Lukas Fierz hat das Gespräch zwischen Patrick Hogan (ehemals NASA), Mark Anderson (Strategic News Service) und Peter Wadhams vom 4. August 2021 auf Youtube transkribiert und übersetzt: Arctic Apocalypse
Peter Wadhams ist emeritierter Physikprofessor der Universitäten von Oxford und Cambridge. Das Interview ist besonders, weil hier ein Wissenschaftler einmal über seine schlimmsten Sorgen spricht, Sorgen, die oft deshalb nicht vorgebracht werden, weil es dafür (noch) keine absolut exakten Beweise gibt.
Ein Leben lang hat Wadhams die Arktis studiert, unter anderem in über 40 Expeditionen und in regelmässigen Unterseebootfahrten, um die abnehmende Dicke der Eisschicht zu messen. Seit Langem wies er darauf hin, dass Schnee- und Eisverlust die Absorption der Sonnenstrahlung begünstigt und die Erderwärmung wesentlich beschleunigt, einer der vielen Selbstverstärkungsmechanismen, die in früheren Berichten des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) regelmässig vernachlässigt wurden. 2017 hat er seine Erkenntnisse im Buch «A Farewell to Ice» zusammengefasst. Das Meereis schwindet zwar etwas langsamer, als darin von ihm prognostiziert, dessen baldiges Ende ist trotzdem vorauszusagen. In einem aktuellen Video-Interview kommentiert er die neuesten Entwicklungen, besonders der letzten zwei Jahre. Im Gegensatz zum IPCC, welches auch im neuesten Report Entwicklungen bis 2100 ausrechnet, meint er, dass durch katastrophale Wendungen durchaus schon in einigen Jahren Schluss sein könnte.
Patrick Hogan: Peter, du brichst demnächst wieder zu einer Expedition in den höchsten Norden auf, wo sich dramatische Entwicklungen abspielen: das Schrumpfen der Eisschicht in Arktis und Grönland und die Methanfreisetzung in Sibirien. Das sind nie dagewesene Ereignisse, und Klimawissenschaftler stellen fest, dass wir schon mehrere Kipppunkte überschritten haben. Was sind deren wichtigste in der sich erwärmende Arktis und was bedeutet das für die Wetterverhältnisse auf dem Planeten?
Peter Wadhams: Einer der Kipppunkte ist das sich beschleunigende Schwinden des Eisschildes über Grönland. Dies bemerkte ich nur allmählich und nebenbei, weil ich mich meist mit dem Meereis beschäftigte. Beim Meereis fragen wir uns, ob wir es zurückholen können – ich glaube das zwar nicht, aber wir können es versuchen. Im Moment ist es am Schwinden und das hat viele andere durchschlagende Folgen auf dem Planeten.
Das Problem mit dem Landeis ist, dass sein Schwinden sich stetig beschleunigt. Letzte Woche z. B. haben wir neun Milliarden Tonnen verloren, und der grösste Tagesverlust war 2019 und belief sich auf 12,5 Milliarden Tonnen. Im Sommer schmelzen dort jeden Tag acht, neun, zehn oder zwölf Milliarden Tonnen Landeis, es geht ins Meer und erhöht den Meeresspiegel. Tatsächlich leistet Grönland den grössten einzelnen Beitrag zum Meeresspiegelanstieg, und zwar scheint das Tempo schneller und schneller zu werden. Küstenstädte und Küstenregionen müssen mit sich beschleunigend zunehmenden Problemen rechnen. Das können wir nicht ändern oder rückgängig machen. Wir haben den Kipppunkt überschritten.
Ein anderer Kipppunkt, der schon überschritten ist, ist der Verlust von Meereis. Den bemerkten wir erstmals vor dreissig Jahren, als wir jedes Jahr die Dicke der Eisschicht von Unterseebooten aus massen und einen raschen Verlust der Eisdicke feststellten. Gleichzeit begann die Eisfläche von den Rändern her zu schrumpfen und legte im Sommer grosse Flächen offenen Wassers frei. Das ist selber ein Beschleunigungsfaktor und wird sich weiter beschleunigen, bis wir ein im Sommer eisfreies Meer haben – und wer weiss, was danach passieren wird.
Der dritte Kipppunkt, wenn man drei nennen will, ist damit verbunden: Mit soviel offenem Wasser im arktischen Sommer wärmt sich das Wasser relativ rasch auf, weil das Meer dort im Kontinentalsockelbereich nicht sehr tief ist, nur ca. 100 Meter tief. Wenn das Eis verschwindet, erwärmt sich dort das Wasser, und wenn sich das Wasser erwärmt, dann setzt das allerlei Dinge vom Meeresgrund frei, zum Beispiel Methan aus Sedimenten im seichten Wasser, das im Moment noch durch eine Permafrostschicht zurückgehalten wird. Der Permafrost beginnt jetzt überall aufzutauen und dann werden grosse Mengen von Methan in die Atmosphäre gelangen – eine Art Methanausbruch. Und wir haben keine Ahnung, was wir damit machen sollen. Verschiedene Gruppen arbeiten an Methoden, wie wir das Methan loswerden könnten. Also, es wird sich selber los, weil es nach ca. 10 Jahren oxidiert. Aber solange es in der Atmosphäre verbleibt, ist es ein sehr starkes Treibhausgas und wir wissen noch nicht, wie wir es loswerden können. Das ist ein anderes grosses Problem und es ist unmittelbarer, weil der Methanausbruch wahrscheinlich in sehr wenigen Jahren schon stattfinden wird.
Patrick Hogan: Wann wird die Eisschmelze auf einen Punkt kommen, wo man (den Meeresspiegelanstieg) in Metern messen kann? Wieviele Jahre wird das gehen? Nach meinem Gefühl werden die Folgen der Erwärmung auf Klima und Wetterbedingungen weit früher und dramatischer ausfallen als beim Meeresspiegelanstieg, der für seinen Effekt auf die Küstenregionen viel länger braucht. Man kann ja über Meeresspiegelanstieg sprechen, aber es ist fast wie ok, ja, aber der ist nichts im Vergleich zu den Effekten auf Wetter und Klima.
Peter Wadhams: Peter, ja, du hast recht, ich meine, es ist eine ganz neue … Die drei Trends, über die ich gesprochen habe, waren und sind kontinuierlich anhaltende Trends. Aber die Wettereffekte sind ganz neu. Ich kann mich an eine Zeit erinnern, als solche … wo einem solche Dinge nicht im Traum eingefallen wären, und das war vor lediglich zehn Jahren. Und dann, als solche Wetterereignisse begannen – eigentlich sind es Klimaentwicklungen – denn wenn genug Wetterevents auftreten, alle zusammen und nicht mehr aufhören, so werden sie eben zusammen zum Klimaevent. Und diese Klimaevents sind unerwartet und sie können ausserordentlich gefährlich und destruktiv sein, wie wir wissen.
Und hier … wiederum … die Spur des Verbrechens führt wiederum in die Arktis, wie bei so vielem. Und die wahrscheinlichste Erklärung für diese Wetterevents ist die: Die ursprünglich kalte Luftmasse über der Arktis erwärmt sich und passt sich der Temperatur der gemässigteren Breitengrade an. Die Temperaturdifferenz vermindert sich und das vermindert den Jet-Stream (Anm. des Übersetzers: Der Jet-Stream ist ein bis 500 km/h schneller Höhenwind), er fragmentiert sich und so kann es dann regional sehr heiss oder sehr kalt in Gegenden werden, wo Menschen leben und Nutzpflanzen anbauen wollen. Das sind die Gegenden, wo wir sind, und – wiederum – die Arktis ist die Ursache, die Arktis, die sich rascher aufwärmt als die Tropen. Aber die Effekte sind weltweit und auch unvorhersehbar. Und so ist es doppelt schlimm, oder dreifach schlimm, weil die Orte, wo die Wetterereignisse eintreten, genau die Orte sind, wo wir pflanzen und ernten. Daher hast du recht, die Wetterereignisse, die in den letzten zehn Jahren immer häufiger zu werden scheinen, sind eine wirklich schwere Bedrohung.
Patrick Nolan: Ob es nun Dürren sind, die Ernten vernichten, oder enorme Unwetter, die sich nicht verschieben, sondern immer nur grösser werden, diese Effekte – wenn man sieht, wie sie die Infrastruktur für das Leben auf diesem Planeten zerstören – scheinen mir viel vordringlicher als alle Folgen eines Meeresspiegelanstiegs. Das ist meine letzte Frage, oder Kommentar.
Peter Wadhams: Ja, natürlich. Ich denke, du kannst recht haben, irgendwann wird alles zusammenbrechen, weil – leider – die stetigen Veränderungen, die wir beobachten, nicht etwas sind, gegen das wir etwas unternehmen oder das wir loswerden können. Wir können den Meeresspiegelanstieg nicht loswerden, und wir können das Meereseis nicht zurückbringen, auch wenn einige Leute denken, dass wir das können (lacht). Das ist dann ein anderes Problem. Wenn wir auf die Ingenieurkunst angewiesen sind, um alle Probleme zu lösen, die wir uns selber geschaffen haben, dann wird das alles wohl noch schlimmer machen.
Aber ja, die zusätzlichen Effekte von akuten und extremen Wetterereignissen werden sich zu den allmählichen Veränderungen addieren und mit Wahrscheinlichkeit eine Art Kollaps erzeugen. Ich meine, wir … du …, weil mehr als nur ein Ding gleichzeitig zusammenkommt.
Gerade gestern war in Italien ein gigantisches Feuer auf Sardinien, das ist der Ort, wo ich nach dem Grönlandaufenthalt als nächstes hingehen werde. Das ist in einem Teil Sardiniens, den ich recht gut kenne, weil meine Frau von dort stammt. Es war ein gewaltiges Feuer, wie es früher nicht vorgekommen ist. Es gab keine Buschfeuer auf Sardinien, obschon es dort viele Büsche gibt. Und mitten in diesen Feuern flogen Freunde von mir von Cambridge nach Sardinien und kamen dabei in einen gigantischen Hagelsturm, der Flugzeug und Flugzeugfenster beschädigte und eine Notlandung erzwang. Auch so grosse Hagelstürme gab es auf Sardinien noch nie. Und der Hagelsturm passierte, während die halbe Insel in Brand stand.
Es kann zu Extremereignissen verschiedener Art, ja scheinbar völlig verschiedener Art gleichzeitig kommen: Überschwemmungen und gleichzeitig Dürren anderswo. Deshalb sind Voraussagen so schwierig – du weisst, die Effekte werden wahrscheinlich dramatischer werden und viel destruktiver für den Alltag auf dem Planeten.
Mark Anderson: Wenn ich nochmals nachhaken darf: Du bist schon auf die dunkle Seite gegangen, aber lass mich noch ein bisschen pessimistischer werden: Anstatt von Kipppunkten oder Triggerpunkten zu reden, denkst du, dass es einen Punkt ohne Wiederkehr gibt? Und haben wir den schon überschritten, oder gibt es irgendeine Chance, zu irgendetwas wie Normalität zurückzukommen?
Peter Wadhams: Tatsächlich ist die richtige Definition eines Kipppunktes eben, dass es keine Rückkehr gibt. Die ursprüngliche Beobachtung kam von Hooke. Das Experiment macht man ja in Schulen. Wenn man die Spiral-Zugfeder einer Federwaage nicht übermässig dehnt, so kehrt sie nachher in die Ursprungsform zurück. Aber wenn man sie wirklich stark dehnt, wenn man ein zu schweres Gewicht dranhängt, dann wird sie dauerhaft überdehnt. Und Kipppunkte sind eben dort, wo wir irgendwo ein zu grosses Gewicht an den Planeten gehängt haben. Und ich denke, dass wir bei gewissen Dingen nicht zurückkommen können, z. B. beim Meeresspiegelanstieg. Hier wurde ein Kipppunkt überschritten: mit Klimaerwärmung, Eisschmelze, Überschwemmungen von Küstenregionen. Da ist kein Weg zurück, wirklich.
Beim Verlust des Meereises denke ich auch, dass ein Kipppunkt überschritten ist, wenn auch sehr hoffnungsvolle Leute meinen, dass wir das Meereis zurückbringen können.
Gerade gestern (lacht) hat David King ein schönes Programm gemacht mit dem Titel «Lasst uns die Arktis wieder gefrieren». Aber schliesslich hat das Programm nicht aufzeigen können, wie das denn zu bewerkstelligen wäre. Das ist immer so.
Mark Anderson: Erwartest du – das betrifft nicht nur das Eis: Wird es in naher Zukunft eine andere Grössenordnung von Katastrophen geben? Wie wir gesehen haben, wenn verschiedene Ereignisse zusammentreffen, mehrere Stürme werden zu einem grossen Sturm, oder mehrere Brände werden zu einem Grossbrand und wenn dieser Grossbrand sein eigenes Wetter kreiert und dieses Wetter dann zu dem wird, was wir «Klima» nennen? Gibt es einen Punkt, wenn alle diese Einflüsse zusammenkommen, auch wenn sie einzeln begonnen haben, und dann in eine endgültige Katastrophe führen? Und um die Frage abzuschliessen: Ich höre Leute sagen: «Ja, 2030, da bin ich schon tot, oder 2050, oder 20-irgendwas, da werde ich tot sein, wen kümmert’s, ich werde nicht mehr da sein, und diejenigen die dann noch leben, tun mir leid.» So reden diese kurzfristigen Denker … Aber könnten wir nicht in naher Zukunft einer Katastrophe von unvorstellbaren Ausmassen entgegengehen, einer Katastrophe, wie sie nicht vorausgesagt wurde, ausser vielleicht in Filmen?
Peter Wadhams: Ja, ich denke, das könnte wirklich eintreten. Und du hast recht, die Leute denken – vor allem die Leute in meinem Alter denken: «Ja nun, wenn eine Katastrophe im Jahr 2050 kommt, dann werde ich über neunzig Jahre alt sein, das macht mir nichts aus.»
Aber es wird vorher passieren, und es könnte durchaus in sehr kurzer Zeit passieren. Man kann sich Szenarien vorstellen wie z. B. gerade jetzt in Kalifornien. Es gab früher kaum Buschbrände, oder jedenfalls nicht viele. Und jetzt sind es jedes Jahr mehr Buschfeuer, und sie verschmelzen und führen zusammen zu einer Art Abbrennen des ganzen Staates. Und das könnte dazu führen, dass der ganze Staat unbewohnbar wird, wegen Zerstörung von Siedlungen, von Ernten, von bebaubarem Land. Du endest … am Schluss hast du einen Ort, wo du nicht mehr leben kannst, das könnte passieren.
Auch in der Antarktis beispielsweise – die Leute beunruhigen sich nicht über die Antarktis, sie denken, die ist ja weit unten und weit weg, und dort wird wohl für Hunderte von Jahren nichts passieren. Aber auch dort brechen die Eisschichten schon auf, und es könnte die gleiche rasche Entwicklung eintreten, die wir schon in Grönland haben. Und das würde den Meeresspiegelanstieg weiter beschleunigen, aber auch Folgen für die bewohnbaren Teile der Erde haben, weil das Meer … das Meer ist überall …
Patrick Hogan: Peter, und was ist mit dem Russ, der Russ, der durch all diese Feuer erzeugt wird? Der wird sich ablagern, sei es auf Schnee oder Eis, und das wird den Ablauf verändern …
Peter Wadhams: Ja genau, das werde ich in ein paar Wochen vor Ort studieren. Es ist der Dreck, das schwarze Eis auf Grönland, das ist schlimmer denn je, weil, wenn das Eis im Sommer oben abschmilzt, bleibt der darin enthaltene Dreck darauf liegen. Die Oberfläche wird dreckiger und dreckiger, das heisst dunkler und dunkler und dunkler, und das wärmt sie noch mehr auf, weil sie dann mehr Strahlung absorbiert. Der Eisverlust beschleunigt sich auch, weil das Eis dreckiger wird.
Mark Anderson: Ich möchte zuerst etwas sagen und dann eine Frage anhängen. Ich glaube, dass die Menschen im Wesentlichen unfähig sind, nichtlineare Zusammenhänge zu begreifen. Wir sind recht gut mit den linearen Zusammenhängen, aber jenseits des Linearen gibt es eine andere Stufe von Ereignissen, die man als richtungsändernd katastrophal (cataclysmic) bezeichnen könnte. Das ist es – so glaube ich – was wir jetzt sehen, hier in diesem virtuellen Meeting und in der Welt.
Noch jeder IPCC-Bericht hat mit der Aussage begonnen, dass man bisher die nicht-linearen Eigenschaften dieses Kollapses nicht richtig gewürdigt oder begriffen habe. Und so möchte ich jetzt fragen oder zurückkommen auf das, was Du gerade gesagt hast. Vielleicht beackern wir hier neuen Grund, wenigstens für das Publikum: Wir sorgen uns jetzt über die Entwicklung bis zum Jahr 2060 oder 2030, wir sehen zu, wie China ein neues Kohlekraftwerk pro Woche aufstellt und verspricht, das ab 2030 zu ändern. Aber ich denke, wir haben ein kurzfristigeres Problem, und so nochmals zurück zu dem, was du eben gesagt hast … Wenn es eine katastrophale, unvorhergesehene Entwicklung geben würde (du hast sie ja wahrscheinlich vorausgesehen), kannst du mir für diesen Fall einen Zeitrahmen geben? Wann könnte das frühestens eintreten? Nächstes Jahr? Fünf Jahre? Was ist der früheste Zeitpunkt für so ein richtungsändernd-katastrophales, nichtlineares und unvorhergesehenes Mammut-Ereignis durch die Klimaveränderung?
Peter Wadhams: Ja, das ist eine gute Frage (lacht). Das kann eine sehr kleine Anzahl von Jahren sein. Wenn du diese nichtlinearen Effekte erwähnst … Es gab ja diesen sehr berühmten amerikanischen Wissenschaftler (Anm. des Übersetzers: Dr. Albert A. Bartlett), der jetzt verstorben ist, der sagte, dass alle Probleme der Welt davon herrühren, dass die Menschheit die Exponentialfunktion nicht verstehen kann. Man hat angenommen, dass jetzt alles brav linear so weitergeht wie bisher. Zum Beispiel meinte das IPCC, dass der Meeresspiegel stetig ansteige, aber das ist komplett falsch. Das Exponentielle ist etwas, was wir nicht genug einrechnen (lacht). Wir fügen der Atmosphäre CO2 exponentiell zunehmend zu, aber es scheint uns nicht zu stören, wir machen weiter und es wird rasch schlimmer.
Der Fallstrick mit der exponentiellen Entwicklung ist der: Du steigst einen Berg hinauf und hinter dir ist alles noch flach und du denkst, das ist ja wunderbar. Aber vor dir wird es immer steiler bis senkrecht. Und genau das passiert jetzt in der Welt in so vielen Aspekten des Klimas. Jede dieser exponentiellen Entwicklungen kann die Quelle einer grossen Katastrophe werden. Aber ich denke, du sprichst über etwas ausserhalb oder über die exponentielle Entwicklung hinaus. Eine exponentielle Entwicklung kann man wenigstens vorausberechnen (lacht) … Man kann den Meeresspiegelanstieg … das ist tatsächlich so … vorausberechnen. Vorausberechnen kann man auch die CO2-Konzentration in der Atmosphäre.
Mark Anderson: Peter, Peter, lass mich die Frage anders stellen. Wir sprechen über Wasser, Waldbrände, dann Wetter und Klima und alle die übereinandergelagerten Effekte. Aber das wird nichtlinear und zwar dann, wenn die übereinandergelagerten Effekte zusammenwirken und das …
Peter Wadhams: Ja, und das kann dann mit Dingen zusammenhängen, an die wir gar nicht gedacht haben, wie die Tiere. Ich meine, die … die Biosphäre ist … sie ist unglaublich verletzlich (lacht) und sehr, sehr gefährlich. Nur schon, wenn die Bienen verschwänden oder so, wir könnten nichts mehr pflanzen. Und trotzdem kümmern wir uns nicht um sie, zerstören sie. Und wir wissen nicht, was wir tun müssen, wieviel weiter wir gehen können, ohne eine Katastrophe zu erzeugen. Und es gibt Katastrophen, an die wir gar nicht denken, und doch sind sie da, können eintreten und zwar ganz rasch und endgültig.
Mark Andersson: Ich muss dich jetzt unter Druck setzen, Peter. Was wäre der frühestmögliche Zeitpunkt in deiner Vorstellung … ich weiss, es ist unmöglich. Ich stelle dir eine unmögliche Frage. Aber du wirst eine Antwort versuchen, du bist gescheit genug für das Unmögliche. Also, was ist nach deiner Ansicht der frühestmögliche Zeitpunkt – Minuten, Wochen, Jahre –, bis alle diese Faktoren, die bisher unabhängig voneinander wirkten, bis sie beginnen, zusammenzuwirken, um eine allgemeine Katastrophe zu erzeugen?
Peter Wadhams: Also, ich würde sagen, es kann sich um so wenig wie fünf Jahre handeln. Und zwar weil in den letzten ein, zwei Jahren schon so viel passiert ist. Wenn wir zwei Jahre zurückgehen, oder drei, sahen wir schlimme Dinge sich ereignen, aber sie kamen nicht alle zum gleichen Zeitpunkt. Aber jetzt sehen wir, dass schlimme Ereignisse gleichzeitig zusammenkommen und schlimmer werden. Die Beschleunigung der Katastrophen in den letzten Jahren haben wir nicht so sehr wahrgenommen, weil Covid das öffentliche Bewusstsein beschäftigte. Die natürlichen Katastrophen haben sich beschleunigt, und wenn wir uns weitere fünf Jahre dazu denken, könnte etwas wirklich Schreckliches passieren.
Mark Anderson: Danke. Ich habe nur noch eine Frage. Vor einigen Tagen diskutierten wir mit einigen Kollegen über dieses Problem, und es entstand eine verrückte Idee, die ich dir vorlegen möchte. Ich möchte solche Gespräche mit einer positiven Note beenden (lacht), selbst wenn es schwierig ist. Mangels eines besseren Namens nannten wir die Idee «Go Light»: wenn alle Leute … Leute …, wenn alle führenden Persönlichkeiten der Welt erfahren würden, was du gerade gesagt hast, wenn sie die Chance hätten, es zu hören und tatsächlich zu verstehen, und wenn wir jetzt für diesen Moment – einen verrückten Moment – behaupten, dass sie auf die Krise reagieren und beschliessen, etwas zu unternehmen, vielleicht beginnend mit einer Gruppe von fünf grossen Nationen, nämlich alle finanziellen Interessen fallen zu lassen, welche die einzelnen bewegen. Ich zum Beispiel liebe Apfelbäume, aber vergessen wir die für eine Weile und dafür investieren wir alles Geld in Sonnenenergie. Und für fünf Jahre, beginnend morgen, würde Geld für nichts als nur für Sonnenkraftwerke ausgegeben. Und nach fünf Jahren, ich kann das nicht genau berechnen, aber vielleicht haben wir dann alles mit Sonnenenergie ersetzt, oder wenigstens zwei Drittel. Aber etwas, was sonst hundert oder fünfzig Jahre gebraucht hätte, hätte man in fünf Jahren vollendet. Und wir würden «carbon neutral», indem alle ihren Teil dazu leisten und Sonnenkraftwerke bauen. Für Länder, die das nicht zahlen können zahlen wir. Die ganze Welt macht mit, man kann dafür sogar Schulden machen, aber wir reagieren auf die Schwierigkeit der Situation. Das ist die schwierigste Situation, die wir je hatten, aber wir werden durchkommen, und so werden wir es machen. Wenn wir das täten, was wäre das Resultat?
Peter Wadhams: Ich denke, wir ... es würde helfen, den Planeten zu retten, aber es braucht mehr dazu, weil wir CO2 aus der Atmosphäre herausnehmen müssen … Da haben wir ein gewaltiges Problem … Wir können den CO2-Austoss so viel reduzieren, wie wir wollen, es wäre grossartig, ihn auf null oder eine kleine Grösse zu reduzieren, aber das CO2, das wir schon in die Atmosphäre entlassen haben, verbleibt dort und wirkt weiter. Wir müssten dieses CO2 mit einem gigantischen «Marshall-Plan» aus der Atmosphäre entfernen, das heisst für den Moment, dass wir all diese CO2-Sequestrierungsgeräte bauen, wenigstens solange uns nichts einfällt, was besser, billiger und weniger energieverbrauchend ist. Und wir müssten eine riesige Menge von solchen Maschinen bauen, um das CO2 aus der Luft zu nehmen. Wenn nicht, dann war es das eben … Allgemein gesagt wäre es selbstverständlich sehr wertvoll, all das Geld für Solarenergie einzusetzen, aber darüber hinaus müssen wir auch (lacht) das CO2 aus der Luft loswerden, irgendwie. Wir werden etwas davon loswerden.
Mark Anderson: Vor zehn Jahren dachten wir einen Plan aus, um etwas nützliches aus dem CO2 zu machen, nämlich ein dem Graphen verwandtes Baumaterial, das man mit 3-D-Printing im Bau verwenden könnte. Die meisten Bestandteile dieser Technik existieren schon. Man könnte dann Städte aus carbonverstärktem Zement bauen, welcher weniger CO2 abgäbe, und 10 bis 100 mal belastbarer wäre. Städte würden haltbarer und das wäre kommerziell überlebensfähig. Das war das Einzige, was mir eingefallen ist.
Peter Wadhams: Das ist grossartig. So etwas Ähnliches wird gerade von der kleinen Firma «Blue Planet» in Kalifornien entwickelt. Sie verwandeln CO2 in Kalkstein, durch Mahlen erhält man Sand. Du hast ganz recht. Wenn wir das CO2 wirklich loswerden wollen, müssen wir es zu etwas verwenden, was Leute brauchen und wollen und auch bereit sind, zu bezahlen. Und zwar in einer Menge von 40 Gigatonnen pro Jahr, beim Baumaterial sind wir ja in solchen Bereichen (lacht).