Richard Wagners «Ring» steht dann auf dem Spielplan. Trotzdem darf vermutet werden, dass die neue Pracht, in der das Haus sich präsentiert, das Publikum noch mehr interessiert als die Machenschaften der Nibelungen. Die alte Pracht des Grand Théâtre wird im Februar in neuem Glanz erstrahlen. All die grossen und kleinen Reparatursünden, mit denen man über die Jahre Schäden im und am Gebäude vertuscht hat, werden dann verschwunden sein. Das Publikum sieht sein Grand Théâtre dann wieder so, wie es einst gebaut wurde.
Helm auf, gute Schuhe anziehen und los geht’s hinter die Bauverschalung.
Momentan wird immer noch an den Finessen gearbeitet. Mit feinstem Pinsel malt eine junge Frau die Ecken am goldverbrämten Rahmen des Spiegels im Foyer aus. Elektriker sind mit Kabeln unterwegs. Überall stehen Leitern herum, der elegante Parkettboden wird noch mit Plastikfolie geschützt. Es sieht noch nach viel Arbeit aus, diese Woche bei Lokaltermin und Augenschein für eine kleine Gruppe Journalisten.
Das Geld kam aus Braunschweig
«Das Grand Théâtre wurde seinerzeit von Jacques-Elysée Goss gebaut», erklärt Pressechef Olivier Gurtner. «Goss war ein Schweizer Architekt, der sich von der Pariser Opéra Garnier inspirieren liess, die 1875 gerade eröffnet worden war.»
Das Geld für den Bau nahm die Stadt Genf übrigens aus der reichlich gefüllten Schatulle des Herzogs Karl II. von Braunschweig. Dieser hatte sich nach politischen Wirren um sein Herzogtum Braunschweig in Genf ins Exil zurückgezogen, wo er 1873 starb. Sein beträchtliches Vermögen hatte er der Stadt Genf vermacht. Sechs Jahre später wurde das «Grand Théâtre» schliesslich mit «Guillaume Tell» eröffnet.
Jetzt, 140 Jahre danach, steht die dritte Eröffnung bevor. Denn am 1. Mai 1951 hatte ein Brand grosse Teile des Theaters zerstört. Bei der damaligen Renovation wurde ein neuer Zuschauerraum eingebaut, aber vieles von der alten Dekoration wurde übermalt, übertüncht, entfernt oder einfach abgedeckt. Das Grand Théâtre der Calvinstadt wurde «protestantischer».
Zurück zu den Ursprüngen
Und nun also: back to the roots, zurück zu den Ursprüngen. In mühsamer Kleinarbeit wurde freigelegt, was während Generationen verdeckt geblieben war. Die schöne alte Kassettendecke wurde rekonstruiert, das Parkett vom Teppichboden befreit. Kunstvoll gemalter «falscher» Marmor musste von spezialisierten Handwerkern wieder auf Säulen und Wänden angebracht werden, eine Technik, die nur wenige beherrschen.
Das viele Gold, das für das Gebäude verwendet wurde, musste man nur aufpolieren. Hier ist tatsächlich alles Gold, was glänzt … Dafür musste der graubraune Belag, der sich durch das jahrelange Rauchen im Foyer, an den Wänden und an der Decke festgesetzt hatte, sorgfältig entfernt werden – und schon strahlen die alten Farben wieder in neuer Pracht. Und geraucht wird natürlich in Zukunft nicht mehr. Zumindest nicht im Gebäude.
Zum Teil wurden aber auch Wände, die zuletzt hell und eierschalenfarbig waren, in edle Dunkeltöne gehüllt: Dunkelgrün, Bordeaux, Dunkelgrau. Sehr elegant! «Es ist eine Kombination aus Original und Nachkonstruiert», erklärt uns Pressechef Olivier Gurtner.
Und was heute neu dazugekommen ist, die Holztüren am Eingang zum Beispiel, das wurde ebenfalls in sorgfältiger Handarbeit hergestellt und nicht fabrikmässig angefertigt. Altes Handwerk und neues Handwerk ergänzen sich tadellos.
Handwerk, das ist ohnehin ein Stichwort. Schon die richtigen Schreiner zu finden, war schwierig. Wenn dann aber noch Handwerker gefragt waren mit ganz spezifischen Kenntnissen (wie etwa Marmormaler), dann musste man immer wieder auch im Ausland suchen. Marmormaler fand man schliesslich in Italien. Damit: auf zum Endspurt!
Fünf Monate also noch, dann gehen die Türen wieder auf. Das Grand Théâtre wird wieder zu jenem Schmuckstück, auf das Genf stolz sein darf. Und nochmals ein paar Monate später bekommt das Grand Théâtre mit Aviel Cahn einen neuen Intendanten, dem es dann obliegt, den äusseren Glanz mit inneren Werten künstlerisch zu vervollkommnen.
alle Bilder © Annette Freitag