Ähnlich wie in diesem Tweet hat Roger Köppel schon wiederholt getönt. Die demonstrierenden Schüler titulierte er als «Kindersoldaten», er verglich ihre Auftritte mit Kinderkreuzzügen oder Pol Pots Kinderarmeen.
Anscheinend ist der Mann dermassen aufgescheucht, dass er gleich sein ganzes Arsenal an Totschlag-Vokabeln in Stellung bringt. Zudem kann er gar nicht genug davon bekommen, aus den demonstrierenden 16- bis 20-Jährigen «Kinder» zu machen. Der Zweck dieser wenig respektvollen Manipulation ist klar: Köppel will die jungen Klimabewegten partout nicht ernst nehmen.
Haltlose Diffamierungen
Mit Diffamierungen wird auch versucht, die 16-jährige schwedische Initiantin Greta Thunberg zu desavouieren. Sie sei instrumentalisiert, werde vorgeschoben, ihre Reden würden andere schreiben. – Wer sie jedoch in Interviews sieht wie zum Beispiel hier bei Anne Will, erkennt unschwer die Ernsthaftigkeit und Authentizität dieser gänzlich uneitlen Person. Die Versuche, sie als Wortführerin zu demontieren, fallen ganz einfach in sich zusammen.
Greta Thunberg ist eine hochintelligente Jugendliche, bei der ein Asperger-Syndrom diagnostiziert ist. Dieses trägt in ihrem Fall dazu bei, dass sie phänomenal fokussiert die komplexe Klima-Thematik erfasst und mit unerbittlicher Logik auf den Punkt bringt, welcher heisst: Es braucht eine umfassende gesellschaftliche Verhaltensänderung, und zwar jetzt.
Greta sagt selber, sie sehe die Dinge schwarz oder weiss. Dass man ihr dies als jugendliche Schwäche auslegen kann, ist ihr völlig klar. Sie legt aber Wert darauf, nicht «radikal» zu sein, sondern vielmehr «realistisch». Die Klimaveränderung, so zitiert sie die gängige Forschung, befinde sich an einem Kipp-Punkt, nach dessen Überschreitung die Entwicklung kaum mehr steuerbar sei. Daraus ergeben sich zwangsläufig rigide Forderungen.
Es ist diese beunruhigende Sicht, die sich in den mittlerweile weltweiten Schülerdemos mit über 1,5 Millionen Jugendlichen Ausdruck verschafft. Kein Wunder, fordern sie die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft in dramatischer Zuspitzung dazu auf, unverzüglich zu handeln und das Steuer herumzureissen. Man darf sich von den kreativen und zuweilen gewiss auch lustvollen Facetten dieses Protests nicht täuschen lassen: Die Jugendlichen haben tatsächlich Angst, wegen des schleppenden Gangs und der zahlreichen Rückschläge der Klimapolitik um ihre Zukunft gebracht zu werden.
Keine Polit-Romantik
Wie ihr Vorbild Greta sind auffallend viele der aufbegehrenden Jugendlichen über die Klimakrise und die Politik, die ihr beizukommen versucht, gut informiert. Sie wissen Bescheid über die Warnungen des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), kennen die Beschlüsse der UN-Klimakonferenzen von Paris (2015) und Katowice (2018) und verfolgen die abenteuerlichen Wendungen und Sackgassen auf dem Weg zu einem Schweizer CO2-Gesetz.
NZZ-Chefredaktor Eric Gujer hat in seinem samstäglichen Leitartikel vom 30. März unter dem Titel «Radikalismus löst keine Probleme» mit Blick auf die Schülerdemos «die romantische Aura eines Kinderkreuzzuges für eine gute Sache» konstatiert. Er schwächt damit die Infamie seines Kollegen Köppel leider nur wenig ab. Immerhin aber gibt er gleich anschliessend die Devise aus: «Die Demonstranten verdienen, ernst genommen zu werden – auch durch Kritik.» Dem ist zuzustimmen.
Die kritische Auseinandersetzung mit der Klimastreik-Bewegung führt Gujer dann durchaus auf einer sachlichen Ebene, kann es sich aber nicht verkneifen, sich vorwiegend auf Schwachpunkte und Übertreibungen der Bewegung einzuschiessen. Nicht nur nobler, sondern auch interessanter wäre eine Auseinandersetzung mit den starken Argumenten, die von den Jugendlichen in die Öffentlichkeit getragen werden – und das sind nun mal die unangenehmen Fakten und Prognosen, welche die Dringlichkeit eines Umsteuerns und die Diskrepanz zur Langsamkeit der Veränderungen beleuchten. Der Herausforderung durch die Kernaussagen des Klimastreiks entzieht sich der NZZ-Chef.
In dieser Debatte kommt man nicht weiter, wenn man, wie Gujer das tut, nur vor links-grünem Antikapitalismus warnt, die Trägheit der Gesellschaft einfach als gegeben nimmt und den einzig gangbaren Weg im Fortfahren mit Uno-Konferenzen sieht.
Gewiss hat auch die Klimastreik-Bewegung den politischen Pfad zur Realisierung ihrer Forderungen bis anhin nicht zeigen können. Ein kritisches Ernstnehmen des Protests aber darf sich nicht darin erschöpfen, dessen Aussichtslosigkeit (womöglich mit klammheimlicher Befriedigung) nachzuweisen. Vielmehr muss es darum gehen, Möglichkeiten zur Beschleunigung der nötigen Veränderungen zu finden. Das müsste alle interessieren. Denn – bei diesem Punkt haben die Jugendlichen leider recht – die Zeit wird knapp. Und daran ist gar nichts Romantisches.