Da hat ein kleines Team etwas Spannendes ausgegraben und in eine musikalisch-theatralische Soirée verwandelt. Ein vielschichtiger Abend. Man staunt (das tut man oft im Theater Rigiblick) und unterhält sich bestens.
Die Versuchsanlage, die der Aufführung zugrunde liegt, nimmt sich, wenn man sie beschreibt, vergleichweise komplex aus – die Wirkung indessen, die der Abend hinterlässt, ist ausgesprochen erfrischend: das schäumt wie Champagner.
Es gibt also diese bemerkenswerte französische Adlige, Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil, Pseudonym George Sand (1804–1876), zu ihren Lebzeiten eine skandalumwitterte Ungebärdige, mutige Frauenrechtlerin avant la lettre, in zahlreiche Liebschaften mit musikalischen und literarischen Berühmtheiten verstrickt. George Sand war als Romanautorin mit einem überbordenden Ausstoss an Werken bekannt und geschätzt. Ihre Bücher gehören zur mittelmässigen Unterhaltungsliteratur und werden heute kaum mehr gelesen. In Erinnerung geblieben ist sie als starker, abenteuerlicher Charakter, als eigenwillige Persönlichkeit, die in Fragen der Definition und der Gleichberechtigung der Geschlechter ihrer Zeit um einiges voraus war.
Renaud Fletie, ein Französischlehrer aus Annecy, hat aus Werkfragmenten, aus Romanen, Briefen, Tagebüchern der George Sand einen theatralischen Monolog zusammengebastelt, der im Original noch nie aufgeführt worden ist. In der von Elfi Trend und anderen ins Deutsche übertragenen Fassung kommt er jetzt im Rigiblick unter dem Titel „Sie&Er“ auf die Bühne. Daniel Fueter hat sich das Konzept des Abends ausgedacht, dem eine starke musikalische Prägung eignet; Stefan Viering führt Regie, Ursula Bienz liefert die Puppen, denen wichtige Rollen zukommen; Graziella Rossi spielt George Sand am Vorabend ihres 60. Geburtstags und Eriko Kagawa widmet sich den Chopin-Préludes, die den Abend wie auf Flügeln tragen.
Aus den Kulissen befreit
Mal auf einem Sofa sitzend, mal vor einer Miniatur-Puppenbühne, die sie bedient, hält die ganz in Schwarz gekleidete, gelegentlich genüsslich an einer Zigarre saugende Graziella Rossi, alias George Sand, Rückblicke auf ihr Leben: lässt pikante Szenen Revue passieren, erinnert sich an Chopin und andere stürmische Liebschaften, formuliert ihre Ueberzeugungen und hinterfragt oder ironisiert sie. Graziella Rossi variert virtuos Stimmlagen, Tonfälle, um dem Monolog Farbe zu geben. Ihr quirliges Temperament, ihr Enthusiasmus holt die Figur der George Sand aus den Kulissen des 19. Jahrhunderts heraus, macht sie lebendig und aktuell.
Eingeschoben in das Puzzle aus Aphorismen und Erinnerungen werden Fragmente eines von George Sand verfassten, romanhaften Theaterstücks mit dem Titel „Gabriel“, das auf epische und tragische Weise vom Geschlechtertausch handelt. In der „Sie & Er“-Fiktion wird das Stück von Sands Sohn Maurice, einem begabten Puppenspieler, zu Ehren seiner Mutter aufgeführt. Im Rigiblick führt Graziella Rossi die Puppen, lässt sie tanzen und sprechen, hin und wieder unterstützt von ihrer Partnerin Eriko Kagawa.
Kagawa aber sitzt meistens am Klavier, berauscht die Sand-Interpretin und das Publikum mit Chopin und rhythmisiert so den Abend, gibt ihm eine mal schwebende, mal fliessende Form – schöne Kontraste zum mitunter schroffen und kantigen Inhalt des Stücks.
Nächste Aufführung: 8. April