Die USA, Russland, Frankreich, Grossbritannien, China und Deutschland werden dem Leitungsgremium der IAEO vorschlagen, die seit Jahrzehnten laufenden Untersuchungen wegen möglicher Atomwaffenprogramme Irans einzustellen. Die insgesamt 35 Mitglieder des Gouverneursrats, zu denen auch die Schweiz gehört, müssen einen entsprechenden Resolutionsentwurf der „Sechsergruppe“ bewerten.
Bis 2009 an Studien für Atomwaffen gearbeitet
Die Initiative kommt etwas überraschend, weil erst am 2. Dezember die IAEO in ihrem jüngsten Bericht feststellte, Iran habe bis 2009 an der Entwicklung von Atomwaffen gearbeitet. Das führte zu einiger Irritation. Zuvor waren sowohl die Atomagentur wie auch die CIA davon ausgegangen, dass Teheran sein Programm 2003 eingestellt hatte.
Allerdings müssen die neuen Erkenntnisse der IAEO relativiert werden. Der Bericht stellt fest, dass es sich bei allen geheimen Forschungen der Iraner um „Machbarkeits- und wissenschaftliche Studien“ handelte. Zu keiner Zeit wurde mit angereichertem Uran experimentiert. In der Militäranlage Parchim südlich von Teheran testeten die Iraner nach den Erkenntnissen der IAEO-Inspektoren Supersprengstoffe auf ihre Fähigkeit, atomare Sprengsätze zu zünden. Der IAEO wurden auch Fotos eines handgefertigten Holzmodells eines nuklearen Raketengefechtskopfes zugespielt. Den Grossteil der Indizien lieferten israelische Geheimdienste. Der „smoking gun“ wurde aber nicht gefunden.
Die iranische Regierung bestreitet vehement alle Vorwürfe, je an Atomwaffen gearbeitet zu haben. Sie kann aber schwer erklären, warum sie der IAEO keine eingehenden Inspektionen der Anlage in Parchim erlaubte, wenn sie dort nichts zu verbergen hat. Die Iraner haben das gesamte Erdreich abgetragen und die Hangars mit Plachen bedeckt, um Satellitenaufnahmen zu verhindern. Das war 2002.
Neue Phase der Beziehungen zu Iran
Der Gouverneursrat der IAEO wird den bislang komplettesten Bericht der IAEO über eine „mögliche militärische Dimension des iranischen Nuklearprogramms“ in Wien absegnen. Iran wird wie üblich gegen die „unhaltbaren Beschuldigungen“ protestieren. Macht es aber noch einen Sinn, stets die gleichen Anschuldigungen und Gegendarstellungen zu wiederholen? Die jüngsten, relativ geringfügigen Verletzungen des Atomwaffensperrvertrags durch den Mitgliedstaat Iran liegen sechs Jahre zurück.
Das Verhältnis zwischen der Islamischen Republik Iran und dem Rest der Welt ist seit der Unterzeichnung des Atomabkommens am 14. Juli in eine neue Phase getreten. Mindestens während der kommenden 15 Jahre ist keine nukleare Bedrohung von Seiten der Iraner zu befürchten.
Der Deal sieht auch die Überwachung von militärischen Anlagen in Iran vor. Ob das funktioniert, wird die Praxis zeigen. Im kommenden Jahr werden die Vertragsbestimmungen in Kraft gesetzt. Dazu gehört auch die stufenweise Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Iran. Wenn also Iran seine wirtschaftliche Kraft wiedererlangen möchte, werden die Mullahs nicht umhin können, auch ihre Verpflichtungen zu erfüllen.
Wirkungslose Proteste Israels
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu protestiert gegen die Pläne der Grossmächte, das Dossier der militärischen nuklearen Tätigkeiten zu schliessen. Er fordert die IAEO auf, „die Untersuchungen fortzusetzen und zu vertiefen“. Netanjahu wird jedoch im Gouverneursrat auf wenig Unterstützung stossen, zumal Israel nicht Mitglied dieses Führungsgremiums ist. Ebenso wenig Iran. Widerstand gegen die Schliessung des Dossiers wird wahrscheinlich von Saudi-Arabien kommen, das einen Sitz im Gouverneursrat hat.
US-Diplomaten weisen darauf hin, dass unter ihrer Federführung ein „neutraler“ Resolutionsentwurf zu Papier gebracht wurde, damit er für Iran annehmbar ist. Man will weitere sterile Streitigkeiten vermeiden. Die Umsetzung des Nuklearabkommens ab dem 1. Januar sei wichtiger als das Herumkauen an längst irrelevant gewordenen Episoden. Also: Schwamm drüber!