstrittene Gebiete" vor Kurdistan
Nicht alle, aber bedeutende Teile dieser "umstrittenen Gebiete" befinden sich unter Kontrolle der Peshmerga, und diese sind darauf bedacht, die reguläre Armee von Bagdad aus den von ihnen beherrschten Gebiete herauszuhalten. Aus diesen Gründen weigerten sich die Peshmerga, die irakische Armee in die von ihnen kontrollierten Abschnitte der syrischen Grenze einmarschieren zu lassen. Es kam zu einer Konfrontation der beiden Armeen. Sie standen sich mit schussbereiten Waffen gegenüber, und beide Seiten gruben sich ein und bauten Befestigungen. Unter anderem bezogen sie Positionen auf beiden Seiten des Grenz- und Schmugglerdorfes Dawara, dessen 80 Bewohner den Flecken verliessen, um - wie sie sagten - „ihr Leben zu retten“.
Ministerpräsident Maleki gab in Bagdad Erklärungen ab, in denen er die Peshmerga beschuldigte, seine Truppen von der Grenze fernzuhalten, weil sie den dortigen Schmuggel kontrollieren und ausbeuten wollten. Maleki neigt der Asad-Regierung zu, die Kurden jedoch den syrischen Rebellen. Der kurdische Präsident, Masud Barzani, hat offen erklärt, seine Peshmerga seien im Begriff, syrische Kurden als Kämpfer auszubilden.
Die irakischen helfen den syrischen Kurden
Die syrischen Kurden wollen sich weder Asad noch den syrischen Aufständischen unterordnen. Sie versuchen, ihre eigenen Gebiete, die in zwei Hauptenklaven auf der syrischen Seite der türkischen Grenze liegen, selbst zu verwalten und beide Seiten aus ihnen fernzuhalten.
Die türkische Seite beschuldigt die syrischen Kurden, eng mit der PKK zusammenzuarbeiten, die heute vom irakischen Kurdistan aus die türkischen, aber von Kurden bewohnten Grenzprovinzen des Südostens infiltriert, um Anschläge auf türkische Soldaten und oftmals auch Zivilisten durchzuführen.
Barzani hält seinerseits mit den Türken Kontakt und versichert immer wieder, er sympathisiere nicht mit den PKK-Ablegern, die sich in den irakisch-kurdischen Bergen und Grenzgebieten zwischen dem irakischen Kurdistan und den türkischen Kurdenprovinzen festgesetzt haben. Im Gegenteil, sagt Barzani, er suche diese Infiltratoren unter Kontrolle zu bringen, und er greife auch nicht ein, wenn die türkischen Truppen über ihre Grenze hinweg die PKK-Kämpfer verfolgten oder bombardierten.
Ein Kompromiss für die Grenzkontrolle
Im August schlossen die irakischen Regierungstruppen und die Peshmerga an der syrischen Grenze einen Kompromiss. Er soll nach den Aussagen der Peshmerga-Sprecher beinhalten, die Regierungstruppen dürften den Peshmerga dabei "helfen", in den von ihnen kontrollierten Gebieten die Grenze nach Syrien zu überwachen. Doch seien sie verpflichtet, diese Gebiete wieder zu verlassen, sobald die Lage in Syrien sich normalisiere. (Was allerdings so rasch nicht eintreten dürfte). Aus Bagdad verlautete nichts zu diesem Kompromiss.
Dadurch scheint sich die Lage zunächst einmal etwas entschärft zu haben. Die Iraker und die Libanesen sind insofern in einer ähnlichen Lage, als beide Staaten ihre eigenen Bürgerkriege noch nicht vergessen haben. Was dazu führt, dass sie trotz aller inneren Spannungen angestrengt zu vermeiden suchen, in einen neuen inneren Krieg zurückzufallen. Daher kommt es oft bis an die Schwelle von Ausbrüchen, doch bisher wurden sie im letzten Augenblick vermieden, indem man provisorische Lösungen fand.
Drei Streitfragen zwischen Maleki und den Kurden
Zwischen den Kurden und der Regierung in Bagdad, der ebenfalls einige Kurden angehören, gibt es zwei Reibungspunkte im Zusammenhang mit dem Öl: das bereits erwähnte Problem der "umstrittenen Gebiete" einschliesslich der Erdölstadt Kirkuk und die Frage der Erdölförderung in den Kurdengebieten. Denn die wollen die Kurden in eigener Regie vornehmen. Das Erdölministerium in Bagdad beansprucht jedoch, die Erdölförderung im ganzen Land zu beaufsichtigen.
Diese Frage ist dadurch kompliziert, dass Kurdistan ein Erdölgesetz formuliert hat, an das sich die fremden Erdölgesellschaften, von denen einige bereits an der Arbeit sind, halten können. Der irakische Staat hat jedoch immer noch kein Erdölgesetz, weil das Parlament sich über ein solches nicht hat einigen können. Das Parlament in Bagdad hat mehrheitlich erklärt, die kurdische Erdölförderung in Kurdistan sei illegal.
Wie viele Soldaten für Kurdistan?
Des Weiteren gibt es die Frage der eigenen kurdischen Armee. Sie wird seit 2007 in Bagdad diskutiert, ohne dass bisher ein Resultat erreicht worden wäre. Die Kurden sollen gegenwärtig 100'000 Mann unter Waffen stehen haben. Die Regierung von Bagdad fordert, diese sollten auf 35'000 reduziert werden. In Erbil, der kurdische Hauptstadt, wird erklärt, 75'000 seien unumgänglich wegen der schwierigen Berggebiete und prekären Grenzen, die sie zu beaufsichtigen hätten. Neben den dienenden Peshmerga soll es noch gegen 90'000 ehemalige kurdische Soldaten im Ruhestand geben.
Die Kurden haben 20 Apache-Helikopter in den USA gekauft, die irakische Armee hat einen Vertrag mit den USA über den Verkauf von F 16, die 2014 geliefert werden sollen. Die Kurden erinnern sich daran, dass sie unter Saddam Hussein und schon unter früheren Regierungen Opfer der Bagdader Luftwaffe waren. Saddam Hussein ging sogar mit Giftgas gegen sie vor. Daher protestieren sie gegen den Wiederaufbau einer irakischen Luftwaffe.
All dies sind ungelöste innere Spannungsfragen, die schon seit Jahren bestehen. Doch die syrische Spaltung wirkt sich auf sie aus und erhöht ihre Brisanz, wie die Vorgänge an der syrischen Nordostgrenze zeigen.