Also doch: Dieser Tage hat die Regierung in Buenos Aires erstmals öffentlich zugegeben, dass Argentinien unter einer galoppierenden Inflation leidet. Im Januar, gab Wirtschaftsminister Axel Kicillof bekannt, habe die Teuerungsrate 3,7 Prozent betragen. Zuvor hatten Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und ihre Getreuen den Inflationsindex jahrelang schamlos manipuliert. Wollte man ihren Angaben glauben, wären die Preise im vergangenen Jahr nur um durchschnittlich zehn Prozent gestiegen. Unabhängige Ökonomen beziffern die Jahresteuerung jedoch auf 25 bis 30 Prozent. Eine höhere Geldentwertung hatten 2013 weltweit nur ganz wenige Staaten zu registrieren – etwa Venezuela oder der Iran.
Die Preise explodieren
Jetzt droht die Inflation zu eskalieren. Seit die Regierung im Januar den schwächelnden Peso um 23 Prozent abwerten musste, schnellen die Preise in die Höhe. Lebensmittel haben im Schnitt um 50 Prozent aufgeschlagen. „Für einen Liter Milch haben wir vorher 6 Pesos bezahlt, jetzt kostet er 9 Pesos oder noch mehr“, klagt die Hausangestellte Stella. „Es ist verrückt, wie die Preise in die Höhe schnellen“, schimpft auch der Fitnesstrainer Alejandro. „Vor zwei Wochen hat mich ein Stück Hühnerbrust 41 Pesos gekostet, gestern musste ich für ein gleiches Stück 79 Pesos hinblättern. Ich weiss nicht, wie das weitergehen soll.“
Manchem Argentino bleibt ob dieser Preissprünge das geliebte Steak im Hals stecken und auf die Tomate im Salat verzichtet er von vorneherein. Den Traum von einer modernen Waschmaschine oder einem neuen Auto hat er ohnehin bis auf weiteres unter „unerfüllbar“ abgebucht.
Interventionen und Kontrollen
Die Regierung reagierte mit staatlichen Eingriffen und Kontrollen auf die ausufernde Inflation. Auf ihre Anordnung hin wurden die Preise für bestimmte Produkte des alltäglichen Bedarfs „eingefroren“. Die der Präsidentin treu ergebene kirchneristische Jugendorganisation „La Cámpora“ patrouilliert nun mehr oder weniger regelmässig in den Supermärkten und meldet Verstösse gegen die Abmachung.
Mit Preiskontrollen allein lässt sich die Inflation bestenfalls bremsen, aber nicht stoppen. Im Gegenzug werden einfach die Waren, deren Preise nicht durch Absprachen zwischen Regierung und Unternehmen fixiert sind, umso mehr erhöht.
Blühender Schwarzmarkt für Devisen
Lange Zeit hat die Zentralbank die Abwertung des Pesos deutlich unter der Inflationsrate gehalten. Argentinien wurde dadurch zu einem verhältnismässig teuren Produktionsstandort, und die Nachfrage nach Importen und Devisen nahm stark zu. Die Regierung begegnet dieser Entwicklung in üblicher Manier: mit ständig neuen Einschränkungen und Kontrollen. Sowohl die Importe als auch die Zuteilung von Devisen sind seit zwei Jahren rationiert. Argentinische Unternehmen bekommen Dollar für Einfuhren, die in der Regel in US-Währung zu bezahlen sind, nur genehmigt, wenn sie im Gegenzug Produkte exportieren.
Mit den Import-und Wechselkursbeschränkungen konnte die Regierung die Flucht aus dem Peso verlangsamen, aber nicht unterbinden. Seit 2011 haben sich die Devisenreserven fast halbiert, von 52 Milliarden Dollar auf 29 Milliarden Dollar. Der Schwarzmarkt für Devisen blüht. Ende der vergangenen Woche war ein US-Dollar offiziell 7.79 Peso wert, während er auf dem Schwarzmarkt 11.90 Peso kostete. Zeitweise hatten die Menschen auf den illegalen, aber geduldeten Wechselplätzen in Buenos Aires sogar für den Dollar, der Anfang 2013 noch 4.30 Peso kostete, über 13 Pesos bezahlt. So gross ist ihre Befürchtung, dass die argentinische Währung noch weiter an Boden verlieren wird.
Zu hohe Ausgaben
Wirtschaftsminister Kicillof hat die Schuldigen für die Abwärtsspirale rasch ausgemacht: Spekulanten, Schwarzmarktprofiteure und habgierige Unternehmer. Er lenkt damit vom eigenen Versagen der Regierung ab. Die Hauptursache der wiederkehrenden Krisen in Argentinien sind die aus dem Ruder laufenden Staatsfinanzen. Solange es irgendwie geht, geben die Regierungen das Geld mit offener Hand aus, machen bedenkenlos Schulden oder werfen die Notenpresse an.
Folgen dieser Politik waren Ende der achtziger Jahre die Hyperinflation und 2001/2002 der Staatsbankrott. Auch jetzt sehen Ökonomen in den zu hohen Staatsausgaben die Wurzel allen Übels. „Im aktuellen Kontext sind alle Massnahmen entweder nutzlos oder sogar schädlich, wenn nicht gleichzeitig das Defizit-Loch bekämpft wird“, schrieb der Unternehmer und Mitgründer des Iberoamerikanischen Forums, Ricardo Esteves, in einem Gastbeitrag in der spanischen Tageszeitung El País.
Solche Forderungen stiessen bisher bei Cristina Kirchner auf taube Ohren. Sie wendet aus der Staatskasse Riesensummen auf für Subventionen von Energie, Wasser und Personentransport sowie für Sozialprojekte, die in der Regel teuer, aber nicht nachhaltig sind und hauptsächlich dazu dienen, Wähler bei der Stange zu halten.
Strom und Gas zu Dumpingpreisen
Der Löwenanteil der Staatshilfen ist für die Verbilligung von Strom und Gas bestimmt und kommt längst nicht nur jenen zu Gute, die tatsächlich Unterstützung brauchen.
Seit 2002 hält die Regierung die Strom- und Gaspreise weitgehend eingefroren. Für die Elektrizität zahlen argentinische Haushalte etwa 80 Prozent weniger als die Verbraucher in den umliegenden Staaten, beim Gas beträgt die Differenz rund 60 Prozent. Ein Blick auf eine aktuelle Stromrechnung vom Dezember 2013 für eine Dreizimmerwohnung in Buenos Aires belegt, wie stark Privatverbraucher von den Zuschüssen des Staates profitieren: Von den 143 Pesos – umgerechnet rund 18 Franken – übernahm die öffentliche Hand 103 Pesos (fast 14 Franken). Einschliesslich aller Steuern musste der Konsument 63 Pesos (8 Franken) bezahlen. In der brasilianischen Wirtschaftsmetropole São Paulo hätte ihn der gleiche Verbrauch 292 Pesos (38 Franken) gekostet, also beinahe das Fünffache.
Die grosszügigen Subventionen nach dem Giesskannenprinzip belasten nicht bloss die Staatsfinanzen übermässig, sie sind auch Anreiz, Energie zu verschwenden. Es gibt inzwischen allerdings Anzeichen, dass die Regierung hier eine Kehrtwende einleiten und die Subventionen verringern könnte. Fragt sich bloss, wie stark. Ökonomen kalkulieren, dass die Energiepreise um 50 Prozent erhöht werden müssten, um einen einigermassen wirksamen Beitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen zu leisten.
Richtungswechsel oder nur halbherzige Lösungen?
Mögen Sparmassnahmen der Regierung Kirchner auch noch so zuwider sein: Ohne eine Sanierung der Staatsfinanzen lässt sich die Abwärtsspirale aus Inflation und Abwertung nicht stoppen. Unabhängige Wirtschaftsexperten glauben, dass Argentinien durchaus noch eine Chance hat, eine ähnlich schwere Krise wie 2001/2002 zu vermeiden, wenn Cristina Kirchner einen grundlegenden Richtungswechsel vornimmt und es nicht bei halbherzigen Lösungen bewenden lässt. Bisher deutet nichts darauf hin, dass Argentiniens starrköpfige Staatschefin dazu bereit ist.