Das Weltende verkauft sich gut. Es gibt eine regelrechte Endzeit-Industrie, vor allem in den USA. Man denke nur an den ganzen Apokalypse-Kitsch aus der Filmbranche. Aber auch an Mega-Bestseller wie „The Late Great Planet Earth“ (deutsch: Alter Planet wohin?), geschrieben im Jahre 1970 vom Evangelisten Hal Lindsey. Die Kernbotschaft: Bereite dich auf das Ende vor. Lindsey ist Verfasser anderer erbaulicher Ratgeberliteratur für den jüngsten Tag, zum Beispiel „Countdown to Armageddon“ (1981) oder „The Apocalyptic Code“ (1997), allesamt mit hohen Verkaufszahlen. Die Frage stellt sich deshalb dringlich: Was ist das für ein soziokultureller Boden, auf den apokalyptischer Mist in rauhen Mengen verzettelt werden kann? Wie der Theologe Harold Attridge von der Yale School of Divinity schreibt, könnte „vieles an der apokalyptischen Faszination als irreführender Unsinn abgetan werden, allein aufgrund der Tatsache, dass so viele Leute ihn ernst nehmen und aus ihm ihr Bild eines Rambo-artigen Christus formen, dessen zukünftiger Gewalt gegen die Mächte des Bösen sie schon jetzt nacheifern.“
Die „Armageddon-Lobby“
Diese Worte erhalten gerade nach der Wahl des neuen US-Präsidenten und der anschliessenden Debatte um „das Volk“ und „die Elite“ eine akute Bedeutung. Sie verraten die – vielleicht naserümpfende – „höhere“ Frömmigkeit des Akademikers angesichts „niederer“ Frömmigkeit, die sich von primitiven Vorstellungen eines religiösen Machismo verleiten lässt. Solche Vorstellungen reichen aber hinauf bis in die höchsten Etagen der Politik. Präsident Reagans Vorlieben für Endzeittheaterdonner sind bekannt. Man hat den Clan um Reagan als „Armageddon-Lobby“ bezeichnet, und das Lachen darüber bleibt einem im Hals stecken, wenn man vernimmt, dass sie durchaus ihre Rolle in der militärischen Durchsetzung „von Gerechtigkeit und Frieden“ spielte. Dazu ist auch eine Gut-Böse-Dichotomie unverzichtbar, mit der George W. Bush 2003 im Irak operierte. Gegen 15 % der Amerikaner sollen in der Irakinvasion den Beginn der letzten Schlacht gesehen haben. O-Ton Bush: „Gott sagte mir ‚George, geh und bekämpfe diese Terroristen in Afghanistan.’ Und ich tat es. Und dann sagte mir Gott ‚George, geh und beende die Tyrannei im Irak.’ Und ich tat es.“
Mit solchem beinah-biblischen Gebrabbel kommt man wahrscheinlich gut an beim „einfachen“ frommen Geist; darin manifestiert sich freilich auch eine Mentalität, die im Weissen Haus herrschte. In Bushs Umkreis bewegten sich Einflüsterer wie der Massenprediger John Hagee, Gläubiger des nahen Weltendes und religiöser Demagoge. Er vertrat zumal die Meinung, der Holocaust sei gottgewollt; Gott habe Hitler den Juden sozusagen als Schlepper ins gelobte Land geschickt. Es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass nun Leute dieses Schlags unter der neuen US-Regentschaft wieder vermehrt Gelegenheit bekommen, ihren apokalyptischen Mief aus der evangelikalen Käseglocke zu verströmen.
Ein hässliches Einvernehmen
Die Gefährlichkeit solcher christlicher Endzeitideologien liegt darin, dass sie sich als Mobilisierung gegen den islamischen Fundamentalismus tarnen, und aus dieser Position heraus sogar noch eine gewisse Plausibilität und „Legitimität“ erhalten. Der Islamismus im Allgemeinen und der Islamische Staat im Besonderen stellen zweifellos eine grosse Gefahr dar, und Abu Bakr al-Bagdadi ist der zurzeit wohl schlimmste Terrorist. Aber die groteske Ironie des gegenwärtigen Clashs liegt darin, dass bei aller fundamentalen Opposition zwischen Predigern wie dem Christen Hagee und dem Muslim al-Bagdadi ein hässliches Einvernehmen besteht: Für beide gibt es keinen Frieden auf der Erde, solange nicht ein Teil der Menschheit den anderen in einer entscheidenden Schlacht vernichtet haben wird; beide brauchen einander als Widersacher in einem teuflischen Spiel. Die Greueltaten des IS sind Spielzüge, die den Gegner zu neuen Zügen provozieren, und auf diese Weise hält man „spielerisch“ Kurs auf Armageddon. Als die Republikanerin Michele Bachmann Barack Obama aufforderte, iranische Nuklearanlagen zu attackieren, nahm sie ausdrücklich eine Ausweitung des Atomkonflikts in Kauf. Sie frohlockte, dies sei ein Zeichen für das zweite Kommen Jesu Christi. Die Beraterkamarilla der Militärköpfe, die der neue US-Präsident um sich schart, scheint einem apokalyptischen Showdown auch nicht ganz abgeneigt zu sein.
Ideologie und Technologie kommen zusammen
Wir stossen hier von einer anderen Seite her wiederum auf die technologischen Risiken. Für die letzte Schlacht braucht man potente Kriegsmittel. Und die gibt es dank der heutigen Dual-Use-Technologien in Hülle und Fülle. 2015 spielte ein Artikel in Dabiq, dem ideologischen Hochglanzmagazin des IS, auf die „Milliarden von Dollars“ an, mit welchen die Terroristen nukleares Material in Ländern wie Pakistan beschaffen könnten – Pakistan steht auf dem Index sicherer Atomstaaten fast zuunterst. Man würde, so der Artikel, Beamte in Pakistan kontaktieren, um eine Nuklearbombe über Waffenhändler und korrupte regionale Verbindungsmänner zu beschaffen. Biotechnologie steht ebenfalls hoch im Kurs der martialischen Apokalyptiker. Im Sommer 2014 fand man auf dem konfiszierten Laptop eines tunesischen IS-Kämpfers und Studenten der Chemie Dokumente über die Verbreitung von Beulenpest.
Armageddon wird exportiert
Nun sind solche Manöver typisch für terroristische Propaganda und Angstmache. Es wäre allerdings fatal, in ihnen nur Bluff und Maulheldentum zu sehen. Technologie und globale Vernetzung machen den Endzeitterror virulent. Wenn die letzte Schlacht nicht auf mythischem Boden im Mittleren Osten stattfindet, exportiert man sie nach Europa oder in die USA. Heute kann ein Endzeitkrieger in Europa mit dem Lastwagen in eine Menschenmenge rasen, warum sollte es nicht auch gelingen, dass er sich, sagen wir, mit Ebola infiziert und eine Epidemie auslöst. Der abartigen Imagination sind kaum Grenzen gesetzt.
Das eröffnet keine rosigen Aussichten. Obwohl von Phantasten ausgeheckt, ist der „Clash der Eschatologien“ eine Realität, eine schreckliche Realität. Er entstammt religiösem Denken, gewiss. Und die sogenannten neuen Atheisten werden nicht müde, auf die Religion als Grundübel zu zeigen. Aber wir sollten den Blick nicht zu sehr darauf fixieren. Vielleicht könnte es sogar vorteilhaft sein, ihn von der Religion zu lösen und näher auf „endzeitliche“ Phänomene zu richten wie lokale Kriege, Epidemien, Hungersnöte, Dürren, Überschwemmungen, schwindende Ressourcen, Artensterben, und vor allem auf den Klimawandel – sie nähren apokalyptische Visionen, und Religion wirkt hier zweifellos als grosse Verstärkerin. Wie wäre es aber, wenn wir uns konzentrierter und mit grösserem Aufwand als bisher mit den realen globalpolitischen Ursachen solcher Katastrophen abgeben würden, statt mit Gottes Willen.
Eine Toxikologie der Gedanken
Gott mag existieren oder nicht, so oder so hat er bereits eine Menge Unheil in den Köpfen angerichtet. Zum Beispiel in jenem des Kongressabgeordneten John Shimkus. Vor dem Unterhausausschuss für Energie und Umwelt verwarf er 2009 die Gefahren des Klimawandels mit schlichter Einfalt, indem er Gottes Versprechen an Noah zitierte, Genesis 9,11: „Ich habe meinen Bund mit euch geschlossen: Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben.“ Mit der gleichen Logik kann man argumentieren: Wenn Gott will, dass die Welt untergeht, so sei es.
Solches Vertrauen in Gott – oder auf der anderen Seite: Hingabe an Gott – ist eine Katastrophe eigener Art. Ohne sie rundweg als religiöse Toxikomanie zu bezeichnen, bin ich trotzdem versucht, eine Toxikologie der Gedanken zu fordern, die Giftklassen definiert. Die Endzeitidee stünde weit oben – neben den Ideen der Rasse und der Reinheit. Man kann nicht in die Köpfe der Leute hineinsehen. Aber man kann hören, wenn sie wirres Zeug reden und toxische Ideologien versprühen. Man kann mit dem Finger auf sie zeigen, wenn sie vom Ende der Welt quasseln. Machen wir die Gedankengiftmischer inakzeptabel und entlarven wir sie als das, was sie sind: die übelsten Feinde und Verächter des Menschen.