Am vergangenen Sonntag während der Messe explodierte eine Bombe in einer Seitenkapelle der Koptischen Kathedrale von Kairo. 25 Personen, darunter viele Frauen und Kinder, verloren ihr Leben, weitere 40 wurden verletzt. Dies ist nur einer von zahlreichen Anschlägen, welche die Kopten in den Jahren seit 2011 zu erleiden hatten. Die Berichte über die Hintergründe des Anschlags werfen ein Schlaglicht auf die Sicherheitslage in Ägypten.
Eigenartig rasche Aufklärung
Präsident as-Sissi selbst gab die Personalien des angeblichen Täters bekannt. Dieser sei, so sagte der Präsident, am Tag nach dem Anschlag, auf Grund von DNA-Tests seiner Überreste identifiziert worden. Diese hätten übereingestimmt mit jenen seiner Familienangehörigen. Der Präsident gab weiter an, der Täter habe Mahmud Mohammed Mustafa gehiessen.
Diese Identifikation erfolgte erstaunlich rasch, wenn man die Schwierigkeit in Rechnung stellt, die es bedeutet, die Familie eines Selbstmordattentäters unter den 90 Millionen Ägyptern auf Grund des DNA seiner Überreste zu identifizieren. Wie dies überhaupt geschehen konnte, ist unklar. Entweder ist die Anklage erfunden, oder es gab noch andere Wege, um den angeblichen Täter zu identifizieren, die verschwiegen wurden.
Propagandistische Ausschlachtung
Bereits am Tag nach dem Anschlag trat dann auch das Innenministerium mit seiner Version an die Öffentlichkeit, indem es viele angebliche Einzelheiten über die Hintergründe bekanntgab. Nach Aussage des Innenministers war der erwähnte Mahmud Mohammed Mustafa der Haupttäter. Er habe einen 13 Kilo schweren Selbstmordgürtel getragen.
Organisator der Untat sei ein gewisser Mustafa Sayyid Qassem gewesen. Von ihm wusste das Innenministerium zu melden, er befinde sich auf der Flucht. Er habe zu den Muslimbrüdern gehört, sei 2015 in Qatar gewesen und habe sich dort radikalisiert. Dann habe er sich auf Befehl der qatarischen Muslimbrüder nach dem Sinai begeben, um sich von den dortigen IS-Rebellen im Bombenwesen ausbilden zu lassen. Die Brüder von Qatar hätten ihn finanziert. Der Anschlag in der Kathedrale sei befohlen worden, um Rache zu nehmen für den Tod des Muslimbruder-Aktivisten Mohammed Kamal, den die ägyptische Polizei im vergangenen Oktober erschossen habe.
Der Selbstmordattentäter selbst, jener Mahmud Mohammed Mustafa, den der Präsident genannt hatte, sei 2014 wegen Waffentragens bei einer Demonstration festgenommen worden, doch sei er zwei Monate später auf Geheiss des Richters gegen Kaution wieder freigekommen und habe sich aus dem Staub gemacht. In der Zwischenzeit sei er wegen anderer Vergehen angeklagt und in absentia verurteilt worden. Zu der von ihm gebildeten Terrorzelle hätten seine zwei Brüder gehört, die festgenommen wurden.
Die Darstellung des Innenministers hat den Vorteil, dass sie sowohl die Muslimbüder wie auch den IS für den Anschlag verantwortlich macht und dass sie zugleich auch die zuvor gemachten Aussagen des Präsidenten al-Sissi bestätigt. Ausserdem ruft sie den Erfolg der Sicherheitsbehörden gegen den angeblichen Muslimbruder-Aktivisten, Mohammed Kamal, in Erinnerung.
Mehr als blosse Folter
Die Agentur Reuter hat die Mutter des angeblichen Selbstmordbombers befragt. Sie bestätigt, ihr Sohn sei verhaftet gewesen. Sie sagt, er sei auf dem Polizeiposten gefoltert worden. Als er heimkam, sei er vernichtet gewesen und habe die ganze Nacht geweint. Geweint habe der 22-Jährige nicht wegen der Schläge und Misshandlungen, die er erlitten hatte, obwohl deren Spuren auf seinem Körper und Gesicht sichtbar gewesen seien. Er habe seinem Bruder anvertraut, dass er sexuell misshandelt und dadurch entehrt worden sei. Dies habe ihn als Menschen zerstört.
Die Mutter versicherte, der Sohn sei nach dem Sudan geflohen und habe regelmässig von dort aus telefoniert, zum letzten Mal eine Woche vor dem Anschlag in der Kathedrale. Die Mutter wollte nicht glauben, dass ihr Sohn einer mörderischen Untat fähig sei. Seine Stimme habe normal geklungen, keineswegs habe sie Mord- und Selbstmordabsicht verraten. Er habe gesagt, er könne nicht heimkehren, weil er befürchten müsse, erneut von der Polizei verhaftet zu werden. Seine beiden Brüder, so sagte die Mutter, seien ebenfalls verhaftet worden, der eine vor dem Bombenanschlag, der andere danach.
Finstere Pläne des IS
Am 13. Dezember hat sich der IS zu dem Anschlag bekannt. Er gab den Namen des „Märtyrers“ der sich aufgeopfert habe, mit Abu Abdullah al-Masri an. Dies ist wahrscheinlich ein Pseudonym, wie sie die IS-Kämpfer normalerweise verwenden. Der IS in der bei – wie er es nennt – „Sinai-Provinz“ des „Kalifates“ erklärte, die Tat sei durchgeführt worden, um zu zeigen, dass er überall präsent sei und zuschlagen könne. Der IS sei nicht besiegt. „Alle Ungläubigen und Abtrünnigen in Ägypten müssen wissen, dass unser Krieg weiter geht“, schrieb die Agentur des IS, „Amaq“.
Bewaffneten Widerstand gegen die ägyptische Armee gibt es seit langer Zeit im Sinai. Er wurde zuerst durch die Gruppe „Ansar Beit al-Maqdis“ ausgeübt. Doch diese hat sich 2015 zur Sinai-Branche des IS erklärt und nennt sich seither das „Sinai-Emirat des Kalifates“. Die ägyptische Armee hat unter al-Sissi den Kampf gegen die Aufständischen im Sinai intensiviert, jedoch ohne echten Erfolg. Die Armee hat ganze Dörfer mit Bulldozern zerstört und bombardiert, sie hat die unterirdischen Gänge unter Wasser gesetzt, die den Nordsinai mit Gaza verbanden, weil die Armee der Ansicht war, Waffen und Kämpfer würden durch diese Tunnels in den Sinai geschmuggelt. Auf allen Strassen unterhält sie Strassensperren.
Der islamistische Widerstand hat deswegen jedoch nicht aufgehört. Er hat sich eher verstärkt und auch auf das Niltal übergegriffen. Die Armee führt öffentliche Begräbnisse der in den Kämpfen gefallenen Offiziere durch, doch über die Mannschaften weiss man nicht viel. Nach Schätzungen von Journalisten soll die Zahl der in den Sinai-Kämpfen gefallenen Soldaten in die Tausende gehen. Immer wieder werden Anschläge gemeldet, denen Soldaten zum Opfer fielen. Doch Übersichten gibt es nicht.
Strategie der Aufhetzung
Wenn es wirklich die IS-Terroristen gewesen sind, die die Kathedrale angriffen, muss man annehmen, dass sie damit genau das bezwecken, was ihr Vorläufer Zarkawi im Irak bewirkte: Er erreichte mit Bombenanschlägen gegen die irakischen Schiiten das Anheizen eines Bürgerkriegs zwischen Angehörigen verschiedener Religionszweige.
Im Falle Ägyptens sind dies die christlichen Kopten und die muslimischen Sunniten. Doch die Verhältnisse liegen anders als im Irak zwischen Sunniten und Schiiten, weil die Kopten nur etwa zehn Prozent der Ägypter ausmachen und weil sie seit der Eroberung durch die arabischen Muslime im 7. Jahrhundert nie zur politisch führenden Schicht in Ägypten gehörten. Im Irak hingegen unterstand die schiitische Mehrheit während Jahrhunderten der Führung durch Angehörige der heute sunnitischen Minderheit.
Trotz diesem wichtigen Unterschied verfehlte der Anschlag auf die Kathedrale seinen Zweck nicht völlig. Die Kopten versammelten sich vor der beschädigten Kathedrale und demonstrierten gegen die Regierung. Sie warfen ihr vor, die Kathedrale nicht wirksam bewacht zu haben, obwohl es staatliche Wächter vor ihren Toren gibt, „die jedoch jedermann durchlassen“.
Die Demonstranten brachten die ihrer Ansicht nach mangelhafte Bewachung in Verbindung mit den zahlreichen anderen Erfahrungen von Diskrimination und Ausschliessung, die sie ihrer Ansicht nach erleiden. Unter Kopten ging die Vermutung um, die Polizei selbst könnte die Bombe gelegt haben. Die Demonstrationen und ihre Niederschlagung durch die Polizei verursachten einen weiteren Toten.
Wenn die Islamisten im Sinai wirklich dem Vorbild Zarkawis nachleben wollen, muss man erwarten, dass sie versuchen werden, ihre Aktionen zur Aufstachelung der Kopten durch weitere Bomben in den christlichen Heiligtümern fortzuführen. Der Koptische Patriarch stellt sich voll auf die Seite as-Sissis und lobt ihn für seine Massnahmen gegen die IS-Kämpfer. Er weiss, welch grosse Gefahren ein Aufstandsversuch der Kopten gegen das Regime für seine Gemeinde mit sich brächte. Doch der IS dürfte versuchen, wie es Zarkawi zur Zeit der amerikanischen Besetzung im Irak gelang, die Provokationen so lange und so blutig fortzuführen, bis die koptische Gemeinschaft die Geduld verliert und ihrerseits gegen den Staat oder gegen die muslimische Mehrheit zurückschlägt.
Freilich wird dies schwieriger sein als im Irak, weil die Kopten nur eine Minderheit sind (im Irak waren die Schiiten zahlenmässig, wenngleich nicht machtmässig, die stärkere Gruppe) und weil die Kopten nicht über eine Tradition des Widerstandes gegenüber den Sunniten verfügen. Die letzten grossen Koptenaufstände im Niltal wurden 815 von den sunnitischen Abbasiden-Kalifen mit Kriegselephanten niedergekämpft. Viele der heutigen koptischen Christen versuchen, aus Ägypten auszuwandern.