Einer Einigung im Atomstreit mit Iran sei man so nahe wie nie zuvor, stellte Deutschlands Aussenminister Frank-Walter Steinmeier nach einem 45-Minuten-Gespräch mit dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani am Rande der Uno-Vollversammlung fest. Sein französischer Amtskollege Laurent Fabius widersprach: Es seien noch nicht genügend Fortschritte erzielt worden, um einen Durchbruch zu feiern, erklärte er.
Angebote und Vorschläge
Wo stehen also die Verhandlungen zwischen den fünf ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrats und Deutschland auf der einen Seite und Iran auf der anderen? Die Einschätzungen innerhalb der Sechser-Gruppe (5+1) fallen unterschiedlich aus. Die Haltung Teherans ist doppelbödig. Klar scheint eines: Die Unterhändler beider Seiten sind zu den substanziellen Fragen und technischen Einzelheiten eines Abkommens vorgedrungen. „Es liegen viele Angebote und Vorschläge auf dem Tisch“, sagte Steinmeier.
Zwölf Jahre dauern die Verhandlungen bereits, nachdem 2002 aufgeflogen war, dass Iran insgeheim und unter Bruch des Atomwaffensperrvertrags Uran anreicherte. In sechs Resolutionen hat der Weltsicherheitsrat Iran verurteilt und mit Wirtschaftssanktionen belegt.
Derzeit keine Gefahr
Jetzt bleiben den Diplomaten noch acht Wochen, um einen Vertrag fertig zu stellen. Am 24. November läuft das ein Jahr zuvor in Genf vereinbarte Übergangsabkommen aus. Darin verpflichtete sich Iran unter anderem, kein Uran mehr über die zum Betrieb von Atomkraftwerken nötigen fünf Prozent anzureichern und das bereits auf 20 Prozent angereicherte Spaltmaterial zu verdünnen oder in für Atomwaffen unbrauchbares Uranoxid umzuwandeln. Als Gegenleistung wurden die Wirtschaftssanktionen gelockert.
Beide Seiten haben diese Verpflichtungen strikt eingehalten. Im Moment besteht keinerlei Gefahr, dass Iran Atombomben bauen könnte – zum Verdruss von Israels Premier Benjamin Netanjahu, dessen Angstmache mit der iranischen Bedrohung nicht mehr wirkt.
Irans Schlüsselrolle
Die Iraner hatten ihrerseits als Vorbedingung für eine militärische Stabilität im Nahen und Mittleren Osten stets eine atomwaffenfreie Zone unter Einbeziehung Israels gefordert. Die von den USA mitgetragenen Vorgespräche versickerten jedoch, weil Israel seine Teilnahme verweigerte. Jetzt hat Teheran seine Taktik den jüngsten Entwicklungen in der Region angepasst. Die iranische Führung bietet den USA ihre Unterstützung im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ und andere sunnitische Terrorgruppen an, wenn ihnen der Westen handfeste Zugeständnisse in den Atomverhandlungen macht. Dabei ist schwer abzuschätzen, ob es den Iranern bloss um einen diplomatischen Scheinsieg oder um die Wahrung der Atomwaffenkapazität geht.
Die Sechser-Gruppe weist eine Verknüpfung der Atomverhandlungen mit den jüngsten Entwicklungen in Syrien und im Irak strikt zurück. Dass Teheran bei der Meisterung der Krise eine Schlüsselrolle zufällt, kann aber niemand bestreiten. In mehreren Treffen mit den iranischen Präsidenten und dessen Aussenminister am Rande der Uno-Generalversammlung versuchten westliche Spitzenpolitiker diesen Knoten zu entflechten.
Streit um die Zahlen
Auch ohne formales Junktim zwischen den Atomverhandlungen und dem Kampf gegen den Terrorismus kommen die USA und ihre Verbündeten den Iranern jetzt entgegen. Sie verlangen nicht mehr den Abbau aller 19.000 iranischen Gaszentrifugen, von denen etwa 10.000 in Betrieb sind. Nach verlässlichen Quellen dürften die Iraner 4500 Schleudern behalten. Teheran besteht aber darauf, mindestens 9400 Zentrifugen für derzeitige und künftige zivile Zwecke zu betreiben.
Iran schlägt vor, nicht die Zahl der Zentrifugen, sondern deren Gesamtleistung (SWU) als Kriterium zu nehmen. Die 5+1-Gruppe hat dies abgelehnt. Daraufhin haben die USA die Idee ins Spiel gebracht, die überzähligen iranischen Zentrifugen nicht zu zerstören, sondern bloss die Verbindungen zwischen den einzelnen Schleudern einer „Kaskade“ zu kappen. Jede Kaskade besteht aus 64 Zentrifugen, in denen das nutzlose Uran-Isotop 238 stufenweise vom spaltbaren U-235 getrennt wird.
Nordkorea als warnendes Beispiel
Die Experten sind sich uneinig, ob eine Entfernung der Röhren und Drähte zwischen den Zentrifugen einer Kaskade Missbrauch verhindern könnte. Einige weisen darauf hin, dass Nordkorea seine Nuklearanlagen nach der Schliessung durch Experten der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) rasch wieder in Gang setzte. Entscheidend ist die Effizienz der IAEO-Inspektionen.
Russlands Aussenminister Sergej Lawrow meinte, dass alle Beteiligten interessiert seien, „die wenigen, aber extrem wichtigen verbleibenden Probleme“ bis zum 24. November zu lösen. Zu den offenen Fragen gehört die Zukunft des im Bau befindlichen Schwerwasserreaktors bei Arak, der waffenfähiges Plutonium absondern würde. Iran hat angeboten, das „Herz“ des Reaktors so zu verändern, dass nur mehr wenig Plutonium anfällt. Dem Westen geht dieser Vorschlag nicht weit genug.
Das Problem der "Heimatfront"
Ein weiterer Streitpunkt ist die Laufzeit des Vertrags. Die Iraner wollen sich für weniger als zehn Jahre binden. Die USA bestehen auf eine Vertragsdauer von mindestens 15 Jahren.
Sowohl die iranische wie die US-Regierung müssen ihre Gegner an der Heimatfront ins Kalkül einbeziehen. In den USA sind im November Kongresswahlen fällig. Die Republikaner lauern darauf, Obama eine Gefährdung der Sicherheit des Landes und Israels vorwerfen zu können. In Iran steht Präsident Rohani unter dem Dauerbeschuss der Hardliner. Diese befürchten, dass ein Arrangement mit dem "Erzfeind" Amerika das innenpolitische Kräfteverhältnis zu ihrem Ungunsten verschieben würde. Doch das letzte Wort hat der bislang schweigsame Ober-Ajatollah Ali Chamenei.