420 Priester der Diözese Chur waren zum Pfingsttreffen mit dem Bischof in die Liebfrauenkirche nach Zürich eingeladen. Nur gerade 42 von ihnen folgten gemäss einem Bericht im „Tages-Anzeiger“ dem Aufgebot. Damit steht fest, dass der Klerus dem Churer Oberhirten nun schon zum zweiten Mal innert kürzester Zeit die Gefolgschaft verweigert hat. Vor Ostern hatte ein Hirtenbrief, in dem Vitus Huonder einmal mehr verlangte, wiederverheiratete Geschiedene von den Sakramenten auszuschliessen, den Unmut der Geistlichen erregt.
Die meisten weigerten sich, das Schreiben im Gottesdienst zu verlesen. Manche begründeten ihren Protest sogar vor laufender Kamera und erklärten öffentlich, die Anweisungen des Bischofs nicht zu befolgen. Und jetzt also der missglückte Priestertag in Zürich. Eine „spontane“ Aussprache mit dem Bischof hätte es werden sollen. Die Fragen allerdings mussten vorgängig beim Sekretariat eingereicht werden. So war von vornherein klar, wer bei dieser Fragerunde das Sagen haben würde.
Ziviler Ungehorsam als letztes Mittel
Mit Gesprächsverweigerung hat das Fernbleiben von 90 Prozent des Churer Klerus an diesem Priestertreffen also nichts zu tun, sondern viel eher mit der Erfahrung, dass Reden nichts mehr bringt und ziviler Ungehorsam als letztes Mittel übrig bleibt, wenn alle Verhandlungen gescheitert sind. In der auf Gehorsam getrimmten katholischen Kirche besitzt diese Option bis jetzt noch immer Seltenheitswert. Doch so allmählich scheint sich die Einsicht nicht nur bei den Gläubigen, sondern auch bei den Geistlichen durchzusetzen, dass dies ein möglicher Weg ist, der Obrigkeit sein Missfallen zu bekunden. Die Initiative ergreifen und selber tätig werden, wäre der andere.
Zur Zeit sind verschiedene Aktionen im Gange, die zeigen, dass zahlreiche Priester und theologische Laien nicht mehr länger zu kuschen bereit sind. Bereits vor Jahresfrist hatte in Deutschland das von gegen 300 Theologinnen und Theologen unterzeichnete Memorandum „Kirche 2011“ zur dringend notwendigen Kirchenreform – insbesondere zur Abschaffung des Zölibats und der Zulassung von Frauen zum Priesteramt – aufgerufen. Und auch in Österreich war Protest laut geworden. Dort hatte der unlängst in Luzern mit dem Herbert Haag-Preis für Freiheit in der Kirche ausgezeichnete ehemalige Caritas-Chef Helmut Schüller die sog. Pfarrer-Initiative lanciert, die sich im Untertitel explizit als „Aufruf zum Ungehorsam“ bezeichnet und ausschliesslich an Priester gerichtet ist. Wer sich ihr anschliesst, geht unter anderem folgende Verpflichtungen ein:
- in jedem Gottesdienst eine Fürbitte um Kirchenreform zu sprechen
- gutwilligen Gläubigen grundsätzlich die Eucharistie nicht zu verweigern
- das Predigtverbot für kompetent ausgebildete Laien und Religionslehrerinnen zu missachten
- jede Gelegenheit zu nutzen, sich öffentlich für die Zulassung von Frauen und Verheirateten zum Priesteramt auszusprechen.
Aussenstehenden mögen diese Forderungen relativ zahm erscheinen. Doch sie rühren an den Grundfesten des Systems und weisen auf eine schwere Vertrauenskrise innerhalb der katholischen Kirche hin.
"Nach 50 Jahren ist es Zeit"
Darauf deutet auch die Initiative eines internationalen Theologenkreises hin, der den 50. Jahrestag der Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils im Oktober dieses Jahres zum Anlass nimmt, eine Phase öffentlicher Konzilserinnerung in die Wege zu leiten. Erstunterzeichnende sind das Institut für Theologie und Politik in Münster, die Bewegung „Wir sind Kirche“ sowie die Initiative „Kirche von unten“. Ein Echo fand der Aufruf mit dem Titel „Zeichen der Zeit – Hoffnung und Widerstand“ aber auch in der Schweiz, wo er von Theologinnen und Theologen wie auch von Laien getragen wird, die in der Kirche engagiert sind und sich bis heute dem Trend zu Resignation und Auszug verweigert haben. Die Idee zu diesem konziliaren Prozess kam 2009 auf dem Weltforum für Theologie und Befreiung im brasilianischen Belem auf. Beschliessen soll ihn eine Internationale Versammlung des Gottesvolkes, die für 2015 auf dem Petersplatz in Rom vorgesehen ist.
Im deutschsprachigen Raum bildet ein Kongress, der vom 18. – 21. Oktober in Frankfurt stattfinden soll, den offiziellen Auftakt des auf die nächsten vier Jahre angelegten Prozesses. Doch bereits am 5. Mai versammelten sich die Schweizer Beteiligten zu einem vorbereitenden Symposium in Basel, an dem unter anderen der Würzburger Fundamentaltheologe Elmar Klinger sowie Katja Strobel als Vertreterin des Instituts für Theologie und Politik in Münster die Zielsetzungen des Projekts darlegten (weitere Infos unter www.pro-konzil.de).
„Fünfzig Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil ist es Zeit“, so heisst es in dem Initiativtext, „aus kirchlicher Erstarrung zu erwachen. Wir werden nicht mehr auf Klerus und Hierarchie warten, sondern machen uns vielmehr selbst auf den Weg. Wir wollen unserer eigenen gesellschaftlichen Verantwortung in der Welt gerecht werden, dafür die Enteignung des kirchlichen Erbes rückgängig machen und uns die Kirche im Dienst dieser Aufgabe wieder aneignen.“
Den Geist des Konzils wiederbeleben
Sätze wie diese machen deutlich, dass es bei der geplanten Versammlung in Frankfurt nicht einfach um einen Gedenkanlass für das 2. Vatikanum geht, sondern um den Versuch, den Geist des Konzils wiederzubeleben und seine Errungenschaften gegen all jene zu verteidigen, die sie gerne rückgängig machen würden. Dazu gehört die Idee vom Volk Gottes als gleichberechtigter Gemeinschaft von Priestern und Laien ebenso wie die Abkehr vom römischen Zentralismus. Dazu gehören die Anerkennung der Religionsfreiheit und das Erkennen göttlicher Wahrheit in anderen Religionen, aber auch eine neue Offenheit gegenüber der Welt sowie die Demokratisierung kirchlicher Strukturen.
Wie genau dieser Prozess vonstatten gehen soll, scheint noch nicht ganz klar zu sein. Klar hingegen ist, dass es sich um eine Bewegung von unten handelt: eine Initiative der Basis, die beschlossen hat, das Heft selbst in die Hand zu nehmen, statt wie bisher auf Reformen von oben zu warten. Impulse kommen von Seiten der Befreiungstheologie wie auch der feministischen Theologie, aber auch von all jenen Laien wie Geistlichen, die den Aufbruch des Konzils vor 50 Jahren miterlebt haben. Dass die Erinnerung an diesen Prozess heute gefährdet ist und aus Sicht der Hierarchie auch durchaus gefährlich sein kann, darauf hat Elmar Klinger an dem Symposium in Basel eindrücklich hingewiesen. Und dabei vielleicht nicht so sehr an die oft arg verklausulierten und ambivalenten Konzilstexte selbst gedacht, als vielmehr an die Erfahrung des Aufbruchs und der Mitsprache, die mit dem Andenken an das 2. Vatikanum verbunden sind. Das gilt in ganz besonderem Masse für die Schweiz, wo die Aufbruchstimmung des Konzils in der sog. Synode 72 ihre zum Teil bis heute nachwirkende Fortsetzung gefunden hat. Diesem von Geistlichen und Laien, von Männern und Frauen, von Jung und Alt getragenen synodalen Prozess ist es zu verdanken, dass die Konzilsbeschlüsse auf die Schweiz mit ihren staatskirchenrechtlichen Strukturen heruntergebrochen wurden und eine innerkirchliche Demokratisierung in Gang kam, die für eine ganze Generation von Priestern und katholischen Laien wegweisend werden sollte.
Innerkirchlicher Widerstand
Es ist deshalb sicher kein Zufall, dass sich in der Schweiz der innerkirchliche Widerstand immer wieder der staatskirchenrechtlichen Strukturen bediente und damit, wie der Fall Haas seinerzeit zeigte, auch durchaus Erfolg hatte. Daran orientierten sich zweifellos auch die Komitee-Mitglieder der sog. Basler Gleichstellungsinitiative, die versucht, auf juristischem Wege durchzusetzen, was die Institution bis anhin verweigert. Konkret: die Abschaffung des Pflichtzölibats und die Zulassung der Frauen zum Priesteramt. Mit ihrem Vorstoss wollen sie, so der Wortlaut der Initiative, „die Behörden der Römisch-Katholischen Kirche Basel-Stadt und der Römisch-Katholischen Landeskirche Basel-Landschaft, (d.h. Synoden und Kirchenräte) verpflichten, darauf hinzuwirken, dass die Römisch-Katholische Kirche die gleichberechtigte Zulassung – unabhängig von Zivilstand und Geschlecht – zum Priesteramt ermöglicht“.
Die Basler Initianten, die die nötigen Unterschriften gesammelt und diese am 12. Januar dieses Jahres den Präsidenten der beiden Kirchenparlamente in der Offenen Kirche St. Elisabethen überreicht haben, hoffen, dass sich ihnen weitere Kantonalkirchen auf diesem urdemokratischen Weg einer kirchlichen Verfassungsinitiative anschliessen und damit einen Prozess auslösen, der letztlich zu einer Änderung der bislang gültigen kirchenrechtlichen Bestimmungen führen würde.
Noch müssen die Landessynode des Baselbiets sowie der Kirchenrat von Basel-Stadt darüber entscheiden, ob sie diese Forderungen in die Verfassung aufnehmen wollen oder nicht. Viele, so heisst es, stünden dem Anliegen wohlwollend gegenüber, hielten aber den eingeschlagenen Weg für falsch bzw. aussichtslos. Der endgültige Entscheid liegt so oder so beim Stimmvolk, das in der Stadt Basel wohl noch in diesem Herbst, auf dem Land frühestens im Sommer 2013 zur Urne gerufen werden soll (weitere Infos unter www.kirchliche-gleichstellung.ch).
Wie auch immer das Ergebnis aussehen wird, weltweit einmalig dürfte der Vorgang jetzt schon sein. Dass nicht Rom, sondern das Kirchenvolk in einer so zentralen Frage wie der Zulassung von Frauen und verheirateten Männern zum Priesteramt das letzte Wort haben soll, ist im katholischen Rechtsverständnis schlicht nicht vorgesehen. Es steht deshalb zu befürchten, dass auch diese Initiative, unabhängig vom Abstimmungsresultat, letztlich wirkungslos bleiben wird. Doch das allein ist es nicht, was zählt. Viel wichtiger ist die Initiative selbst, die zeigt, dass es auch gegenüber einer Institution wie der katholischen Kirche demokratisch legitimierte Formen des Widerstand gibt und dass ziviler Ungehorsam oft die letzte und einzige Möglichkeit ist, mit seinem Gewissen ins Reine zu kommen.