Das hätte sich James Christie nicht träumen lassen, als er im Dezember 1766 ein paar Blumentöpfe, einen ovalen Mahagonitisch, ein Federbett, diverse Haushaltsgerätschaften, zwei geblümte Nachttöpfe und etliche Flaschen Wein dem Meistbietenden verkaufte, dass also aus diesem ersten Geschäftserfolg dereinst ein grosses Auktionshaus entstehen würde. Stolze 250 Jahre ist das nun her und «Christie’s» blüht und gedeiht weiterhin und hat sich insbesondere mit Kunstauktionen einen Namen gemacht.
Der Gründer
So ist man bei «Christie’s» in Zürich schon ein bisschen stolz auf die vielen Jahre, die das Mutterhaus in London schon besteht. Bertold Müller ist Geschäftsführer in Zürich und zeigt auf das Porträt des Urahnen und Gründers der Firma. «James Christie war Schotte, wanderte nach London aus und veranstaltete 50 Jahre lang Auktionen. Sonst weiss man eigentlich gar nicht so viel von ihm … höchstens noch, dass er mit einigen Malern seiner Zeit befreundet war und ihnen seine Räume ausserhalb der Auktionszeiten als Ausstellungsraum zur Verfügung stellte.»
Dann blättert Müller in einem kleinen Faksimile-Büchlein. Es ist der Nachdruck des Heftchens, in dem James Christie vor 250 Jahren fein säuberlich und in gestochen scharfer Schrift aufgelistet hat, was er damals am Freitag, 5. Dezember 1766 zu welchem Preis und unter welchen Geschäftsbedingungen verkauft hat. Über fünf Tage hat sich die Auktion damals hingezogen.
Expansion in alle Welt
«Heute haben wir 54 Büros in 32 Ländern», sagt Bertold Müller. «Aber die Internationalisierung hat erst seit den 60erJahren stattgefunden, mit der ersten Niederlassung in Rom 1958, zehn Jahre später folgte Genf, das sich auf Juwelen und Uhren spezialisierte, New York kam erst später hinzu.»
Und seit 25 Jahren kommt auch Schweizer Kunst sozusagen als eigene Gattung unter den Hammer. Wenn man nun aber meint, dass Schweizer Kunst gemessen an der weltweiten Kunst eher bescheiden daherkommt, wird man eines Besseren belehrt. «Da gab es Hodler-Gemälde, die Millionen gebracht haben. Der ‘Holzfäller’ wurde für 2,5 Millionen ans Musée d’Orsay nach Paris verkauft, der ‘Traum des Hirten’ ging für fast drei Millionen ans Metropolitan Museum in New York, Giovanni Giacomettis ‘Mutter’ fand für mehr als 3,2 Millionen Franken einen Käufer und Vallottons ‘Sur la plage’ wechselte für knapp 3 Millionen den Besitzer.»
Und so nebenbei: der höchste Preis, der je für eine Skulptur erreicht wurde, betrifft «L’homme au doigt» des Schweizers Alberto Giacometti. Mehr als 141 Millionen Dollar konnte Christie’s in New York dafür erzielen.
Die Betreuung eines Nachlasses kann ebenfalls eine wichtige Aufgabe sein. Zu den Highlights in diesem Bereich gehören bei Christie’s in Zürich 2006 der Nachlass von Gustav Zumsteg, 2011 von Ernst Beyeler und 2012 der Nachlass von Bruno Giacometti.
Kauf, Verkauf und Betreuung
Christie’s versteht sich aber nicht nur als Kaufs- und Verkaufsunternehmen. «Auktionen sind wichtig, aber auch die Kundenbetreuung weltweit», sagt Bertold Müller. «Wenn jemand aus Hongkong etwas in Dubai kaufen oder in Amsterdam verkaufen will, dann sind wir gern die Schnittstelle.»
Bei den Interessenten für Schweizer Kunst, die in Zürich logischerweise im Vordergrund stehen, gibt es einerseits eine Art Stammkundschaft, also Sammler, die sich auf bestimmte Namen oder Themen konzentrieren, und die man seit Jahren begleitet.
«Aber es kommen auch immer wieder neue Kunden, die mit uns in Kontakt treten», sagt Müller. «Sie wollen die Meinung eines Spezialisten über den Zustand eines Werkes hören oder auch etwas über den finanziellen Wert wissen.» Dann gibt es auch Sammler, die man «auf dem Radar» hat, wie Müller sagt. «Darunter sind Familien, die wir zum Teil über Generationen hinweg betreuen, indem wir unter anderem bei Transporten, bei Leihgaben und Schätzungen helfen. Aber es gibt immer wieder Überraschungen, also Werke, von denen wir keine Ahnung hatten, dass sie überhaupt noch existieren und wo sie zu finden sind. Echte Entdeckungen. So bekamen wir einen Giacometti von jemandem aus Amerika eingeliefert, der das Bild in den Dreissigerjahren als Hochzeitsgeschenk bekommen hat, als er bereits in den USA gelebt hat. Das Werk ist kurz nach der Entstehung in die USA gekommen, und niemand wusste, dass es überhaupt noch existiert. Generationen später taucht es plötzlich wieder auf.»
Hodler-Hype und Entertainment
In den vergangenen Jahren gab es eine Art Hodler-Hype. Die Auktionshäuser lagen im Wettstreit, wer den höheren Preis für ein Hodler-Gemälde erzielt, das gerade auf dem freien Markt aufgetaucht ist. Hier ist wieder etwas Ruhe eingekehrt. «Solche Wellen sehen wir schon», sagt Müller. «Auf Hodler bezogen ist die Anzahl der Werke beschränkt. Die Überlegungen, ob man etwas kaufen oder verkaufen will, sind ganz unterschiedlicher Natur. Wenn ein Künstler Rekordpreise auf einer Auktion erzielt, kann es vorkommen, dass andere Besitzer denken, jetzt könnte ich mitziehen … und fragen bei uns an, was ihr Kunstwerk wert ist … So etwas erleben wir immer wieder. Das funktioniert immer noch auf sehr hohem Niveau. Auch Ausstellungen wie zum Beispiel Vallotton im Pariser Grand Palais wirken sich auf die Preise aus.»
Den wesentlichen Unterschied zwischen Auktionshaus und Galerie macht die Preisgestaltung aus. «Bei Auktionen bestimmen die Sammler den finalen Preis. In der Galerie wird er festgelegt. Das ist ein Unterschied», so Bertold Müller. «Bei einem Werk, das man auf einer Auktion kauft, weiss man, dass es mindestens eine weitere Person gibt, die Interesse an dem Werk hat. Es gibt also einen Sekundärmarkt. Das heisst aber nicht, dass ein Werk den einmal erzielten Preis auch ein Jahr später erreicht. Darum ist eine Auktion auch so eine spannende Art, einen Preis festzulegen.»
Und es ist damit auch eine Art Unterhaltung für Kunstinteressierte, die im Moment kein Werk kaufen wollen oder können … James Christie selbst hat das Show-Element schon zu seiner Zeit erkannt. «Er hat das Wesen des Auktionierens revolutioniert», sagt Müller. «Christie war der erste, der die Auktion auch als Entertainment angesehen hat. Und daran hat sich bis heute nicht viel geändert. So gehört es zum Beispiel beim Auktionatorentraining dazu, auch von einem Schauspieler unterrichtet zu werden. Vor allem, wenn es ein grosser Saal ist, vollbesetzt mit Kunden, die einen erwartungsvoll anschauen, dann ist es schon hilfreich, wenn man gelernt hat, damit umzugehen.» Und wie man die Preise für die Einlieferer in die Höhe treibt, natürlich auch …