Bisher sind 124 Staaten dem Römer Statut beigetreten – der 1998 beschlossenen Gründungsakte des Weltstrafgerichtshofs. Darunter befinden sich 34 Länder Afrikas, alle Mitglieder der Europäischen Union sowie die Schweiz. Wenn jetzt zwei autoritär regierte afrikanische Kleinstaaten – Burundi und Gambia – austreten, so wiegt dies nicht schwer. Mehr Gewicht hat die Kehrtwende Südafrikas, das unter Nelson Mandela zu den Antriebskräften einer Weltjustiz zählte.
Etliche afrikanische Regierungen werfen dem ICC vor, mit zweierlei Mass zu messen. Weder die USA, noch Russland, China, Israel und die meisten arabischen Staaten sind dem Römer Statut beigetreten. Alle bisher vom ICC verurteilten Personen stammen aus Afrika. Europäer, Amerikaner oder Israeli, die Kriegsverbrechen oder schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, seien hingegen unangreifbar.
Die eigene Haut retten
Diese Vorwürfe sind nicht von der Hand zu weisen. Bei der von drei afrikanischen Staaten notifizierten Kündigung des ICC-Statuts, die nach einem Jahr in Kraft tritt, geht es aber nicht um hehre Grundsätze. In Burundi herrschen erneut bürgerkriegsähnliche Zustände. Präsident Pierre Nkurunziza – ein ehemaliger Hutu-Rebellenführer – liess sich 2015 unter Missachtung der Verfassung für eine dritte Amtsperiode wählen. Die Opposition boykottierte die Wahl. Seither wurden in Burundi nach den Zahlen der Uno 564 politische Morde verübt. Fast 300'000 Menschen flüchteten ins Ausland.
Der ICC startete im April eine Voruntersuchung über die aus Burundi gemeldeten Gewalttaten. Der Menschenrechtsrat der Uno in Genf beschloss die Einsetzung einer Untersuchungskommission. Für den Präsidenten Burundis geht es also vor allem darum, seine eigene Haut zu retten.
Die „Verteidiger Afrikas“
In Gambia – einer einst von den Briten kolonisierten Enklave in Senegal – regiert Präsident Yahya Jammeh mit brutaler Härte. Auf der Weltbühne stellt er sich als Verteidiger Afrikas dar. Beim ICC erstattete er Anzeige gegen die EU wegen Mordes an afrikanischen Flüchtlingen. Dass der ICC diese Anklage nicht aufnahm, empörte Jammeh. Der Witz dieser Geschichte ist, dass die Chefanklägerin des ICC, Fatou Bensouda, selbst aus Gambia kommt und dort Justizministerin war.
Im Fall Südafrika geht das Zerwürfnis mit dem ICC auf einen Besuch des sudanesischen Präsidenten Omar Hassan Al-Baschir anlässlich eines Gipfels der Afrikanischen Union im Juni 2015 in Pretoria zurück. Der ICC hat gegen Al-Baschir einen internationalen Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen und anderen schweren Verletzungen der Menschenrechte in der Provinz Darfur erlassen. Südafrikas Präsident Jacob Zuma setzte sich darüber hinweg. Für ihn ist die Führungsrolle seines Landes auf dem Schwarzen Kontinent mit dem Fernziel eines ständigen Sitzes im Weltsicherheitsrat wichtiger.
Vor Verfolgung geschützte Vetomächte
Die Idee einer neutralen Weltjustiz entstand nach dem Ersten Weltkrieg. Der Siegeszug der Faschisten in Europa und der japanischen Imperalisten beendete diese Bemühungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten die Tribunale von Nürnberg und Tokio neue Massstäbe. Sie hatten aber den Geruch von Siegerjustiz. Die Verbrechen der Amerikaner, Russen und Briten wurden nicht geahndet. Ein neuer Anlauf war 1993 die Schaffung des Kriegsverbrechertribunals für Ex-Jugoslawien. Nicht nur Serbenführer, sondern auch radikale Exponenten anderer Volksgruppen kamen vor Gericht. Als Chefanklägerin amtete lange die Schweizerin Carla Del Ponte.
Das Weltstrafgericht hat eine subsidiäre Rolle. Es kann nur aktiv werden, wenn nationale Gerichte nicht fähig oder nicht willens sind, Kriegsverbrechen oder schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen. Staaten, die das Römer Statut ratifiziert haben, müssen dessen Regeln einhalten. Bürger der übrigen Länder geniessen keine gesicherte Straffreiheit. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann sie auf die Anklagebank in Den Haag bringen. Vor Verfolgung geschützt sind jedoch die fünf Vetomächte, denn sie können jeden Beschluss des Sicherheitsrats blockieren.
Keine Sonderregelung für die USA
Die USA, die historisch zu den eifrigsten Verfechtern einer neutralen Weltjustiz gehörten, traten dem ICC letztlich nicht bei, weil er ihren Soldaten in deren Einsätzen rund um die Welt keine rechtliche Immunität gewährleisten wollte. Bei den Verhandlungen in Rom versuchten die USA vergeblich, für ihre im Ausland eingesetzten Truppen eine Sonderregelung herauszuschinden. Präsident Bill Clinton unterzeichnete zwar das Römer Statut, aber nur mit der Absicht, beim Aufbau und der Ausstattung des Tribunals mitbestimmen zu können. Sein Nachfolger George W. Bush liess die Unterschrift etwas ausserhalb der Legalität tilgen. So gelangte der Wurm in den Apfel.