«Es ist eine grosse Freude für uns, dieses Blatt in der Auktion anbieten zu können», sagt Cyril Koller (Bild) und die Begeisterung ist ihm anzusehen. Denn das, was er in der Hand hält, ist auch für ihn etwas Besonderes. Dabei sind schöne, alte, seltene und wertvolle Gegenstände für ihn Alltag. Cyril Koller ist Auktionator in Zürich mit weltweiten Verbindungen im Kunst- und Antiquitätenhandel. Am 1. April steht nun wieder die nächste Auktion bevor.
«Lot 517» heisst es ganz nüchtern auf Seite 130 im Auktionskatalog. Und unter dieser Bezeichnung wird ein Musik-Manuskript von Felix Mendelssohn-Bartholdy versteigert. Das Besondere daran: es handelt sich um zwei Arien und ein Rezitativ aus der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach, der damals Gefahr lief, total in Vergessenheit zu geraten. Felix Mendelssohn, der damals noch ein Teenager war, erkannte die Grösse und das Genie Bachs, setzte sich für ihn ein und steht damit am Anfang der Bach-Renaissance. Ausgelöst durch das Noten-Manuskript, das nun in Zürich den Besitzer wechseln soll.
Cyril Koller klappt das Deckblatt der Mappe mit den Notenblättern vorsichtig auf. «Auf dem Innendeckel gibt es eine Art Genealogie: man kann nachverfolgen, in wessen Besitz die Blätter waren.» Angefangen hat alles im Jahre 1830 in Dessau. Nach dem Ende der DDR ist das Manuskript dann in der Schweiz gelandet. Genaues darüber weiss man nicht. «Aus dieser Schweizer Sammlung wurde es uns nun angeboten», sagt Cyril Koller. «Es handelt sich bei dem Sammler um einen Intellektuellen mit breitgefächertem Interesse an Musikgeschichte, Kunst und Literatur und er sammelt auch Manuskripte.»
Geschenk für eine junge Dame
Die Geschichte dieses bisher unbekannten Musikmanuskripts des jungen Mendelssohn hat durchaus romantische Aspekte. Im Frühling 1830 war Mendelssohn 21 Jahre alt und zu einer Reise von Berlin nach Weimar aufgebrochen. Auf halbem Wege besuchte er seinen Freund und späteren Librettisten Julius Schubring in Dessau. Dieser Julius Schubring hatte eine Schwester, Agnes, die dem jungen Mendelssohn gar wohl gefiel … flugs schrieb er für sie aus der Erinnerung zwei Arien und ein Rezitativ aus Bachs Matthäuspassion und übergab sie ihr als Geschenk.
Dieses Manuskript kursierte fortan in der Familie Schubring und ist erst nach der politischen Wende in Dessau wieder aufgetaucht. «Nach der Wiedervereinigung waren viele Händler im ’wilden Osten’ Deutschlands unterwegs auf der Suche nach Trouvaillen», sagt Cyril Koller. Daneben sind aber auch sorgsam gehütete Schätze wieder ans Licht der Öffentlichkeit gekommen, die keineswegs als «Freiwild» betrachtet werden dürfen, präzisiert Terwey. «So ist man auch auf das Mendelssohn-Manuskript gestossen. Es war immer in Privatbesitz und man hat auch früh schon erkannt, dass es sich dabei um etwas Bedeutendes handelt.»
Wie aber ist Felix Mendelssohn überhaupt auf Johann Sebastian Bach und dessen Kompositionen gestossen? Gespielt wurde diese Musik damals praktisch überhaupt nicht mehr. «Das geht auf Mendelssohns Lehrer Carl Friedrich Zelter zurück», erklärt Andreas Terwey (Bild). Er ist Spezialist für alte Bücher und Manuskripte im Auktionshaus Koller. «Zelter war der grosse Erneuerer des Musiklebens in Berlin. Er hat die Singakademie gegründet und besass ein grosses Notenarchiv. Dort befand sich auch eine Abschrift der Matthäus-Passion, die vermutlich über einen der Bach-Söhne dorthin gelangt ist.»
Trockenes Rechenexempel
Mendelssohn hatte mit 14 Jahren eine Abschrift dieser Matthäus-Passion zu Weihnachten geschenkt bekommen und begeisterte sich in den folgenden Jahren immer mehr für das Werk. Sein Freund Julius Schubring ermutigte ihn schliesslich, eine Wiederaufführung der Matthäus-Passion ins Auge zu fassen. Dabei hatte sich seine Bach-Begeisterung zunächst sehr in Grenzen gehalten. In seinen Erinnerungen an Mendelssohn schreibt Schubring später: «Einstmals klagte ich ihm, dass es mir schwer werde, die Bachsche Musik anders als ein trockenes Rechenexempel aufzufassen. Da wollte er mich eines Besseren überzeugen und holte die Matthäus-Passion, davon er kurz zuvor aus den Zelterschen Vorräthen eine Abschrift bekommen. Wir sangen daraus mit den Schwestern ein gutes Theil und da er sah, dass es mich Laien hoch entzückte, fasste er Muth und wir verabredeten eine Wiederholung mit besseren Kräften.»
Diese Abschrift hat Mendelssohn als Grundlage für seine Bearbeitung genommen. Andreas Terwey: «Mendelssohn war damals noch sehr jung und in seinem Freundeskreis spielten liberale, protestantische Theologen eine wesentliche Rolle. Mendelssohn selbst war vom Judentum konvertiert und ein gläubiger Protestant geworden. Er hat sich sehr für die Erneuerung der Kirchenmusik eingesetzt und da war die Matthäus-Passion das Schlüsselwerk, das aber zunächst einmal rekonstruiert werden musste.» Vermutlich hat Mendelssohn ein paar Änderungen vorgenommen, er hatte andere Instrumente zur Verfügung als Bach und orchestrierte das Stück neu. «Es ist die Version, die heute noch gespielt wird», so Terwey.
Wie setzt man denn nun den Preis fest, den so ein rares Manuskript wert ist? «Das ist sehr schwierig …», sagt Cyril Koller. «Wir haben jetzt eine Schätzung von 150'000 CHF gemacht. Das orientiert sich daran, dass es etliche Autographen von Mendelssohn auf dem Markt gibt. Er hat sehr viele Briefe geschrieben, aber es gibt nur wenige Musik-Manuskripte. Vor einigen Jahren ist in London ein umfangreiches Manuskript einer Sinfonie für etwa 500‘000 Pfund verkauft worden. Da hat man eine Ahnung, in welche Grössenordnung das gehen könnte. Aber vergleichen lässt es sich nicht …»
Genaues weiss man erst, wenn es bei der Auktion beim Lot 517 heisst: zum ersten, zum zweiten und ... zum dritten!
Auktion Bücher & Autographen
(darunter das Mendelssohn-Manuskript)
1. April 2017
Galerie Koller
Hardturmstrasse 102
8005 Zürich
Nachtrag
Sehr geehrte Damen und Herren
Ein bisher unbekanntes Musikmanuskript des jungen Felix Mendelssohn ist heute in Zürich für CHF 180‘000 versteigert worden. Es handelt sich dabei um sein einzig erhaltenes, eigenhändig geschriebenes Notenmanuskript zu Bachs Matthäus-Passion.
Weitere Informationen sind in der Medienmitteilung im Anhang enthalten.
Für Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Freundliche Grüsse
Paul Martin Padrutt
i.A. Koller Auktionen
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