Im Film des Schweizers Samuel Perriard «8 Tage im August» geht es um zwei Kleinfamilien, die sich seit Jahren an der apulischen Küste zu gemeinsamen Sommerferien treffen. Nun aber zeigt die vermeintlich harmonische Gemeinschaft plötzlich bedrohliche Risse.
Flacher Strand mit leichtem Wellengang. Der Teenager Finn watet mit Mama Helena und Vater Adam ins Wasser. Man hüpft herum, berührt, neckt sich, kennt das maritime Gestade: Die drei treffen sich hier jährlich mit einer anderen Kleinfamilie für den Urlaub. Die verspielte Atmosphäre wird in «8 Tage im August» jäh von einer Schwarzblende und dem Filmtitel abgebrochen. In der nächsten Szene ist Adam, die männliche Hauptfigur, auf dem Rücksitz eines fahrenden Autos zu sehen. Gesteuert wird es von seinem blutjungen Teenagersohn Finn, neben ihm platziert ist der noch jüngere Ferienfreund Luca.
Auf der schmalen Strasse nähert sich ein Geländewagen. Die Fahrzeuge halten auf gleicher Höhe an. Ein Uniformierter will von Adam wissen, wohin die Fahrt gehen soll. Nun ist «8 Tage im August» lanciert, ein von emotionalen Wellengängen geprägtes Drama.
Finn kollabiert
In einer Schlüsselszene des Films ist Finn mit den Eltern auf dem Weg zum Auto, sackt plötzlich zusammen, bleibt regungslos liegen. Der Vater weiss nicht, was zu tun wäre. Die Mama greift sofort ein, versorgt den Buben notdürftig. Später wird in einer Klinik Entwarnung gegeben, man geht von einer Hitze-Erschöpfung aus. Doch die Ärztin ist misstrauisch, will wissen, wie sich der Bub eine auffällige Beule am Kopf zugezogen hat. Die Eltern haben keine Erklärung, Finn sagt nichts. Man ahnt: Da kommt noch was.
An einem Abend kiffen und trinken die Erwachsenen im eleganten Ferien-Domizil, wagen ein Rollenspiel. Der forsche Matti schlägt vor, dass Adam seine Helena «anmachen» soll. Was nicht klappt, weil Adam fantasielos, gehemmt wirkt. Helena ist frustriert, die andern sind mässig amüsiert. Die peinliche Szene lässt vermuten, dass das Quartett keine gegenseitige Wertschätzung verbindet, es vielmehr eher eine angejahrte Zweckgemeinschaft ist.
Umso mehr, weil Matti, mit Gattin Ellie in seinem Schatten, versnobt, dominant, besserwisserisch auftritt. Als die beiden wie nebenbei mitteilen, dass sie bald für längere Zeit nach Japan ziehen, ist die Partylaune im Keller.
Aussprache im Sperrgebiet
Aber die Ferien haben ja erst begonnen. An einem Folgetag schippert das Grüppchen nicht etwa mit der Touristen-Fähre an einen Strand, man mietet vielmehr ein Boot und fährt an eine Bucht, die als militärisches Sperrgebiet deklariert ist. Keine gute Idee, weil dort bald Schluss ist mit der erhofften Ruhe. Schüsse sind zu hören, Soldaten im Manöver-Modus tauchen auf, die sich auf den Einsatz in einem Krisengebiet vorbereiten. Die Eindringlinge werden in ein Gebäude verlegt – zu ihrem eigenen Schutz.
Diese Verlagerung der Handlung auf eine militärische Meta-Erzählebene irritiert, macht aber Sinn. Weil nun die Haupt-Charaktere auf kleinem Raum quasi unentrinnbar vereint sind und es endlich zur Aussprache über die Gründe kommt, die zum mysteriösen Kollaps von Finn und die toxischer werdende Gesamtlage führten.
Erkunden neuer Beziehungsformen
Regisseur und Ko-Skriptautor Perriard hat ein Flair dafür, thematisch Kontrastreiches verblüffend ineinander zu weben. In einem Interview erwähnte er, dass ihn in «8 Tage im August» besonders die Thematik «Männlichkeit und Weiblichkeit» interessiert hat: «Für mich sind es eher Spielräume, die jede Person für sich selbst definieren kann, was eine Freiheit für alle mitbringen würde. Tragischerweise sieht die Realität anders aus. Denn eine Auflösung von klaren Grenzen bringt Unsicherheiten mit sich.»
Und so dreht sich in Perriards Spielfilm vieles um maskulines Machtgehabe, Gefühls-Blockaden aus Überforderung oder die Sehnsucht nach dem Erkunden neuer Beziehungsformen zwischen den Geschlechtern.
Gefühlsstark, authentisch, sinnlich
Wobei der Fokus klar auf dem Heteropaar Adam und Helena liegt. Und auf ihrem vifen Sohn Finn, der auf dem Weg ist, eine selbstbestimmte Persönlichkeit zu werden. Das bleibt den Eltern nicht verborgen, die in der Sommerfrische im August den Drang spüren, ihre verkrustete Muster-Routine als Paar aufzubrechen. Was dem spröden, kontrollierten Adam schwerer fällt als der spürbar lustbetonteren, sich emanzipierenden Helena.
Samuel Perriard hat ein interessantes Ensemble aus dem deutschsprachigen und italienischen Raum vereint. Und seine zwei tragenden Rollen einem erfahrenen, international gelobten deutschen Duo anvertraut: Julia Jentsch als Helena und Florian Lukas als Adam überzeugen, weil es ihnen gelingt, ihre Befindlichkeit mimisch und gestisch authentisch, gefühlsstark, sinnlich auszuformen.
Die Magie des zweiten Blicks
«8 Tage im August» steht modellhaft für den etwas anderen Urlaubsfilm, der ja so etwas wie ein eigenes Genre darstellt. Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen verzichtet er auf Postkartenidyllen. Perriard hat als Schauplatz für sein komplexes Drama Apulien gewählt. Eine Region, die nicht für das opulent hergezeigt Plakative bekannt ist, obwohl von facettenreichem Liebreiz: mit Buchten und Grotten am Meer, Naturschutz-Zonen, schmucken Ortschaften. Und einer gastfreundlichen Charaktervielfalt von Einheimischen, deren Charme sich denen erschliesst, welche die Geduld aufbringen, dem nachzuspüren, was oft oberflächlich als «Italianità» benannt wird.
Wer also das einzigartige Neben- und Miteinander von vielschichtiger Tradition, bisweilen enorm schöpferisch-kreativer Innovationskraft, aber auch politischer Verwerfungen, die über die Vernunft kaum zu entschlüsseln sind, verstehen will, ist hier gut beraten, auf die Magie des zweiten Blicks zu setzen.
Karge Beredtheit
Samuel Perriard setzt seinen Plot in diesem Sinn um. Bildlich fast schon dokumentarisch anmutend, mit Dialogen von karger Beredtheit. Es lohnt sich, in «8 Tage im August» auf kleinste Begebenheiten zu achten, die der Regisseur wie Mikro-Puzzlesteine früh auslegt und in variierter Form erneut ins Spiel bringt.
Beim Ausklang werden die Signale, noch einmal in einem überraschenden Setting, auf Umbruch und Veränderung gestellt. Und mit einem musikalische Schlussbouquet garniert: Beschwingt vom schmissigen Canzone-Evergreen «A far l'amore comincia tu (Liebelei)» von Raffaela Carrà zaubert Samuel Perriard seinem arg gebeutelten Paar Helena und Adam (Liebes-)Zuversicht in die Gesichter; apulische Sommer haben es offenbar in sich.