Die jüngste Verhandlungsrunde zwischen den fünf ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrats und Deutschland auf der einen Seite und Iran auf der anderen erzielten keine Fortschritte in Richtung auf eine Lösung des Atomstreits. Dabei hatte es so ausgesehen, als ob die Regierung in Teheran zu einem Einlenken in den Kernfragen bereit wäre. Vorläufig bleibt es jedoch beim Trott der seit elf Jahren laufenden Verhandlungen: Ein Schritt vorwärts, ein Schritt zurück.
Die Chefunterhändler blieben nach der Vertagung der Konferenz am Freitagabend stumm. Ein leitender US-Delegierter erklärte lediglich, dass "weiterhin signifikante Meinungsverschiedenheiten bestehen". Der iranische Vertreter Abbas Araqchi sprach von "ernsthaften und konstruktiven Gesprächen, die aber keine Fortschritte zeitigten".
An den Rand des Nervenzusammenbruchs
Seit dem Beginn der Gespräche über das strittige iranische Nuklearprogramm im Jahre 2003 haben die iranischen Diplomaten schon etliche Verhandlungspartner an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebracht. Die letzte Runde vom 13. bis 16. Mai in Wien verlief nicht anders. Dabei sah im Vorfeld alles so gut aus. In einem am 24. November in Genf vereinbarten „gemeinsamen Aktionsplan“ verpflichtete sich Iran, kein auf über fünf Prozent angereichertes Uran mehr herzustellen und seine rund 200 Kilo auf 20 Prozent angereicherten Uran-Bestände entweder zu verdünnen oder in für Atomwaffen unbrauchbares Uranoxyd umzuwandeln.
Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien bestätigte Mitte April, dass drei Viertel der auf 20 Prozent angereicherten Uranbestände nicht mehr für Waffenzwecke verwendbar seien. Der Rest reicht für die Herstellung einer Atombombe nicht aus. Als vereinbarte Gegenleistung lockerten die ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats die gegen Iran verhängten Wirtschaftssanktionen. Teheran darf jetzt 4,2 Milliarden Dollar blockierter Guthaben für die Einfuhr dringend benötigter Waren verwenden, darunter Ersatzteile für obsolete Zivilflugzeuge.
Kein neues Datum
Zu Ostern kündigte die iranische Regierung ein weiteres Entgegenkommen an: Teheran sei bereit, das Konzept des bei der Stadt Arak im Bau befindlichen Schwerwasserreaktors grundlegend abzuändern. Dieser Reaktor eines völlig veralteten Typs würde grössere Mengen von Plutonium absondern, das neben Uran für die Herstellung von Atomwaffen verwendet werden kann. Der iranische Vizepräsident und Leiter der nationalen Atomenergiebehörde, Ali Akbar Salehi, bot an, das „Herz“ des 40-Megawatt-Reaktors neu zu konzipieren, um die Befürchtungen des Auslands zu zerstreuen. Die Bauarbeiten würden dadurch um drei Jahre verlängert. Ausserdem sicherten die Iraner der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien regelmässige Inspektionen der Baustelle zu.
Der im November in Genf beschlossene Aktionsplan läuft sechs Monate. Am 20. Juli soll er durch ein rechtsverbindliches Abkommen ersetzt werden. Auf der Wiener Verhandlungsrunde von vergangener Woche ruhten daher grosse Erwartungen. Beide Seiten beteuerten ihren guten Willen, die Absichtserklärungen in Vertragssprache umzusetzen. Doch nichts dergleichen geschah. Die Verhandlungen sollen irgendwann im Juni fortgesetzt werden. Auf ein genaues Datum konnte man sich nicht einigen.
Hardliner im eigenen Land
Dieser Rückschlag ist noch keine Katastrophe. Das Stichdatum vom 20. Juli für die Fertigstellung eines Vertrags kann beliebig verlängert werden. Es besteht kaum Gefahr, dass Iran plötzlich einen Atomsprengsatz testet. Auch mit Schuldzuweisungen für den Misserfolg muss man vorsichtig sein. Die Materie ist äusserst komplex, das Misstrauen gegenseitig. Sowohl der moderate iranische Präsident Hassan Ruhani wie US-Präsident Barack Obama müssen sich mit Hardlinern im eigenen Land herumschlagen, die jedes Abkommen mit ihrem „Erzfeind“ hintertreiben. Im iranischen Parlament haben ultrakonservative Abgeordnete eine Gruppe namens „Die Besorgten“ gebildet, die Ruhani mit der Absetzung drohen. Das letzte Wort hat aber das religiöse Oberhaupt Ayatollah Ali Chamenei.
Das iranische Regime hat es zum Symbol des nationalen Stolzes und der Unabhängigkeit erhoben, keine Abstriche bei der Anreicherung von Uran für angeblich friedliche Zwecke zu machen. Derzeit besitzt Iran 19.000 Gaszentrifugen, in denen das spaltbare Uran-Isotop 235 vom nutzlosen U-238 getrennt wird. 11.000 dieser Hochgeschwindigkeitsschleudern sind in Betrieb. Die Iraner möchten die Zahl auf 50.000 erhöhen, während ihre Verhandlungspartner eine Reduzierung auf höchstens 5000 fordern. Die Frage ist, wie eine illegale Anreicherung auf mehr als fünf Prozent, die für Atomkraftwerke genügen würden, dauerhaft ausgeschlossen werden kann.
Teufelskreis
Eine andere Frage, die von den USA in Wien aufs Tapet gebracht wurde, ist die Entwicklung iranischer Mittel- und Langstreckenraketen. Die Iraner weigern sich vehement, über ihre ballistischen Flugkörper zu verhandeln. In dem im November vereinbarten Aktionsplan sei davon keine Rede gewesen, sagen sie. Formal haben sie damit recht. Solche kostspielige Lenkwaffen ergeben aber keinen Sinn, wenn sie bloss mit herkömmlichen Sprengladungen bestückt werden. Die israelische Regierung bedrängt Washington, in der Frage der Raketen und der Uran-Anreicherung null Zugeständnisse an Teheran zu machen. Für Iran geht es um die Vormacht im Nahen Osten und die Abschreckung eines möglichen israelischen Angriffs auf seine Nuklearanlagen. Es ist ein Teufelskreis. Die vernünftigste Lösung wäre wohl die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in der gesamten Region einschliesslich Israels.