Smriti Irani war bis vor kurzem eine beliebte Schauspielerin in einer der endlosen Schwiegermutter/-tochter-Serien des Vorabend-Fernsehens. Dort gab sie eine jungverheiratete Frau, die sich an der misstrauischen und herrischen Schwiegermutter vorbeischlängeln musste, um zu überleben.
Seit kurzem kann Irani ihre familienpolitischen Erfahrungen auch in der Politik einbringen. Die frischgekürte BJP-Politikerin hatte einen guten Wahlkampf geliefert und keck den Kongress-Kronprinzen Rahul Gandhi herausgefordert. Narendra Modi nannte sie seine ‚kleine Schwester’ und berief sie nach erfolgreicher Schlacht zur Erziehungsministerin. Nun kann sie ihr Mundwerk gebrauchen, um sich an ihrer neuen Schwiegermutter vorbeizuschlängeln, dem misstrauischen Hindu-Kaderverband RSS nämlich. Dieser hinduistischen Version des Opus Dei – einschliesslich Beider Vorliebe für Kabalen und Geheimklubs - muss sie zuerst einmal beweisen, dass sie eine richtige Hindu-Schwiegertochter ist.
Korrigierte Version der indischen Geschichte
Der RSS spielt im nationalen Haushalt seines auserwählten Sohns Narendra Modi – einem ehemaligen RSS-Mitglied – eine wichtige Rolle. Das Politische, sagen die Weisen aus Nagpur, überlassen sie dem politischen RSS-Arm, nämlich der Regierungspartei BJP. Der RSS – ein Kürzel für die Hindi-Bezeichnung des ‚Nationalen Freiwilligenverbands’ – bezeichnet sich als ‚kulturelle’ Organisation. Ihr geht es um viel mehr als Politik, nämlich die Rundum-Erneuerung der (Hindu-) Nation.
Dazu gehören nicht nur die Ideale von Vegetarismus und Kuhverehrung, sondern auch eine korrigierte Version der indischen Geschichte. Während Jahrzehnten hat die ‚pseudo-säkularistische’ Kongresspartei das Werk der bösen Kolonialisten fortgeführt, die glorreiche Tradition der Hindus zu verunglimpfen und mit westlich-materialistischen Ideen zu unterfüttern. Das hat den Blick getrübt dafür, dass der Feind fast immer einen muslimischen Namen (manchmal auch einen englischen) trug, und der heroische Sieger oder Unterlegene ein Mann aus der Hindu-Kriegerkaste gewesen ist.
Diese Geschichtsrevision katapultiert Smriti Irani ins Zentrum des Interesses des RSS. Sie ist gerade sechs Monate im Amt und hat bereits eine Reihe von Mammutsitzungen mit Dutzenden von Delegationen hinter sich. Der RSS selber hält sich, als Vatikan der Hindus, vornehm zurück. Dafür deckt er Irani mit einer Batterie von Vereinen und Organisationen ein. Die Ministerin erhielt ein gründliches Coaching in Form von Anweisungen, wie sie den Schulunterricht gestalten müsse, um den wahren Werten zum Durchbruch zu verhelfen.
In-Vitro-Befruchtung?
Der neue Premierminister hat bereits die Richtung vorgegeben. Bei der Eröffnung eines Universitätsspitals in Bombay legte er am 25.Oktober dar, wie fortschrittlich das alte Indien in Sachen Medizin bereits gewesen ist. Wer erwartet hatte, dass er klassische Texte wie das ‚Sushruta Samhita’ erwähnen würde, in der bereits chirurgische Techniken des Ayurveda Erwähnung finden, sah sich getäuscht. Er sagte auch nicht, dass im Rigveda (dem 3500 Jahre alten Grundtext des Hinduismus) die 17. Inkarnation von Vishnu – Dhanvantari – zum Gott der Medizin erklärt wird.
Stattdessen rief der Premierminister in Erinnerung, was bisher der Mythologie vorbehalten war: Karna, ein Kriegsheld des Mahabharata-Epos, wurde nicht im Bauch seiner Mutter geboren – ein Beweis dafür, dass Indien bereits vor 3000 Jahren In-Vitro-Befruchtung praktiziert hat. Und war nicht Ganesh, der elefantenköpfige Gott, ein Beispiel dafür, dass die Vorfahren bereits die Transplantationsmedizin beherrschten?
Vielleicht hatte sich Herr Modi mit diesen Bemerkungen tatsächlich nur einen Spass erlaubt, wie wohlwollende Kritiker meinen. Aber für den RSS war der Ausspruch lediglich die Bestätigung einer historischen Tatsache. Schliesslich hatten die vedischen Vorväter bereits mit Computern und Robotern gespielt, mit fliegenden Schlachtwagen und Wunderdrogen, die den Tod besiegten, der Kommunikation zwischen Mensch und Tier, sowie Waffen der Massenvernichtung. Vom Urknall ganz zu schweigen, der durch tiefe Meditation hervorgerufen worden war.
Indiens Muttersprache vor dem Untergang retten
Derlei Inhalte sollen von der neuen Erziehungsministerin im neuen ‚Nationalen Lehrplan’ berücksichtigt werden, der in Vorbereitung ist. Natürlich soll dort auch Sanskrit, die Sprache der Götter, seinen verdienten Platz einnehmen. Es erstaunte daher nicht, dass unter den Vereinen, die die Erziehungsministerin in vedischer Schulwissenschaft unterwiesen, auch der ‚Sanskrit Shikshak Sangh’ zu finden war. Diesem ‚Lernverein’ geht es darum, Indiens Muttersprache vor dem Untergang zu retten, wenn nötig durch ein nationales Verbot aller Kurse für ausländische Sprachen. Frau Iran soll daher Sanskrit zum Pflichtfach erklären.
Um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, pickte der Verein die staatlichen ‚Kendriya Vidyalaya’-Schulen heraus, in denen Kinder von Staatsbeamten unterrichtet werden. Seit 2011 können diese nämlich auch Deutsch lernen. Das Goethe-Institut und der KV-Schulverein hatten, unter der Schirmherrschaft der beiden Regierungen, vereinbart, Deutsch-Unterricht als dritte Sprache für die Klassen sechs bis acht anzubieten, neben der Nationalsprache Hindi und der jeweiligen Regionalsprache. Die deutsche Regierung zahlt für die Ausbildung der Lehrer und das Studienmaterial, und am Ende erhalten die Kinder ein Zertifikat.
Deutsch-Unterricht eingestellt
Das Programm war sofort ein voller Erfolg. Innerhalb von drei Jahren haben rund 79'000 Kinder in über eintausend Schulen diese Gelegenheit ergriffen, zweifellos in der Hoffnung dass dies später ihre Berufschancen erhöht. Als im September der Termin für eine Verlängerung der Vereinbarung anstand, schlug der Sanskrit-Verein Alarm. Das ‚Memorandum’ sei illegal, denn es verletze die nationalen Bildungsrichtlinien. Diese statuierten nämlich eine ‚Drei-Sprachen-Formel’: Neben der Regionalsprache müssen Kinder in staatlichen Schulen auch die Nationalsprache Hindi und Sanskrit oder eine moderne indische Sprache lernen – von Fremdsprachen stehe nichts in der Verordnung.
Die Erziehungsministerin reagierte blitzschnell, als sei sie eine Befehlsempfängerin von Nagpur (dem RSS-Sitz) und nicht des Regierungskollegiums. Mitten im Schuljahr stellte sie den Deutsch-Unterricht mit sofortiger Wirkung ein. Schulen und Eltern waren konsterniert, und noch verärgerter reagierten das Goethe-Institut und die deutsche Botschaft. Die Medien nahmen sich der Affäre an und boten dem publizitätsfreudigen Botschafter Michael Steiner ausführlich Gelegenheit, Indien seiner tiefen Verbundenheit zum Sanskrit zu versichern. Aber es sei eben auch wichtig, „nach aussen zu schauen und die Chancen einer globalisierenden Welt zu nutzen“. Sogar Frau Merkel erwähnte den Streit, als sie beim G-20-Treffen in Brisbane mit Premierminister Modi zusammentraf.
„Empfehlungen von den ‚Grassroots“
Als kluge Schwiegertochter hat Smriti Irani in den zahllosen Sitcoms gelernt, wie man den Hausfrieden erhält. Dazu gehört auch der unbedingte Gehorsam gegenüber dem Familienvorstand. So tat sie das, was in diesen Tagen jeder Minister tut, bevor er seinen Arbeitstag beginnt: Jedes veröffentlichte Wort des vielreisenden Premierministers muss sorgfältig analysiert werden, um zu wissen, was für eine eigene Meinung man haben soll.
Kurz nach dem Merkel/Modi-Treffen wurde den 79'000 Kindern gestattet, bis zum Schuljahresende weiter Deutsch büffeln zu dürfen. Im nächsten Frühjahr dann, sagte Irani vieldeutig, würden die neue Bildungsrichtlinien ‚die bestehenden Schlupflöcher stopfen’. Vieldeutig setzte sie hinzu, statt auf ‚sogenannte Experten zu hören’ sei es wichtiger, ‚Empfehlungen von den ‚Grassroots’ aufzunehmen’. Ob sie wohl die Gräser meinte, die in Nagpur wachsen?