Die internationalen Verhandlungen um das Atomprogramm Irans stecken, die Medien notieren das nur am Rande (verständlich, die grosse Sorge gilt der Ukraine), in der Sackgasse. Sie sind derart verfahren, dass nur ein Wunder sie retten könnte – aber wenn das Wunder doch noch kommen sollte, dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu spät. Denn es dauert nur noch Wochen, bestenfalls wenige Monate, bis Iran genügend Material hat, um eine Atombombe herzustellen.
Und was dann? Das ist die eine Frage. Die andere lautet: Warum können denn die an den Verhandlungen beteiligten Mächte die offen auf dem Tisch liegenden Probleme nicht lösen? Sie sehen doch alle, dass der Mittlere Osten, genau wegen der Eskalation um das iranische Atomprogramm, etwa dort steht, wo die Ukraine vor dem 24. Februar war, also vor dem Tag der russischen Attacke. Rennt man sehenden Auges in die nächste Katastrophe?
Die an den Verhandlungen teilnehmenden Politiker und Fachleute sagen unisono, man sei sich zu 95 Prozent über alles einig, es fehlten nur noch ein paar wenige Schritte, und schon könne/könnte man einen Erfolg verkünden. Schön, tönt hoffnungsvoll – aber worin bestehen denn diese restlichen fünf Prozent? Wirklich nur darin, dass Iran mit dem nuklearen Feuer spielt, d. h., alle paar Tage oder Wochen im Bereich der Nuklear-Technik etwas Neues ankündigt? Etwa die Installation einer neuen Generation von Zentrifugen für die Uran-Anreicherung oder den Abbau von 25 Überwachungskameras der Atom-Energie-Agentur. Von Seiten Irans wird all das jeweils garniert mit der Bekanntgabe der gerade aktuellen Menge von auf bis zu 60 Prozent angereichertem Uran. Jedes zusätzliche Kilogramm, jedes weitere Prozent bei der Anreicherung ist ein Verstoss gegen das, was 2015 im JCPOA (so heisst der Vertrag über die Kontrolle des Atomprogramms in der offiziellen Abkürzung) vereinbart wurde – und man liest aus den iranischen Mitteilungen, dass Ayatollah Khamenei und seine «Mannen» all diese Verstösse nicht etwa mit schlechtem Gewissen, sondern, im Gegenteil, mit Genuss publizieren.
Drohungen aus Israel sind uns egal
Die Botschaft dahinter ist klar: Teheran übt Vergeltung gegen das, was Ex-Präsident Trump dem Regime und dem Land mit dem Austritt aus dem von Vorgänger Obama ausgehandelten Vertrag angetan hat und gegen all jene (gemeint sind damit die beim Iran-Dossier tatsächlich zahnlosen Europäer), die sich dem US-amerikanischen Diktat gefügt haben. Und gibt demonstrativ zu erkennen: Drohungen aus Israel sind uns ebenso egal wie die Aussicht auf ein Scheitern der Verhandlungen und somit ein Fortdauern der Sanktionen, denn wir haben längst Mittel und Wege zum Überleben gefunden.
Ebenfalls demonstrativ wird in Teheran eine Konferenz für andere Sanktions-Geschädigte (also etwa für Venezuela oder Kuba, neu auch wohl für Russland) organisiert, bei der das Know-how der Iraner beim Umgang mit, respektive der Umgehung von Sanktionen weiter gegeben werden soll. Garniert wird all das durch die Publikation von so genannten Statistiken im Bereich des Exports von Erdöl und Erdgas und Zahlen hinsichtlich der für dieses und nächstes Jahr zu erwartenden wirtschaftlichen Bilanz Irans. Wie glaubhaft solche Zahlen sind, bleibe dahingestellt.
Die Pasdaran
Die Knackpunkte bei der Frage um die Wiederbelebung oder die Kremation des Atomabkommens liegen nicht beim Technischen – da wäre bei gutem Willen alles lösbar (Rückbau der Zentrifugen, Wiederherstellung der Überwachung der Anlagen durch die IAEO etc.), sondern bei politischen Themen. Das wesentlichste: Iran verlangt von den USA, dass sie die Pasdaran, also die iranische «Elite»-Truppe der Revolutionswächter, von ihrer Terrorliste streichen.
Liest sich eigentlich unkompliziert – oder doch nicht?
Auf die Idee, die Pasdaran in den Topf der Terroristen zu werfen, kam Donald Trump erst gegen Ende seiner vierjährigen Amtszeit. Andere Sanktionen (insgesamt gegen Iran, sage und schreibe, 3616) hatte er oder hatten Vorgänger-Regierungen schon vorher verhängt. Warum entschloss sich Trump, seine Herrschaftszeit mit diesem Dekret zu krönen? Nun, weil er wusste, dass es im hochentwickelten Polit-Apparat der USA sehr schwierig ist, eine Person oder Organisation, die einmal mit dem Stigma «Terror» oder «Terrorist» bedacht wurde, wieder freizusprechen. Da können (ist im Fall der Pasdaran schon geschehen, da haben sich zehn Senatoren abgesprochen) beispielsweise einige Parlamentarier vom Präsidenten fordern, er müsse beweisen, dass die betreffende Organisation es wirklich verdiene, wieder als «sauber» auftreten zu können. Das heisst, das Weisse Haus würde gezwungen, eine für den Polit-Betrieb Washingtons mehrheitsfähige Beurteilung der betreffenden Organisation vorzulegen, allenfalls sogar in einem Hearing zu verteidigen. Dass die Administration von Joe Biden keine Lust und wohl auch (vor der ohnehin drohenden Niederlage bei den Zwischenwahlen) keine Kraft hat, sich in eine solche innenpolitisch brisante Auseinandersetzung zu stürzen, ist offenkundig.
Besser ausgerüstet als die «normalen» Einheiten der Armee
Ebenso offenkundig anderseits ist das Beharren der iranischen Führung auf die «Rehabilitierung» der Pasdaran. Das ist ja tatsächlich keine kleine Privatarmee, sondern eine offizielle Gruppierung innerhalb des iranischen Machtapparats. Sie umfasst um die 200’000 Mann und ist besser ausgerüstet als die «normalen» Einheiten der iranischen Streitkräfte (deren Stärke um die 500’000 genannt wird).
Oberflächlich könnte man sagen: ist, strukturell, etwas ähnlich wie beispielsweise in den USA das Verhältnis der Marines zu den anderen Einheiten. Nur: von den Marines ist nicht bekannt, dass sie, abgesehen von ihren militärischen Aufgaben, auch noch eine Rolle in der Wirtschaft spielen würden. Die Pasdaran aber sind in Iran sowohl zu einem Staat im Staate hinsichtlich des politischen Einflusses als auch in der Wirtschaft geworden.
Gordischer Knoten
Kein wichtiges Unternehmen in Iran, in dem die Revolutionswächter nicht Einfluss hätten. Keine Bank ohne, irgendwo, eine «Hand» der Pasdaran. Die Wirtschaft des Landes, auch die Finanzwirtschaft, wurden immer undurchsichtiger – und der Verdacht, dass die Revolutionswächter sich immer mehr, innerhalb des Staats, verselbständigen würden, breitete sich immer mehr aus. Das Misstrauen in der iranischen Öffentlichkeit gegen die Machtstellung der Pasdaran ist weit verbreitet – aber alle wissen, dass das Geflecht derart hoch entwickelt ist, dass man es nicht durch ein Dekret auflösen kann.
Was uns zurück führt zum JCPOA, also zum so genannten Atomprogramm: Die Iraner müssen darauf beharren, dass die Pasdaran aus dem US-Register der Terrororganisationen gestrichen werden – die Amerikaner anderseits müssten ihren Washingtoner Polit-Apparat tiefgreifend umkrempeln, um dieser Forderung Rechnung zu tragen.
Also: ein gordischer Knoten, den zu durchtrennen niemand den Willen hat. Auch wenn solcher Unwille zu einem weiteren Krieg führen kann.