Zu Jahresbeginn gibt man sich gewohnt überheblich. Der „Sturm aufs Stöckli“ ist angesagt. Und natürlich die Eroberung eines zweiten Bundesratssitzes.
Das eigentliche Desaster beginnt mit den Nationalratswahlen. Acht Sitzverluste. Für Schweizer Verhältnisse ein Erdrutsch. Nicht Moody’s haben Blocher, Brunner und Baader zum Triple BBB heruntergestuft. Die Wählerinnen und Wähler taten es. Wie die Parteioberen die Niederlage dann schönreden, ist mutig. Die siegesgewohnte Partei gerät aus dem Tritt. Einen Plan B gibt es für die siegesgewohnten BBB nicht.
Ohrfeige zwei: Der sogenannte Chefstratege der Partei erleidet bei den Zürcher Ständeratswahlen ein jämmerliches Ergebnis. Ein ehrenwerter Ex-Bundesrat, als Zugpferd von den Medien verhätschelt, ein Alphatier, um das sich jahrelang alles gedreht hat – jetzt wird er abgestraft wie ein Provinzpolitiker aus Sellenbüren.
Ohrfeige drei: Da klatscht es tüchtig. In Bern wird der bisherige Ständerat Adrian Amstutz ziemlich unerwartet weggewählt. Der Rückschlag bei den Nationalratswahlen war offenbar kein Unfall, sondern ein Trend.
Blocher ist der Riecher abhanden gekommen
Ohrfeigen vier, fünf und sechs: Im zweiten Wahlgang erzielt Blocher in Zürich ein erniedrigendes Resultat. Sogar in seiner Wohngemeinde landet er auf dem letzten Platz. In St. Gallen wird Parteichef Toni Brunner unerwartet von einem Gewerkschafter in die Knie gezwungen. Eine bittere Schmach. Und im Kanton Aargau wird Ulrich Giezendanner, ein lautes Schwergewicht der Partei, von der leisen Christine Egerszegi in die Ecke gestellt.
Der sogenannte Chefstratege scheint den Riecher für bewegende Themen verloren zu haben. Wie wurde vor den Nationalratswahlen das Land vollgepflastert mit „Stopp der Masseneinwanderung“-Plakaten. Die Bevölkerung scheint da keine Gefahr zu wittern. Ein teurer Schuss in den Ofen. Bei den Zürcher Ständeratswahlen warb Blocher mit Anti-EU-Plakaten. Auch da hatte er die richtige Nase verloren. Kaum jemand in der Schweiz glaubt heute, dass unser Land bald der EU beitrete. Den Populisten kommen die Themen abhanden.
Tragische, verbitterte alte Männer, die nicht loslassen können
„It’s time to say Goodbye“, sangen Andrea Bocceli und Sarah Brightman. Blocher wird nicht Goodbye sagen. Dazu ist er zu ehrgeizig und zu reich. Die Geschichte ist voll von tragischen, verbitterten alten Männern, die nicht loslassen können und nicht merken, dass ihre Zeit abgelaufen ist. Doch das Beste kommt erst noch. Gewohnt grossspurig verkündet die Partei, sie werde mit einer profilierten Galionsfigur einen zweiten Bundesratssitz erobern.
Lange Jahre hätte die SVP Zeit gehabt, eine Persönlichkeit aufzubauen. Und niemand findet sich. Wird die Partei im letzten Moment eine Überraschung aus dem Hut zaubern?, fragte man sich. Die Tagesschau-Bilder bleiben in Erinnerung, auf denen Parteichef Toni Brunner über Journalisten spottet, die sagen, die SVP tue sich schwer, einen Kandidaten zu finden.
Und dann dies: Aus dem Hut gezaubert wird nicht gerade eine Lichtgestalt: Bruno Zuppiger, jovial, früher nicht genehm, geniesst den kurzen Medienrummel. Er kommt ausgerechnet aus der gleichen Gemeinde wie Bundesrat Maurer. Dies obwohl die Partei immer sagte, alle Regionen müssten in der Regierung vertreten sein. Doch die Partei scheint immer mehr Adenauers Grundsatz nachzuleben: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern? Dass man Zuppiger nicht vermehrt unter die Lupe genommen hat, zeigt, welche Panik in der Partei herrschte. Man fand einfach niemanden. Für die grösste Partei der Schweiz ist dies eine Bankrotterklärung.
Kläglich und unprofessionell
All das zeigt eine eklatante Führungsschwäche von Blocher und Co. Wo ist die Strategie des sogenannten Chefstrategen? Das Desaster war nach dem Weltwoche-Artikel komplett.
SVP-Fraktionschef „Baader rechtfertigte die penible Leistung damit, dass erstens die knappen Zeitverhältnisse keine vertieften Abklärungen ermöglichten“ (NZZ). Knappe Zeitverhältnisse? Monatelang hätte man Zeit gehabt, einen valablen Kandidaten aufzubauen. Und jetzt steht man im allerletzten Moment plötzlich unter Zeitdruck? All das offenbart ein klägliches, unprofessionelles Management. In der Privatwirtschaft wäre eine solche BBB-Führungscrew längst entlassen worden. Will man solchen Politikern die Geschicke unseres Landes anvertrauen?
Verfahren, improvisiert, wie im Hühnerhof
Schnell musste ein Ersatzkandidat hervorgezaubert werden. Hansjörg Walter, der Bauernchef und Nationalratspräsident, ist ein rechtschaffener, guter und fröhlicher Mensch. Zuerst sagte er, er stehe nicht als Kandidat zur Verfügung. Dann knickte er vor Blocher ein. All das wirkt verfahren, improvisiert, Hühnerhof-artig. Walter war der Lückenbüsser der Lückenbüsser. Er tat einem fast leid. Panik, Kurzschlussreaktionen.
Vielleicht ist die Zeit der SVP-Scharfmacher zu Ende. Blocher hat sich längst selbst demontiert. Seine jüngst bekannt gewordenen, sehr unschweizerischen Machenschaften rund um die Basler Zeitung werfen ein seltsames Licht auf den Charakter dieses Menschen.
„Schweizer wählen SVP“, hiess der Slogan für die Eidgenössischen Wahlen. Entweder gibt es immer weniger Schweizer oder immer weniger Schweizer, die diese arrogante, ausschliessende Politik goutieren. Vielleicht haben immer mehr Leute einfach genug, von diesem billigen, durchsichtigen Populismus, der immer nach dem gleichen Muster abgespult wird. Wenn eine Partei die bewährten, echten Schweizer Werte zerstörte, ist es die SVP. Es ist wie im Fussball. Gewinnt die eigene Mannschaft immer, ist das Stadion voll. Beginnt sie aber zu verlieren, leeren sich die Ränge.
Besser ein Viertel-Bundesrat als gar keiner
Am Mittwoch hat die Partei die Möglichkeit, die Schmach ein wenig zu lindern. Wenn es ihr gelingt, einen zweiten Bundesratssitz zu erobern, würde sie dies als riesigen Erfolg verbuchen. Doch das wäre nur Kosmetik.
Den früheren Verteidigungsminister Samuel Schmid bezeichnete die BBB-Führung als „halben Bundesrat“, weil er nur bedingt zu den SVP-Scharfmachern stand. Hansjörg Walter wäre ein Viertel-Bundesrat. Doch die Partei befindet sich so tief im Schlamassel, dass ein Viertel besser ist als gar nichts. Selbst wenn Walter gewählt würde, was keineswegs feststeht, hat sich nach der Niederlagen-Kaskade etwas grundlegend geändert: Es rumort arg im Parteiengebälk.
Denn die SVP besteht nicht nur aus herabgestuften BBBs. In der Partei gibt es viele ehrenwerte Politiker und Anhänger, die genug haben von der Miesepeterei, genug von der polemischen Polarisierung. Mehrere sind sogar glücklich, dass ihre eigene Partei auf die Nase gefallen ist. „Das wird unseren Kurs endlich ändern“, sagt einer, „die Zeit der bellenden Scharfmacher geht zu Ende“. Einige von ihnen haben sich bereits geoutet, andere werden folgen. Der Glarner SVP-Ständerat This Jenny fordert in der Tagesschau etwas, was vor kurzer Zeit noch undenkbar gewesen wäre: den Rücktritt der BBB-Troika.