„Ohne Israel wären die Palästinenser Jordanier und Ägypter geblieben, sie sind nur dank Israel Palästinenser.“ (Friedrich Dürrenmatt in "Zusammenhänge", 1976)
Als jemand, der heute für das Journal 21 schreibt, politische Diskussionen filmt und ins Internet stellt und generell das Maul weit aufmacht, aber, so denke ich, sein Wissen und seine Meinung –hauptsächlich zu Israel, Palästinensern, Terrorismus, Zionismus und den damit verbundenen Problemen in der barbarischen und judenfeindlichen Milieus des Mittleren Ostens – sachlich zum Besten gibt, bin ich den unvermeidlichen Anfeindungen von gewissen Lesern ausgesetzt. Das betrifft nicht nur mich, sondern praktisch jeden Journalisten, der sich pointiert zu diesem Themenkomplex äussert.
Das Internet als Tummelplatz ohne Grenzen
Das sei diesen Leserbriefschreibern unbenommen, ist es doch der Beweis freier Meinungskundgabe, eines der wichtigsten Rechte moderner Demokratie. Und – obwohl ich mich immer wieder selbst daran erinnern muss – es beweist: man wird gelesen. Auch wenn solche Leser-Reaktionen öfter reine Hasstiraden sind und nichts mit dem Thema zu tun haben. Bitte schön, ich stelle mich ja freiwillig als Objekt der Kritik oder des Hasses zur Verfügung, bin also selbst daran schuld.
Was bleibt, ist sich über gewisse Ergüsse menschlicher Bosheit, Ignoranz und Verliebtheit in den eigenen Hass auf andere zu wundern. Zu wundern bleibt, wo diese „Kommentatoren“ die Energie finden, so zu hassen und dokumentierte Fakten auf den Kopf zu stellen. Allerdings ist es so, dass heute in der Zeit des Internets für alles eine Erklärung und eine Plattform zu finden ist, ob wahr oder nicht. Die Wahrheit ist zur Glaubenssache geworden, sie liegt in den Augen des Betrachters. Auch ich kann irgendeine Behauptung ins Internet setzen; sie kann noch so falsch sein, man kann darauf wetten, dass sich „Gläubige“ finden, die solchem Unsinn verfallen, sei die Motivation dazu ideologisch oder religiös.
„Romantischer Arabismus“
Kommen wir zurück zum Konflikt Palästinenser/Islamisten gegen Israel und die Juden allgemein. Was drängt Menschen dazu, sich so besessen damit zu befassen? Warum beschäftigen sie sich nicht mit gleicher Verve mit erheblich schlimmeren Problemen in dieser Welt –ganz besonders in dieser Region, dem Mittleren Osten, wo extremistischer Islam sich breitmacht.
Woher kommen diese meinungsstarken Leserkommentare, die für alles, was mit Israel zu tun hat, sofort ihren pawlowschen Reflex aktivieren? Sie machen Israel für alles Übel verantwortlich, was immer es sein mag. Das sind die Antikolonialisten und Rassisten, die bis heute noch nicht gemerkt haben, dass der Kolonialismus seit langer Zeit tot ist. Aber da sie Arabern offenbar nicht zutrauen, eigene Probleme selbst zu lösen, tun sie es besserwissend für sie. Ich nenne es auch die Karl-May/Kara-Ben-Nemsi-Haltung, den romantischen Arabismus, dem viele, nicht zuletzt Arabisten und Journalisten, verfallen sind. Manche linke Gutmenschen und Verschwörungstheoretiker identifizieren sich ebenfalls damit. Das Resultat dieser im Prinzip rassistischen Haltung ist einer der Grundsteine des heutigen, sich hinter Israelkritik versteckendem Antisemitismus.
Wiederbelebung des alten Feindbildes
Ein anderer pawlowscher Reflex ist der gute alte Antisemitismus, besser Judenhass genannt, denn als solchen hat ihn der Erfinder (über dessen Person keine Klarheit besteht) des Ausdrucks empfunden. An Araber hatte er dabei bestimmt nicht gedacht. Nach Kriegsende 1945 wurde Antisemitismus zum Tabu. Die sechs Millionen ermordeten Juden machten ihn zum Nichtthema. In den letzten Jahrzehnten ist er jedoch wieder erwacht.
Der arabisch-muslimische Judenhass, der bei vielen Linken Europas und frustrierten Nazi-Sympathisanten „Verständnis“ findet, wurde als Vorwand genommen, das alte Feindbild neu zu aufzumöbeln: Man darf Juden – heute als Zionisten – wieder offen und öffentlich hassen. An jeder pro-palästinensischen Demonstration in Europa sind sie zu erleben, zusammen mit ihren islamistischen Kumpanen Palästinafahnen und Plakate mit rassistischen Drohungen gegen Juden schwingend, wild und aggressiv schreiend und zufällig anwesende Juden tätlich bedrohend.
Dürrenmatt als Prophet
Schon 1976, in seinem Buch „Zusammenhänge“, schrieb Friedrich Dürrenmatt: „Die Schwierigkeit, heute in Europa für Israel Stellung zu beziehen, und die Isolation, in die dieser Staat geraten ist, hat verschiedene Gründe. Schämte man sich nach dem Zweiten Weltkrieg, Antisemit zu sein, wurde man mit Stolz nach dem Sechstagekrieg Philosemit, wagt man nun erleichtert nach dem Jom-Kippur-Krieg, Antizionist zu werden. Kein Mensch ist heute mehr Antisemit, man versteht nur die Araber. Der Siegesrausch der Araber vor dem Sechs-Tagekrieg ist vergessen, vergessen die Sperrung des Golfs von Akaba durch Nasser, vergessen die Prahlereien Arafats, vergessen, dass jedermann den Angriff der Araber vermutete, vergessen der gewaltige Aufmarsch der ägyptischen, jordanischen und syrischen Truppen (...) Vergessen das alles, die Juden hätten die Araber nur nicht ernst nehmen sollen, es war alles gar nicht so gemeint gewesen.“
Veränderungen im Israel-Bild und in Israel selber
In den Jahren nach der Staatsgründung war Israel in der westlichen Welt sehr populär, ganz besonders in linken Kreisen. Das soziale Experiment der Kibbuzim wurde bewundert, sie wurden mit jungen europäischen Freiwilligen überflutet, die für Monate und noch länger dort lebten, arbeiteten, ja Israelis heiraten, Juden und Israelis wurden. Sie hatten das wirkliche sozialistische Leben gesucht und gefunden. Ältere Europäer bewunderten den Aufbauwillen und die technologischen und landwirtschaftlichen Erfolge des jungen Staates. Die Juden Israels wurden dafür bewundert, wie sie die Erfahrungen der Judenvernichtung Hitlers verarbeiteten und überwanden.
Das hat sich geändert. Arabische Propaganda, viel erfolgreicher als israelische, hat die Wahrnehmung Israels verändert. Israels interne Politik hat sich, nach Jahrzehnten blutdürstiger arabischer Feindschaft auch verändert. Das nichtextremistische Friedenslager – etwas, das es in der arabischen Welt schlicht nicht gibt, auch nie gegeben hat – ist geschrumpft.
Alibi-Juden?
Das extremistische Friedenslager in Israel besteht vorwiegend aus Einzelpersonen, etwa Akademikern, die akademisch wenig Nennenswertes erreicht haben und sich deshalb gegen ihr eigenes Land profilieren und so zur Prominenz aufgestiegen sind. Genauso wie Schweizer Juden (es gibt sie in andern Ländern auch), die unter dem Motto „nicht in meinem Namen“ und ähnlichem ebenso zum Prototypen des heutigen Alibi-Juden geworden sind, die an der Verantwortung für die heutige antisemitischen Situation mitzutragen haben.
Viele Israelis haben genug von diesem unter den Nachbarn zur zweiten Natur gewordenen Israelhass. Aus der aus vorwiegend politischen Gründen bestehenden Feindschaft – wer verliert schon gerne Teile seines Landes, auch wenn er das selbst verursacht – ist heute eine hochreaktionäre religiöse Feindschaft geworden, die sich teilweise mit der Judenfeindschaft der früheren Nazis vergleichen lässt. Unversöhnlich und nur auf frommen Versen beruhend, ein Schritt zurück ins Mittelalter.
Doch man darf nicht unterschlagen, dass es heute Ähnliches auch im israelischen Judentum gibt, wenn auch in seinen Dimensionen kaum mit dem Extremismus in der palästinensischen und arabischen Welt vergleichbar.
Ominöse historische Erinnerungen
Heute haben europäische Juden, auch in der Schweiz, Angst. Die Barbarei aus dem arabisch/islamistischen Nahen Osten und das Gift des lokalen neu-alten Judenhasses von extrem Links und extrem Rechts hat in seinen Exzessen eine Aggressivität erreicht, die Erinnerungen an Kristallnacht-Parolen wachruft. Die Argumentation ist sehr ähnlich, die physische Gewalt hat noch nicht deren Niveau erreicht.
Aufrufe wie „Kauft nicht beim Juden (Israel)“ der Israelfeinde ist Teil dieser argumentativen Aufwiegelung. Frankreichs Juden fliehen zu Tausenden nach Israel und anderswohin. Dies, obwohl dort, wie auch in Deutschland und England, die Regierung und die Regierungschefs den Antisemitismus verurteilen und bekämpfen, was in der Schweiz, dem Land der Zaghaften, in dieser Form nicht der Fall zu sein scheint.
Immerhin haben sich prominente Schweizer Juden endlich zu Wort gemeldet, und es fanden in den letzten Tagen pro-israelische Demonstrationen statt, die im Gegensatz zu den hysterisch antiisraelischen ruhig und würdig abliefen.