Die einst Assad-treue syrische Armee hat keinen Widerstand gegen die Machtübernahme der Rebellen geleistet. Das Bild zeigt Regimesoldaten in Homs, die von den Aufständischen abgeführt werden. Präsident Assad war in der Nacht zum Sonntag an Bord eines Flugzeuges nach Moskau geflohen. Das amerikanische Aussen- und Verteidigungsministerium befürchten, dass radikale Gruppen, wie der «Islamische Staat» (IS) oder «Al-Kaida», von einem Machtvakuum in Syrien profitieren könnten.
Wenige Stunden nach dem Sturz al-Assads führten amerikanische Kampfflugzeuge und Bomber vom Typ B-52, F-15 und A-10 dutzende Angriffe auf Stellungen des «Islamischen Staats» durch. Es gehe darum, zu verhindern, dass der IS den Umsturz in Syrien ausnütze, erklären amerikanische Beamte.
Israel vernichtet syrische Chemiewaffen
Israelische Elitesoldaten sind am Sonntag auf syrisches Staatsgebiet vorgedrungen und errichteten eine neue Pufferzone auf den Golanhöhen. Israels Aussenminister Gideon Sa’ar erklärte, dabei handle es sich um «eine Massnahme von begrenzter Dauer.» Die Präsenz israelischer Streitkräfte sei ein «begrenzter, vorübergehender» Schritt, der die Sicherheit Israels gewährleisten solle. Einen Zeitpunkt für ein Ende der Massnahme nannte er nicht.
Das israelische Militär hat nach eigenen Angaben «strategische Waffensysteme, Restbestände an chemischen Waffen sowie Langstreckenraketen» in Syrien angegriffen. So soll verhindert werden, dass die Waffen in die Hände extremistischer Gruppen fallen. Dies bestätigt am Montag der israelische Aussenminister Gideon Sa'ar.
Flug SYR921
Assad war am Sonntagabend in Moskau eingetroffen, wo er und seine Familie «aus humanitären Gründen» Asyl erhielten. Assads Flugzeug, ein Transportflugzeug vom Typ Iljuschin 76-T, war am Sonntagmorgen um 05.00 Uhr vom internationalen Flughafen in Damaskus aus via einen syrischen Militärflugplatz und via die Vereinigten Arabischen Emiraten nach Moskau gelangt. Nachdem die Maschine (Flug SYR9218) über der syrischen Stadt Homs geflogen war, verlor sie an Höhe und der Radar fiel aus. Journalisten spekulierten, dass die Iljuschin abgestürzt und Assad ums Leben gekomen sei. Später hiess es, die Maschine habe ein normales, schnelles Landemanöver vollzogen und sei vermutlich auf einem nahen Militärflughafen gelandet. Dort hat Assad möglicherweise die Maschine gewechselt. Dass der Radar ausfiel sei möglicherweise darauf zurückzuführen, dass der Transponder bewusst ausgeschaltet wurde.
Dass Assad in Moskau Asyl fand, erstaunt nicht. Russland gehört neben Iran seit Jahren zu den grössten Unterstützern des syrischen Regimes.
Der syrische Diktator war einer der wichtigsten Partner Russlands im Nahen Osten. Ab 2015 griff Russland in den syrischen Bürgerkrieg ein und stabilisierte damit das schwächelnde Assad-Regime. Syrien hat für Russland auch strategische Bedeutung. Die von Russland kontrollierte Marinebasis Tartus ist der einzige Zugang der russischen Marine zum Mittelmeer. Zudem unterhält Moskau eine Luftwaffenbasis in Syrien. Russland hatte eine Zeit lang mehrere zehntausend Soldaten in Syrien stationiert; viele von ihnen wurden dann an die Front in der Ukraine abgezogen.
Russland will mit Rebellen sprechen
Kremlsprecher Dmitrij Peskow sagte am Montag, es sei noch zu früh, um über die Zukunft der russischen Militärstützpunkte in Syrien zu sprechen. Darüber würde Russland mit den künftigen Machthabern in Syrien verhandeln. Laut russischem Aussenministerium sind die Stützpunkte derzeit in erhöhter Bereitschaft, es gebe aber keine Bedrohung für die Soldaten.
Fahnenwechsel
Auf dem Gebäude der syrischen Botschaft in Moskau ist die Fahne der Rebellen gehisst worden.
Gefangenenbefreiung
Schon am Sonntag hatten die siegreichen Rebellen damit begonnen, die im Foltergefängnis Sednaja inhaftierten Regime-Gegner zu befreien. In dem Gefängnis waren Tausende Menschen untergebracht. Das Gefängnis war ein eigentliches Vernichtungslager. Laut Amnesty International sind dort Zehntausende Gefangene hingerichtet worden. Die Anstalt liegt 17 Kilometer nördlich von Damaskus. Auch am Montag sollen in den Kellern des Gefängnisses noch Hunderte Gefangene aufgefunden worden sein. Die Befreiten seien schwer gezeichnet; viele seien krank, apathisch und «halbtot», erklärte ein NGO-Vertreter.
Assads Luxusleben
Während ein grosser Teil der Bevölkerung in Armut lebte und teils hungerte, führte der Assad-Clan offenbar ein Luxusleben. Videoaufnahmen zeigen die Autosammlung des abgesetzten syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, die in einer Garage in der Nähe seines Hauptpalastes in Damaskus untergebracht ist. Die Aufnahmen zeigen mehr als 40 Luxusfahrzeuge, die in einem grossen Lagerhaus stehen, darunter einen roten Ferrari F50 – der üblicherweise für über 3 Millionen Dollar verkauft wird –, einen Lamborghini, einen Rolls Royce und einen Bentley.
Ein Sieg für die gesamte «islamische Nation»
Der Anführer der wichtigsten Gruppe der bewaffneten syrischen Opposition, Abu Mohammad al-Jolani, bezeichnete den Sturz von Präsident Baschar al-Assad in seiner ersten öffentlichen Stellungnahme seit der Einnahme von Damaskus durch die Rebellen als «Sieg für die gesamte islamische Nation».
«Dieser Sieg, meine Brüder, ist ein Sieg für die gesamte islamische Nation. Dieser neue Triumph, meine Brüder, markiert ein neues Kapitel in der Geschichte der Region», sagte der Anführer von Hayat Tahrir Al-Sham (HTS), einer Gruppe, die aus einem ehemaligen Al-Kaida-Ableger hervorgegangen ist.
In einer Rede in einer Moschee in der Hauptstadt fügte Jolani hinzu, Syrien sei ein «Tummelplatz für iranische Ambitionen, die Verbreitung von Sektierertum und Korruption» gewesen, doch nun werde «Syrien durch die Gnade Gottes des Allmächtigen und durch die Bemühungen der heldenhaften Mudschaheddin gereinigt». Iran und sein Stellvertreter, der Hisbollah, waren die wichtigsten Unterstützer von Assads Regierung.
«Meine Brüder, ich habe dieses Land vor über 20 Jahren verlassen und mein Herz hat sich nach diesem Moment gesehnt», sagte Jolani zu der in der Umayyad-Moschee versammelten Menge.
«Es gibt keinen einzigen Haushalt in Syrien, den der Krieg nicht betroffen hat. Gelobt sei Gott, heute erholt sich Syrien.»
Freude im Land
Kurz nachdem die Rebellen am Sonntag in den Präsidentenpalast eingedrungen waren, brachen in ganz Syrien Freudenkundgebungen aus.
Syriens Ministerpräsident Mohammed al-Dschalali ist nach der Flucht von Machthaber Baschar al-Assad eigener Darstellung zufolge im Land geblieben und will bei einem Machtwechsel kooperieren. «Wir sind bereit, (die Macht) an die gewählte Führung zu übergeben», sagte Al-Dschalali in einer Videobotschaft, die er laut eigener Aussage in seinem Zuhause aufzeichnete.
«Ein freies Syrien erwartet euch»
«Der Tyrann Baschar al-Assad ist geflohen», teilten die Aufständischen in sozialen Medien mit. «Wir verkünden, dass die Hauptstadt Damaskus befreit wurde.» Und: «Dies ist der Moment, auf den die Vertriebenen und die Häftlinge lang gewartet haben, der Moment der Heimkehr und der Moment von Freiheit nach Jahrzehnten der Unterdrückung und des Leids.» Gerichtet an die Millionen Flüchtlinge, die durch den Bürgerkrieg vertrieben wurden, erklärten die Aufständischen: «An die Vertriebenen weltweit: Ein freies Syrien erwartet euch.» Der 8. Dezember markiere «das Ende dieser dunklen Ära» der Unterdrückung unter Assad und seinem Vater Hafis al-Assad, die das Land mehr als 50 Jahren regierten.
Ein US-Beamter erklärte gegenüber CNN, die Ereignisse in Syrien markierten den Zusammenbruch der «iranischen Machenschaften» im gesamten Nahen Osten. (Siehe Artikel von Ali Sadrzadeh)