„Wir schleifen die rote Hochburg Toskana“, prahlte er immer wieder. „Unsere Löwin wird die Linke das Fürchten lernen.“ Matteo Salvini, der Chef der rechtspopulistischen Lega, ist kein Mann der leisen Worte.
Die mittelitalienische Region Toskana, mit Florenz als Hauptstadt, ist seit dem Zweiten Weltkrieg ein Bollwerk der Linken – mit hohem Symbolwert. Salvini schickte die 33-jährige Europa-Parlamentarierin Susanna Ceccardi in die Arena. Auch sie ist keine Frau der leisen Worte. Die Lega bezeichnete sie als „unsere Löwin“, die die verhasste Linke in die Flucht jagen sollte.
Für Salvini ging es um viel. Sein Image ist angeschlagen, er ist innerparteilich immer mehr umstritten, in den Meinungsumfragen rutscht er ab. Zudem ist er in mehrere Prozesse verwickelt. Ausser grossen Worten hat er nichts vorzuweisen.
Hätte seine Löwin die Toskana erobert, hätte ihm das einen dringend benötigten neuen Schwung gebracht, vor allem innerparteilich.
Aber die Löwin hat ausgebrüllt.
Das Ergebnis der Regionalwahlen in der Toskana ist mehr als eine Schmach für Salvini. Es ist eine Ohrfeige, es könnte der Anfang seines Endes sein.
Der sozialdemokratische Kandidat, weiss Gott kein Charismatiker, hat acht Prozent mehr Stimmen erhalten als die laute Lega-Frau. Umfragen hatten noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorausgesagt. „Acht Prozent“, jubelt ein Sozialdemokrat in Florenz, „das hätten wir nicht im süssesten Traum erhofft.“
Das Ergebnis erstaunt umso mehr, als die Fünf-Sterne-Bewegung, die in Rom eine Regierung mit den Sozialdemokraten bildet, eine eigene, aussichtslose Kandidatin aufgestellt hatte. So wurden die Anti-Salvini-Stimmer verzettelt. Und trotzdem: Acht Prozent! Offenbar haben einige Fünf-Sterne-Anhänger aus strategischen Gründen für den Sozialdemokraten gestimmt.
Hätte die Linke die symbolträchtige Toskana verloren, wäre die Partei, die sich langsam wieder aufrappelt, vermutlich daran zerbrochen. Dass sie die Wahlen jetzt mit fliegenden Fahnen beenden konnte, könnte ihr neuen Schub verleihen.
Nicht nur in der Toskana jubelt sie. Auch in der wichtigen süditalienischen Region Apulien wurde sie von der Rechten herausgefordert – dort von der postfaschistischen Partei „Fratelli d’Italia“. Auch dort wurde ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorausgesagt. Und auch dort triumphierte der linke Kandidat mit einem Vorsprung von acht Prozent. Auch das hätte sich kaum ein Sozialdemokrat in „seinen süssesten Träumen“ vorgestellt.
In sechs italienischen Regionen waren am Sonntag und Montag die Regionalpräsidenten gewählt worden. Dass in Ligurien und in Venetien die bisherigen Mitte-rechts-Präsidenten wiedergewählt würden, stand von Anfang an fest. Die Linke hatte dort schon längst Forfait gegeben und betrieb kaum Wahlkampf.
In Venetien ist der bisherige Regionalpräsident Luca Zaia auf einer eigenen Liste angetreten – und nicht auf der Salvini-Liste. Zaia erreichte fast 77 Prozent der Stimmen, eine weitere Ohrfeige für Salvini.
Fest stand auch von Anfang an, dass die Linke die Region Kampanien mit der Hauptstadt Neapel behalten würde. Sie tat dies auf fast spektakuläre Art. Der sozialdemokratische Kandidat erreichte dort über 50 Prozent mehr Stimmen als der Herausforderer der Berlusconi-Partei.
Die einzige Niederlage, die die Linke jetzt einstecken musste, war der Verlust der Region Marken (Marche). Dort stand seit Langem fest, dass der Kandidat der „Fratelli d’Italia“, ein 45-jähriger Strahlemann, der niemandem weh tut, gewählt würde. Doch der Stellenwert der Marken ist ungleich geringer als jener der Toskana und Apuliens. Diese beiden Regionen waren der Hauptpreis dieser Wahlen, und diesen Preis hat – wider Erwarten – die Linke überraschend klar gewonnen.
Die Ergebnisse führen der immer wieder schon tot gesagten Römer Regierung von Ministerpräsident Giuseppe Conte neue Frischluft zu. Die jetzt überschwänglich feiernde Linke täte gut daran, jetzt nicht übermütig neue Forderungen zu stellen und so die fragile Koalition zwischen Sozialdemokraten und Fünf Sterne zu gefährden.
Natürlich mässigt jetzt Salvini seine Angriffe auf die Regierung nicht – ebenso wenig wie Georgia Meloni, die Chefin der sehr rechtsstehenden Fratelli d’Italia. Sie hat immerhin die Marken gewonnen, doch im viel wichtigeren Apulien ist sie gescheitert.
Doch Salvini steht vor ungemütlichen Zeiten. Immer mehr Lega-Sektionen haben Salvinis Konterfei aus ihrem Logo und ihren Flugblättern gestrichen. Nach dem Toskana-Debakel fragen sich immer mehr Lega-Vertreter: Können wir mit Salvini noch Wahlen gewinnen? Ist seine Hyper-Präsenz nicht langsam ermüdend, haben sich seine ewig gleichen Tiraden gegen die Regierung nicht abgenützt? Mehr und mehr einstige Salvini-Wähler wandern zu den Fratelli d’Italia ab. Auch die Italiener lieben keine Verlierer, und Salvini ist jetzt ein Verlierer.
Nicht nur die Linke jubelt nach diesen Wahlen: auch die Fünf Sterne, der Koalitionspartner der Linken in Rom. Gleichzeitig mit den Regionalwahlen fand im ganzen Land eine Volksabstimmung über eine Verkleinerung des italienischen Parlaments statt. 69,6 Prozent sagten Ja zu dieser Vorlage, „ein historischer Sieg“, wie der „capo politico“ der Fünf Sterne, Luigi di Maio, kommentierte.
Das italienische Parlament besteht aus zwei Kammern: Der Camera dei Deputati (Abgeordnetenhaus) und dem Senat. Statt wie bisher 630 Abgeordnete wird es nun nur noch deren 400 geben. Der Senat wird von 315 Mitgliedern auf 200 reduziert.
Der italienische Politbetrieb gleicht oft einer Opera-Buffa-Aufführung. Da wird palavert und palavert, da wimmelt es von Selbstdarstellern, da setzen sich Einzelne als Retter der Nation in Szene, sie halten Transparente in die Höhe, da wird gegrölt und geschrien und ab und zu auch geprügelt. Und vor allem wird eine Flut von Gesetzen verabschiedet, die viele nachher gar nicht kennen. Es gibt kaum ein Land , das so viele, zum Teil lächerliche Gesetze und Verordnungen verabschiedet – Gesetze, die sich zum Teil widersprechen.
Die italienischen Parlamentarier gehören zu den bestbezahlten der Welt und geniessen zudem groteske Privilegien. In den Fussballstadien sind Ehrenplätze für sie reserviert, im Flugzeug fliegen sie gratis, im Theater logieren sie in Logen, im Restaurant werden sie wie Monarchen empfangen, und viele bezahlen nur vordergründig. Im Parlamentsgebäude gibt es einen Coiffeur-Salon, der ihnen – kostenlos – einen aparten Auftritt verpasst. Auf der Autobahn rast vor und hinter ihnen ein Polizeiauto mit Blaulicht. Und wehe, wer nicht sofort Platz macht! Wandeln Parlamentarier durch die Strassen Roms, begleitet von jungen gestylten Sekretärinnen und Bodyguards, glaubt man, Kaiser Nero sei wiederauferstanden.
Der Parlamentszirkus und das gezierte, überhebliche Gehabe mancher Abgeordneten haben dazu geführt, dass Politiker in Italien zu den am wenigsten angesehenen Berufen gehören.
Diese Stimmung im Volk hatte die Protestbewegung Cinque Stelle aufgenommen und eine Reduktion des Parlaments verlangt. Der Vorstoss stiess im Volk sogleich auf offene Ohren. Aber auch im Parlament selbst: 97 Prozent der Abgeordneten stimmten für eine Schrumpfung ihrer Kammern um insgesamt 375 Parlamentarier.
Doch natürlich gab es Opposition, vor allem von jenen Hinterbänklern, die mit Recht befürchten mussten, nicht mehr gewählt zu werden. Sie sammelten Unterschriften und setzten eine Volksabstimmung durch.
Dass die Vorlage nun mit fast 70 Prozent Ja-Stimmen gutgeheissen wurde, stärkt das Selbstbewusstsein der Fünf Sterne und kommt damit auch – zumindest vorläufig – der Regierung Conte zugute. Allerdings haben die Fünf Sterne bei den Regionalwahlen viele Stimmen eingebüsst.
Wie immer in Italien: Die nächste Krise kommt bestimmt.