Ernsthafte Fotografie wird überwiegend als kritische Arbeit gesehen. Sie soll das sichtbar machen, was schlecht ist in dieser Welt, und sich auf die Seite der Benachteiligten stellen. Sie soll sich nicht mit blank polierten Oberflächen begnügen. Denn dann ist sie Werbung oder Propaganda. Oder Kitsch.
Dennoch können Bilder etwas von der Leichtigkeit des Seins mitteilen, ohne die Dynamik der Tiefe zu verleugnen. Hans Steiner hat es gezeigt. Aber das Risiko ist gross. Denn Bilder, die leicht daher kommen und nicht schwer - und entsprechend vermarktet werden -, sind nicht mit den Ewigkeitszeichen von Kunstausstellungen markiert. Das mag der Grund dafür gewesen sein, dass dieser erfolgreiche Fotograf nach seinem Tod 1962 zeitweilig völlig von der Bildfläche verschwunden ist.
Das geschah, obwohl er einem Massenpublikum durch sein Porträt von General Guisan von 1939 bekannt war. Dieses Porträt war von der Regierung und dem Militär approbiert und hing in allen Beizen. Und das war kein Zufallstreffer. Die Fotos von Hans Steiner waren ein unverzichtbarer Bestandteil der „Schweizer Illustrierte Zeitung“, „Sie & Er“ und – nach dem Krieg - „Die Woche“. Wirksam, aber einem Massenpublikum vielleicht weniger bekannt war die Tatsache, dass Steiner überaus erfolgreich für die Werbung fotografierte.
Interdisziplinäre Arbeit
Im Jahre 1989 erwarb das Musée de l´Elysée das Archiv Steiners. Überaus beeindruckt war man vom Umfang und von der Systematik. Etwa 100.000 Negative und Kontaktabzüge waren dort fein säuberlich nach Themen, nicht, wie sonst üblich, nach der Entstehenszeit geordnet. Ja, einige Experten sprachen von einer fotografischen Enzyklopädie, die sich ihnen auftat. Wie aber sollte man an dieses Werk herangehen, das eben noch nicht durch Ausstellungen und Bildbände in die zeitgenössische Fotografiegeschichte eingeordnet war? Die Fülle des Materials machte es schwer, eine Auswahl zu treffen und Schwerpunkte zu setzen. Den Experten war schnell klar, dass nur ein interdisziplinäres Vorgehen zu soliden Ergebnissen führen konnte.
Es entstand eine einzigartige Zusammenarbeit. Ende der 90er Jahre wurde eine Projektgruppe gebildet, die in fünfjähriger Arbeit eine Gesamtschau des Werks und eine zeitgemässe Bewertung erarbeitete. Zu der Projektgruppe gehörten Vertreter aus den Bereichen Kunst und Fotografie, Medienhistoriker, Restauratoren und Studenten. Sie kamen von der Universität Lausanne, dem „Büro für Fotografiegeschichte“ und dem „Schweizerische Institut zur Erhaltung der Fotografie“. An der Finanzierung beteiligten sich politische Institutionen, Stiftungen und private Einrichtungen. Technisch ermöglicht wurde dieses anspruchsvolle Programm durch die Digitalisierung. Und so unwahrscheinlich es auch klingen mag: Jeder Interessierte kann sich jetzt das gesamte Archiv unter www.hansteiner.ch anschauen.
Die Werkschau, die bis zum 9. Oktober 2011 in der Fotostiftung in Winterthur zu sehen ist, wurde auf der Basis der Ausstellung, „Alles wird besser“, im Musée de L´Elysée Lausanne, vom Kurator Peter Pfrunder zusammengestellt. Der Schwerpunkt liegt auf den Fotografien der Nachkriegszeit. Unter demselben Titel ist ein Katalog erschienen, der mit seinen profunden Texten einen tiefen Einblick in dieses neue Kapitel Fotogeschichte der Schweiz gibt.
Die Bilder Steiners sind formal mit ihrem Bildaufbau, der Verteilung des Lichts und der Kontraste jedes für sich meisterhaft gestaltet. Und ihre Dynamik zieht den Betrachter in den Bann. Er nimmt teil an Minierzählungen, die jeweils packend sind, und von denen man gern die Fortsetzung hätte. Da ist der Autofahrer, der eine Panne hat. Das ist spannend und auch so schön dekoriert, dass man über den Mann und seine Reise gern mehr wüsste.
Eine Frau schaut auf ihre Uhr. Natürlich ist das Werbung, aber was hat sie vor? Dieses Bild ist eben mehr als eine gestanzte Werbepose. Man sieht einen Metallarbeiter, und die Anordnung im Bild erzählt von der Präzision seiner Arbeit, so dass man den Ölgeruch einer Werkstatt in der Nase hat. Und da ist der Bürgenstock mit seinem Luxus und einer Frau, die den Luxus geniesst und zugleich Teil von ihm ist. Da würde man gern mehr erleben.
In der Ausstellung ist das Thema Berg entgegen dem Schwerpunkt auf Nachkriegsbilder schon mit Aufnahmen aus den 30er Jahren vertreten. Hans Steiner hatte von 1935 bis 1938 den Wettlauf um die Bezwingung der Eigernordwand fotografisch begleitet und wurde auch Zeuge der Tragödien, die sich dabei ereigneten. Daneben aber entstanden zahlreiche Bilder von der Ausbildung der Bergführer, der Skilehrer und überhaupt dem Erlebnis der Berge in jener Zeit. Bilder vom Skifahren, den ersten Skirennen vermitteln eine Aura, die von der Ski- und Freizeitindustrie inzwischen längst zunichte gemacht worden ist.
In allem besticht die unglaubliche handwerkliche Präzision der Bilder, die überwiegend mit einer Rolleiflex im Formal 6 x 6 cm aufgenommen worden sind. Und nach und nach fällt noch etwas anderes ins Auge: Immer wieder stösst man auf Bilder, die technisch nicht perfekt sind, aber mit ihrer Unschärfe die grösste Wirkung entfalten. Hans Steiner ist ein Meister gewesen, der mit unterschiedlicher technischer Qualität spielen konnte. Er wusste, vielschichtig zu erzählen und zu zeigen, dass auch dann, wenn „alles besser“ wird, kein Leben ohne Spannungen ist.