Iran und die USA stehen vor einer Vereinbarung, den Bau iranischer Atomwaffen für die nächsten zehn bis 15 Jahre zu verunmöglichen. Reicht das aus? Israel und konservative Politiker in Washington bekämpfen eine solche Zwischenlösung vehement – im Einklang mit den iranischen Hardlinern.
Annäherung der Positionen
Vergangenes Wochenende bis Montagabend verhandelten US-Aussenminister John Kerry und sein iranischer Amtskollege Mohammad Dschawad Sarif in einem Genfer Luxushotel über einen Ausweg aus dem Atomstreit. Russland, China, Frankreich, Grossbritannien und Deutschland geben sich vorläufig mit Nebenrollen zufrieden. Bis Ende März muss ein Grundsatzabkommen stehen, darin sind sich alle einig. Spätestens am 1. Juli soll ein ausformulierter Vertrag auf dem Papier stehen. Neue Fristen hält niemand für sinnvoll.
Washington und Teheran haben sich im Verlauf der Verhandlungen angenähert. Notgedrungen steht am Ende ein Kompromiss. Die völlige Einstellung des iranischen Nuklearprogramms, wie es Israel fordert, ist unrealistisch. Iran besitzt bereits ein von den Russen gebautes Atomkraftwerk und plant Dutzende weitere. Es kann nur mehr darum gehen, zu verhindern, dass Iran Atomwaffen herstellt.
Keine waffenfähige Anreicherung
Vorrangiges Problem ist die Fähigkeit Irans zur Trennung des für eine Kernspaltung notwendigen Isotopen Uran-235 vom nutzlosen U-238. Derzeit besitzt Iran rund 20.000 Zentrifugen, von denen etwa die Hälfte in Betrieb ist. Nach langem Feilschen scheinen die USA jetzt bereit, den Iranern 6500 Zentrifugen zu erlauben, die aber Auflagen unterworfen würden. Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien soll ermächtigt werden, diese Beschränkungen zu überwachen.
Bisher haben die Iraner diesen Vorschlägen nicht formal zugestimmt. Sie halten sich aber an eine im November 2013 in Genf getroffene Vereinbarung, kein auf über fünf Prozent angereichertes Uran mehr herzustellen und ihre auf 20 Prozent U-235 gedopten Vorräte in nicht waffenfähiges Material umzuwandeln. Von einer Atomwaffenkapazität war Iran ohnehin noch weit entfernt, denn diese erfordert einen Anreicherungsgrad von mindestens 90 Prozent.
Dauerhafte Stabilität
Der Ist-Zustand, der eine Lockerung der internationalen Wirtschaftssanktionen beinhaltet, ist also weitgehend befriedigend. Er führte zu einem Abbau der Spannungen zwischen den USA und Iran, die im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ in Syrien und dem Irak sogar zu heimlichen Verbündeten geworden sind. Bei den Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm geht es aber nicht um flüchtige Zweckallianzen, sondern um eine dauerhafte Stabilität des Nahen und Mittleren Ostens.
Wenn es der „5+1-Gruppe“ – den fünf ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrats und Deutschland – in den Verhandlungen mit Teheran gelingt, die strategische Lage zu stabilisieren, so wäre das schon ein grosser Fortschritt. Über den Zeithorizont eines Jahrzehnts blickt ohnehin niemand. In zehn Jahren wird der geistige Führer Irans, Ajatollah Ali Chamenei, nicht mehr leben. Wer dann in Washington, Moskau, Peking oder Jerusalem regiert, steht in den Sternen.
Kampf der Hardliner
Die Regierungen der USA und Irans scheinen entschlossen, Nägel mit Köpfen zu machen. Bereits nächsten Montag werden sich ihre Vertreter erneut an den Ufern des Genfer Sees treffen. Voraussichtlich nicht in Genf, weil dort wegen des wichtigeren Autosalons alle Hotelzimmer ausgebucht sind, sondern in Lausanne. Aber auch die Gegner eines Kompromisses schlafen nicht. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sabotiert die Verhandlungen offen. Die Hardliner im politischen Spektrum Irans bekämpfen die Linie des gewählten Präsidenten Hassan Rohani aus dem Hinterhalt.
Natanjanu wird nächste Woche den US-Präsidenten Barack Obama brüskieren und auf Einladung der Republikaner vor dem Kongress eine Brandrede gegen den geplanten Atomvertrag mit Iran halten. Ob er von echter Sorge vor iranischen Atomwaffen getrieben ist oder die von ihm aufgeworfene „Sicherheitsfrage“ nur dazu benutzt, von den sozialen Problemen und der Lage in den besetzten Palästinensergebieten abzulenken, bleibt dahingestellt. In den USA kann er jedenfalls mit der Unterstützung der republikanischen Parlamentsmehrheit und einer Reihe pro-israelischer Demokraten rechnen.
In der Islamischen Republik Iran befürchtet der militärisch-industrielle Komplex einen Verlust seiner Privilegien durch ein Arrangement mit den USA. Die Pasdaran und Religionswächter tun alles, um den amerikanischen „Satan“ am Leben zu halten. In den kommenden Monaten wird Weltgeschichte geschrieben, auf Biegen oder Brechen. Politik als Kunst des Möglichen.