Der Holzbock steht mitten in einem sonst leeren Raum der herrschaftlichen Residenz des Aspinwall House, dahinter der Fensterrahmen mit dem Blau der Bucht von Cochin. Eine halbgemalte Leinwand liegt, halb ausgerollt, über dem Gestell. Auf dem Boden ist Zeitungspapier ausgelegt, mit Farbtöpfen, Pinseln, Hammer und Nägeln. Der Biennale-Besucher, der den Raum betritt und die blanken Wände sieht, nickt mit postmoderner Aufgeschlossenheit: Aha, das unvollendete Kunstwerk! Die ironische Geste der Selbstaufhebung! Das Fragmentarische, Werkstatthafte der Kunst! Installationskunst eben, statt wie früher ein Stilleben in Öl.
Ironie hat keinen Platz
Die Kochi Muziris Biennale, in der das Werk von Prabhakarn K. steht, begnügt sich aber nicht mit dieser Spiegelung, im Gegenteil: Die ganze Ausstellung ist ein Work in Progress, in der die Ironie von der Realität glatt geschluckt wird. Neben dem Raum mit der Unvollendenten werden die Wände noch verputzt, im grasüberwachsenen Cabral Yard hobeln Handwerker an den Blumenmustern eines kleinen Holztempels, den der Künstler Sudarshan Reddy in eine frisch ausgehobene Grube gelegt hat. Im Garten der ehemaligen Aspinwall-Faktorei liegen neben der Treppe aus gefüllten Pfeffersäcken, die zu einem riesigen Korb aus Ästen führt – eine Installation von Srinivasa Prasad – , aufgerissene Zementsäcke, der Zement vom Regen beinhart versteinert.
Das Aspinwall House ist das Zentrum der ersten Biennale Indiens – und der 151. weltweit – die am (un)glückverheissenden 12/12/12 eröffnet wurde. Besagter Fensterrahmen mit Blick auf tropisches Grün und Blau ist in Wahrheit ein Loch, ohne Rahmen und Fenster. Die Residenz steht neben anderen Halbruinen – Lagerhallen, Kontoren, Ställen, Bootshallen – die seit Jahrzehnten leerstehen, ausgeweidet wurden, mit lichtlosen Toiletten ohne Türen und Wasser, herausgerissenen Strombahnen, aufgemeisseltem Gemäuer.
Geschichtsträchtige und verlotterte Szenerie
Es war eigentlich eine brillante Idee: In Fort Cochin periodisch eine Kunstschau zu veranstalten, einer der Inseln in diesem historischen Hafenareal, seit über 2000 Jahren Umschlagplatz von Pfeffer und Gold, Musselin-Stoffen und Menschen, von Ideen und Ideologien, an dem sich Juden und Araber, Portugiesen und Holländer begegneten und bekämpften. Das Areal steht für diese globale Geschichte der Stadt, die mit der archäologischen Fundstelle Muziris im Norden noch weiter ins vorchristliche Zeitalter zurückgeht.
Entlang der inneren Wasserrinne liegen zudem zahlreiche Lagerhallen und Faktoreien, die wie das Aspinwall House leer, verlottert, grasüberwachsen sind. Eine ideale Vorgabe für eine zeitgenössische Kunstpraxis, die sich von Standorten inspirieren lässt, die site-specific ist und die Realität direkt spiegeln will.
Halbherzige staatliche Unterstützung
Aber in Indien ist die Realität nicht so leicht knetbar wie anderswo, sondern dicht, klebrig und aufsässig. Zunächst galt es, den Staat von der Idee zu überzeugen, dann, private Sponsoren zu finden. Kerala wird seit über fünfzig Jahren abwechslungsweise von den Kommunisten und der («sozialistischen») Kongresspartei regiert. Dies hat dem Staat nicht nur eine hohe Schulbildung eingetragen, sondern auch eine Gewerkschaftskultur, die dem kulturellen wie kommerziellen Unternehmerinstinkt die Luft wegnahm und ihn über die Grenzen vertrieb. Private Sponsoren sind dünn gesät, und der Staat wittert überall bourgeoise Unterhaltungskultur. Er versprach lumpige 50 Millionen Rupien (rund eine Million Franken), aber nur, wenn zwei Drittel davon gleich wieder in die Renovation der Durbar Hall fliessen würden, das mediokre Aushängeschild offizieller Kultur im modernen Stadtteil Ernakulam. Zudem sollte als Zahlstelle der Archäologie-Fonds für Muziris angezapft werden, womit die Biennale zu ihrem Bindestrich-Namen kam.
Aber die Promotoren Riyaz Komu und Bose Krishnamachari – beides Künstler – taten das, worin die Inder seit je Weltmeister sind: sie machten aus der Not eine Tugend. Sie forderten die über achtzig eingeladenen Künstler aus aller Welt auf, mit dem Stichwort Muziris die historische Dimension von globalem Austausch und Domination einzubeziehen. Und statt auf die modernen Hafenanlagen am gegenüberliegenden Ufer zu schielen, konnten sie ja auch die miserable ökonomische Realität reflektieren, die von allen Seiten durch die Ritzen drang, die verlotterten Ausstellungshallen, die eklatante bürokratische Lethargie öffentlicher Institutionen, und natürlich die leeren Hosentaschen der Promotoren, die keine solide Projekt-Infrastruktur zulassen.
Widrige Bedingungen für Künstler und Besucher
Die Künstler hatten ja auch keine Wahl. Der junge Schweizer Naveed Tschopp und seine drei Künstlerkollegen aus Delhi mussten selber das Dickicht roden, um ihr Layout 2 zu konstruieren, sinnigerweise eine Installation, die den Eingriff moderner Baumaterialien in eine chaotische Erde darstellt. Vertreter von drei Gewerkschaften (in verschiedenfarbigen Hemden) halfen ihnen dabei, aber als ein Rohr geliefert wurde, weigerten sie sich, es von der Strasse hereinzutragen – das war Sache einer vierten Gewerkschaft.
Schlimmer erging es bisher den zahlreichen Künstlern, die mit Videos arbeiten, die ihre Projektoren selber installiert haben, aber mit ständigen Strompannen leben müssen. Oder die Gäste im Moidu, einem abgetakelten Lagerhaus, das der Besitzer erst vor einem Monat zur Verfügung gestellt hat, weil er den Kommunisten nicht gönnen mochte, eine internationale Kunstschau durchgewinkt zu haben. Die Bildbeschreibungen konnten nur bei Tageslicht richtig gelesen werden, und manchmal sogar nur, wenn dieses in einem bestimmten Winkel durch Löcher im Dach schien, oder wenn man, wie ich, das Handy zu Hilfe nahm.
Faszinierende Verarbeitung von Realität
Dennoch – oder gerade deswegen – ist die Kochi-Biennale eine faszinierende Schau, deren Besuch sich unbedingt lohnt. Das Brüchige, Provisorische der Kunst und der Welt, die sie prismatisch verzerrt, das spirituelle Elend der Armut wie des Reichtums, sichtbar am allgegenwärtigen Müll sowie in Form von Konsumabfällen oder fehlenden Toiletten: Sie spiegeln sich in den Exponaten und dem schiefen Rahmen, in dem sie stehen.
Subodh Gupta, der Shooting-Star der indischen Kunstszene, hat ein langes Fischerboot an einem Ende hochgehievt, es mit dem Ramsch gefüllt, der heute in einem Fischernetz landen mag, ein Füllhorn von Abfällen, das sich auf uns entleert. Oder der schottische Künstler Dylan Martorell: Er hat ähnliches Strandgut mit Stromkabeln verbunden, das bei Berührung eine Kakophonie von Tönen auslöst.
Eine Kunst, die Menschen anspricht
Es ist eine Schau, die meilenweit vom desinfizierten White Cube einer modernen Kunstgalerie angesiedelt ist. Auch von diesen gibt es ein paar in Cochin. Als meine Tochter die Galerie OED betrat, hatte sie das Gefühl, eine «Grenzverletzung begangen» zu haben. Ähnlich würde es den vielen Menschen gehen, die ins Moidu, das Pepper House oder den Jewtown Godown strömen.
Gewöhnliche Leute sind unter ihnen – Ladeninhaber, Fischhändler, Schüler, Friseusen. Niemand von ihnen hätte es je gewagt, eine Galerie zu betreten. Aber hier höre ich einem Rikschafahrer zu, der mit seinem Fahrgast in den Cabral Yard gekommen ist. Er betrachtet das Rangoli-Gemälde von Sudarshan Shetty, das in einer Grube liegt, die feine Puderfarbe Wind und Wetter ausgesetzt: «Ich hätte nie gedacht, dass einer so etwas denken kann. Es ist fantastisch!»